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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
ren, welche alle Kenner bewundern, auf einem schwarzen Grunde ausge-
führet: diese Geschwindigkeit aber war so sicher, als das Schickfal, durch
die Wissenschaft und Fertigkeit geworden. Die Art zu malen bey den
Alten war geschickter, als die heutige, einen hohen Grad des Lebens und
des wahren Fleisches zu erreichen: denn da alle Farben in Oel verlieren,
das ist, dunkeler werden, so bleibet die Malerey in Oel allezeit unter dem
Leben. In den mehresten alten Gemälden sind die Lichter und Schat-
ten durch parallele, oder gleichlaufende, und zuweilen durch gekreuzte Stri-
che gesetzt, welches im Welschen tratteggiare heißt, und an diese Art hat
sich auch Raphael zuweilen gehalten. Andere, sonderlich größere Fi-
guren der Alten, sind auf Oelfarben Art vertieft und erhoben, das ist,
durch ganze Massen von degradirten und anwachsenden Tinten, und diese
sind in dem Ganymedes meisterhaft in einander geschmolzen. Auf eben
diesem großen Wege ist die Barberinische vermeynte Venus, und die zu-
letzt entdeckten viel kleinen Gemälde des Herculanischen Musei, gemalet,
welche dennoch auch in einigen Köpfen über die Schatten mit Strichen
schattiret sind.

An den Herculanischen Gemälden ist zu beklagen, daß dieselben mit
einem Firnisse überzogen worden, welcher nach und nach die Farben ab-
blättert und abspringen macht; ich habe innerhalb zween Monaten Stücke
von dem Achilles abfallen sehen.

Zuletzt ist mit ein paar Worten von dem Gebrauche bey den Alten
zu reden, die Gemälde vor dem Nachtheile, welchen sie von der Luft oder
der Feuchtigkeit leiden könnten, zu verwahren. Dieses geschah mit

Wachse,

I Theil. Viertes Capitel.
ren, welche alle Kenner bewundern, auf einem ſchwarzen Grunde ausge-
fuͤhret: dieſe Geſchwindigkeit aber war ſo ſicher, als das Schickfal, durch
die Wiſſenſchaft und Fertigkeit geworden. Die Art zu malen bey den
Alten war geſchickter, als die heutige, einen hohen Grad des Lebens und
des wahren Fleiſches zu erreichen: denn da alle Farben in Oel verlieren,
das iſt, dunkeler werden, ſo bleibet die Malerey in Oel allezeit unter dem
Leben. In den mehreſten alten Gemaͤlden ſind die Lichter und Schat-
ten durch parallele, oder gleichlaufende, und zuweilen durch gekreuzte Stri-
che geſetzt, welches im Welſchen tratteggiare heißt, und an dieſe Art hat
ſich auch Raphael zuweilen gehalten. Andere, ſonderlich groͤßere Fi-
guren der Alten, ſind auf Oelfarben Art vertieft und erhoben, das iſt,
durch ganze Maſſen von degradirten und anwachſenden Tinten, und dieſe
ſind in dem Ganymedes meiſterhaft in einander geſchmolzen. Auf eben
dieſem großen Wege iſt die Barberiniſche vermeynte Venus, und die zu-
letzt entdeckten viel kleinen Gemaͤlde des Herculaniſchen Muſei, gemalet,
welche dennoch auch in einigen Koͤpfen uͤber die Schatten mit Strichen
ſchattiret ſind.

An den Herculaniſchen Gemaͤlden iſt zu beklagen, daß dieſelben mit
einem Firniſſe uͤberzogen worden, welcher nach und nach die Farben ab-
blaͤttert und abſpringen macht; ich habe innerhalb zween Monaten Stuͤcke
von dem Achilles abfallen ſehen.

Zuletzt iſt mit ein paar Worten von dem Gebrauche bey den Alten
zu reden, die Gemaͤlde vor dem Nachtheile, welchen ſie von der Luft oder
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Wachſe,
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[286/0336] I Theil. Viertes Capitel. ren, welche alle Kenner bewundern, auf einem ſchwarzen Grunde ausge- fuͤhret: dieſe Geſchwindigkeit aber war ſo ſicher, als das Schickfal, durch die Wiſſenſchaft und Fertigkeit geworden. Die Art zu malen bey den Alten war geſchickter, als die heutige, einen hohen Grad des Lebens und des wahren Fleiſches zu erreichen: denn da alle Farben in Oel verlieren, das iſt, dunkeler werden, ſo bleibet die Malerey in Oel allezeit unter dem Leben. In den mehreſten alten Gemaͤlden ſind die Lichter und Schat- ten durch parallele, oder gleichlaufende, und zuweilen durch gekreuzte Stri- che geſetzt, welches im Welſchen tratteggiare heißt, und an dieſe Art hat ſich auch Raphael zuweilen gehalten. Andere, ſonderlich groͤßere Fi- guren der Alten, ſind auf Oelfarben Art vertieft und erhoben, das iſt, durch ganze Maſſen von degradirten und anwachſenden Tinten, und dieſe ſind in dem Ganymedes meiſterhaft in einander geſchmolzen. Auf eben dieſem großen Wege iſt die Barberiniſche vermeynte Venus, und die zu- letzt entdeckten viel kleinen Gemaͤlde des Herculaniſchen Muſei, gemalet, welche dennoch auch in einigen Koͤpfen uͤber die Schatten mit Strichen ſchattiret ſind. An den Herculaniſchen Gemaͤlden iſt zu beklagen, daß dieſelben mit einem Firniſſe uͤberzogen worden, welcher nach und nach die Farben ab- blaͤttert und abſpringen macht; ich habe innerhalb zween Monaten Stuͤcke von dem Achilles abfallen ſehen. Zuletzt iſt mit ein paar Worten von dem Gebrauche bey den Alten zu reden, die Gemaͤlde vor dem Nachtheile, welchen ſie von der Luft oder der Feuchtigkeit leiden koͤnnten, zu verwahren. Dieſes geſchah mit Wachſe,

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/336>, abgerufen am 24.11.2024.