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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.

Die alten Künstler werden ohngefähr wie die Neueren, in Anlagen
der Gemälde auf nassen Gründen, verfahren seyn. Itzo, nachdem der
Carton in groß gezeichnet ist, und so viel feuchter Grund, als in einem Ta-
ge kann ausgeführet werden, angeleget worden, wird der Umriß der Figu-
ren, und der vornehmsten Theile derselben, auf dem Carton mit einer Nadel
durchlöchert. Dieses Stück der Zeichnung wird an den aufgetragenen
Grund gehalten, und man stäubet fein gestoßene Kohlen durch die gesto-
chenen Löcher, wodurch die Umrisse auf dem Grunde angedeutet werden.
Dieses nennet man im Deutschen durchbaußen; und eben so verfuhr auch
Raphael, wie ich an einem mit schwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe
desselben, in der Sammlung der Zeichnungen des Herrn Cardinals Alexander
Albani, sehe. Diesen angestäubten Umrissen fährt man mit einem spitzigen
Stifte nach, und es werden dieselben in dem feuchten Grunde eingedrucket;
und diese eingedruckten Umrisse zeigen sich deutlich auf den Werken des Mi-
chael Angelo
und des Raphaels. In diesem letzten Puncte aber sind die al-
ten Künstler von den Neuern verschieden: denn auf alten Gemälden findet
sich der Umriß nicht eingedruckt, sondern die Figuren sind, wie auf Holz, oder
auf Leinewand, mit großer Fertigkeit und Zuversicht gemalet.

Die Malerey auf nassen Gründen muß bey den Alten weniger ge-
mein, als auf trockenen Gründen gewesen seyn: denn die mehresten Hercu-
lanischen Gemälde sind von dieser letzten Art. Man erkennet dieselben an
den verschiedenen Lagen von Farben: denn an einigen ist z. E. der Grund
schwarz; auf diesem Grunde ist ein Feld von verschiedener Form, oder auch
ein langer Streif, mit Cinnober aufgetragen, und auf diesem zweyten Grun-

de
I Theil. Viertes Capitel.

Die alten Kuͤnſtler werden ohngefaͤhr wie die Neueren, in Anlagen
der Gemaͤlde auf naſſen Gruͤnden, verfahren ſeyn. Itzo, nachdem der
Carton in groß gezeichnet iſt, und ſo viel feuchter Grund, als in einem Ta-
ge kann ausgefuͤhret werden, angeleget worden, wird der Umriß der Figu-
ren, und der vornehmſten Theile derſelben, auf dem Carton mit einer Nadel
durchloͤchert. Dieſes Stuͤck der Zeichnung wird an den aufgetragenen
Grund gehalten, und man ſtaͤubet fein geſtoßene Kohlen durch die geſto-
chenen Loͤcher, wodurch die Umriſſe auf dem Grunde angedeutet werden.
Dieſes nennet man im Deutſchen durchbaußen; und eben ſo verfuhr auch
Raphael, wie ich an einem mit ſchwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe
deſſelben, in der Sammlung der Zeichnungen des Herrn Cardinals Alexander
Albani, ſehe. Dieſen angeſtaͤubten Umriſſen faͤhrt man mit einem ſpitzigen
Stifte nach, und es werden dieſelben in dem feuchten Grunde eingedrucket;
und dieſe eingedruckten Umriſſe zeigen ſich deutlich auf den Werken des Mi-
chael Angelo
und des Raphaels. In dieſem letzten Puncte aber ſind die al-
ten Kuͤnſtler von den Neuern verſchieden: denn auf alten Gemaͤlden findet
ſich der Umriß nicht eingedruckt, ſondern die Figuren ſind, wie auf Holz, oder
auf Leinewand, mit großer Fertigkeit und Zuverſicht gemalet.

Die Malerey auf naſſen Gruͤnden muß bey den Alten weniger ge-
mein, als auf trockenen Gruͤnden geweſen ſeyn: denn die mehreſten Hercu-
laniſchen Gemaͤlde ſind von dieſer letzten Art. Man erkennet dieſelben an
den verſchiedenen Lagen von Farben: denn an einigen iſt z. E. der Grund
ſchwarz; auf dieſem Grunde iſt ein Feld von verſchiedener Form, oder auch
ein langer Streif, mit Cinnober aufgetragen, und auf dieſem zweyten Grun-

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[284/0334] I Theil. Viertes Capitel. Die alten Kuͤnſtler werden ohngefaͤhr wie die Neueren, in Anlagen der Gemaͤlde auf naſſen Gruͤnden, verfahren ſeyn. Itzo, nachdem der Carton in groß gezeichnet iſt, und ſo viel feuchter Grund, als in einem Ta- ge kann ausgefuͤhret werden, angeleget worden, wird der Umriß der Figu- ren, und der vornehmſten Theile derſelben, auf dem Carton mit einer Nadel durchloͤchert. Dieſes Stuͤck der Zeichnung wird an den aufgetragenen Grund gehalten, und man ſtaͤubet fein geſtoßene Kohlen durch die geſto- chenen Loͤcher, wodurch die Umriſſe auf dem Grunde angedeutet werden. Dieſes nennet man im Deutſchen durchbaußen; und eben ſo verfuhr auch Raphael, wie ich an einem mit ſchwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe deſſelben, in der Sammlung der Zeichnungen des Herrn Cardinals Alexander Albani, ſehe. Dieſen angeſtaͤubten Umriſſen faͤhrt man mit einem ſpitzigen Stifte nach, und es werden dieſelben in dem feuchten Grunde eingedrucket; und dieſe eingedruckten Umriſſe zeigen ſich deutlich auf den Werken des Mi- chael Angelo und des Raphaels. In dieſem letzten Puncte aber ſind die al- ten Kuͤnſtler von den Neuern verſchieden: denn auf alten Gemaͤlden findet ſich der Umriß nicht eingedruckt, ſondern die Figuren ſind, wie auf Holz, oder auf Leinewand, mit großer Fertigkeit und Zuverſicht gemalet. Die Malerey auf naſſen Gruͤnden muß bey den Alten weniger ge- mein, als auf trockenen Gruͤnden geweſen ſeyn: denn die mehreſten Hercu- laniſchen Gemaͤlde ſind von dieſer letzten Art. Man erkennet dieſelben an den verſchiedenen Lagen von Farben: denn an einigen iſt z. E. der Grund ſchwarz; auf dieſem Grunde iſt ein Feld von verſchiedener Form, oder auch ein langer Streif, mit Cinnober aufgetragen, und auf dieſem zweyten Grun- de

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/334>, abgerufen am 24.11.2024.