Eben so sinnlich und begreiflich, als der Einfluß des Himmels in dieII. Einfluß des Himmels in die Denkungs- art Bildung, ist zum zweyten der Einfluß derselben in die Art zu denken, in welche die äußern Umstände, sonderlich die Erziehung, Verfassung und Regierung eines Volks mit wirken. Die Art zu denken so wohl der Mor-A. Der Mor- genländischen und Mittägi- gen Völker. genländer und Mittägigen Völker, als der Griechen, offenbaret sich in den Werken der Kunst. Bey jenen sind die figürlichen Ausdrücke so warm und feurig, als das Clima, welches sie bewohnen, und der Flug ihrer Gedanken übersteiget vielmals die Gränzen der Möglichkeit. In solchen Gehirnen bildeten sich die abentheuerlichen Figuren der Aegypter und der Perser, welche ganz verschiedene Naturen und Geschlechter der Geschöpfe in eine Gestalt vereinigten, und die Absicht ihrer Künstler gieng mehr auf das außerordentliche, als auf das Schöne.
Die Griechen hingegen, welche unter einem gemäßigtern HimmelB. Der Gie- chen. und Regierung lebeten, und ein Land bewohneten, welches die Pallas, 1) sagt man, wegen der gemäßigten Jahreszeiten, vor allen Ländern, den Griechen zur Wohnung angewiesen, hatten, so wie ihre Sprache malerisch ist, auch malerische Begriffe und Bilder. Ihre Dichter vom Homerus an reden nicht allein durch Bilder, sondern sie geben und malen auch Bilder, die vielmals in einem einzigen Worte liegen, und durch den Klang desselben gezeichnet, und wie mit lebendigen Farben entworfen werden. Ihre Einbildung war nicht übertrieben, wie bey jenen Völkern, und ihre Sinne, welche durch schnelle und empfindliche Nerven in ein feingewebtes Gehirn wirketen, entdecketen mit einmal die verschiedenen Eigenschaften eines Vorwurfs, und beschäftigten sich vornehmlich mit Betrachtung des Schönen in demselben.
Unter
1)Plato Tim. p. 475. l. 43.
Winckelm Gesch. der Kunst. D
Von dem Urſprunge und Anfange der Kunſt.
Eben ſo ſinnlich und begreiflich, als der Einfluß des Himmels in dieII. Einfluß des Himmels in die Denkungs- art Bildung, iſt zum zweyten der Einfluß derſelben in die Art zu denken, in welche die aͤußern Umſtaͤnde, ſonderlich die Erziehung, Verfaſſung und Regierung eines Volks mit wirken. Die Art zu denken ſo wohl der Mor-A. Der Mor- genlaͤndiſchen und Mittaͤgi- gen Voͤlker. genlaͤnder und Mittaͤgigen Voͤlker, als der Griechen, offenbaret ſich in den Werken der Kunſt. Bey jenen ſind die figuͤrlichen Ausdruͤcke ſo warm und feurig, als das Clima, welches ſie bewohnen, und der Flug ihrer Gedanken uͤberſteiget vielmals die Graͤnzen der Moͤglichkeit. In ſolchen Gehirnen bildeten ſich die abentheuerlichen Figuren der Aegypter und der Perſer, welche ganz verſchiedene Naturen und Geſchlechter der Geſchoͤpfe in eine Geſtalt vereinigten, und die Abſicht ihrer Kuͤnſtler gieng mehr auf das außerordentliche, als auf das Schoͤne.
Die Griechen hingegen, welche unter einem gemaͤßigtern HimmelB. Der Gie- chen. und Regierung lebeten, und ein Land bewohneten, welches die Pallas, 1) ſagt man, wegen der gemaͤßigten Jahreszeiten, vor allen Laͤndern, den Griechen zur Wohnung angewieſen, hatten, ſo wie ihre Sprache maleriſch iſt, auch maleriſche Begriffe und Bilder. Ihre Dichter vom Homerus an reden nicht allein durch Bilder, ſondern ſie geben und malen auch Bilder, die vielmals in einem einzigen Worte liegen, und durch den Klang deſſelben gezeichnet, und wie mit lebendigen Farben entworfen werden. Ihre Einbildung war nicht uͤbertrieben, wie bey jenen Voͤlkern, und ihre Sinne, welche durch ſchnelle und empfindliche Nerven in ein feingewebtes Gehirn wirketen, entdecketen mit einmal die verſchiedenen Eigenſchaften eines Vorwurfs, und beſchaͤftigten ſich vornehmlich mit Betrachtung des Schoͤnen in demſelben.
Unter
1)Plato Tim. p. 475. l. 43.
Winckelm Geſch. der Kunſt. D
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Von dem Urſprunge und Anfange der Kunſt.
Eben ſo ſinnlich und begreiflich, als der Einfluß des Himmels in die
Bildung, iſt zum zweyten der Einfluß derſelben in die Art zu denken, in
welche die aͤußern Umſtaͤnde, ſonderlich die Erziehung, Verfaſſung und
Regierung eines Volks mit wirken. Die Art zu denken ſo wohl der Mor-
genlaͤnder und Mittaͤgigen Voͤlker, als der Griechen, offenbaret ſich in
den Werken der Kunſt. Bey jenen ſind die figuͤrlichen Ausdruͤcke ſo warm
und feurig, als das Clima, welches ſie bewohnen, und der Flug ihrer
Gedanken uͤberſteiget vielmals die Graͤnzen der Moͤglichkeit. In ſolchen
Gehirnen bildeten ſich die abentheuerlichen Figuren der Aegypter und der
Perſer, welche ganz verſchiedene Naturen und Geſchlechter der Geſchoͤpfe
in eine Geſtalt vereinigten, und die Abſicht ihrer Kuͤnſtler gieng mehr auf
das außerordentliche, als auf das Schoͤne.
II.
Einfluß des
Himmels in
die Denkungs-
art
A. Der Mor-
genlaͤndiſchen
und Mittaͤgi-
gen Voͤlker.
Die Griechen hingegen, welche unter einem gemaͤßigtern Himmel
und Regierung lebeten, und ein Land bewohneten, welches die Pallas, 1)
ſagt man, wegen der gemaͤßigten Jahreszeiten, vor allen Laͤndern, den
Griechen zur Wohnung angewieſen, hatten, ſo wie ihre Sprache maleriſch
iſt, auch maleriſche Begriffe und Bilder. Ihre Dichter vom Homerus
an reden nicht allein durch Bilder, ſondern ſie geben und malen auch
Bilder, die vielmals in einem einzigen Worte liegen, und durch den Klang
deſſelben gezeichnet, und wie mit lebendigen Farben entworfen werden.
Ihre Einbildung war nicht uͤbertrieben, wie bey jenen Voͤlkern, und ihre
Sinne, welche durch ſchnelle und empfindliche Nerven in ein feingewebtes
Gehirn wirketen, entdecketen mit einmal die verſchiedenen Eigenſchaften
eines Vorwurfs, und beſchaͤftigten ſich vornehmlich mit Betrachtung des
Schoͤnen in demſelben.
B. Der Gie-
chen.
Unter
1) Plato Tim. p. 475. l. 43.
Winckelm Geſch. der Kunſt. D
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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/75>, abgerufen am 16.02.2025.
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