Die alten Künstler werden ohngefähr wie die Neueren, in Anlagen der Gemälde auf nassen Gründen, verfahren seyn. Itzo, nachdem der Carton in groß gezeichnet ist, und so viel feuchter Grund, als in einem Ta- ge kann ausgeführet werden, angeleget worden, wird der Umriß der Figu- ren, und der vornehmsten Theile derselben, auf dem Carton mit einer Nadel durchlöchert. Dieses Stück der Zeichnung wird an den aufgetragenen Grund gehalten, und man stäubet fein gestoßene Kohlen durch die gesto- chenen Löcher, wodurch die Umrisse auf dem Grunde angedeutet werden. Dieses nennet man im Deutschen durchbaußen; und eben so verfuhr auch Raphael, wie ich an einem mit schwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe desselben, in der Sammlung der Zeichnungen des Herrn Cardinals Alexander Albani, sehe. Diesen angestäubten Umrissen fährt man mit einem spitzigen Stifte nach, und es werden dieselben in dem feuchten Grunde eingedrucket; und diese eingedruckten Umrisse zeigen sich deutlich auf den Werken des Mi- chael Angelo und des Raphaels. In diesem letzten Puncte aber sind die al- ten Künstler von den Neuern verschieden: denn auf alten Gemälden findet sich der Umriß nicht eingedruckt, sondern die Figuren sind, wie auf Holz, oder auf Leinewand, mit großer Fertigkeit und Zuversicht gemalet.
Die Malerey auf nassen Gründen muß bey den Alten weniger ge- mein, als auf trockenen Gründen gewesen seyn: denn die mehresten Hercu- lanischen Gemälde sind von dieser letzten Art. Man erkennet dieselben an den verschiedenen Lagen von Farben: denn an einigen ist z. E. der Grund schwarz; auf diesem Grunde ist ein Feld von verschiedener Form, oder auch ein langer Streif, mit Cinnober aufgetragen, und auf diesem zweyten Grun-
de
I Theil. Viertes Capitel.
Die alten Kuͤnſtler werden ohngefaͤhr wie die Neueren, in Anlagen der Gemaͤlde auf naſſen Gruͤnden, verfahren ſeyn. Itzo, nachdem der Carton in groß gezeichnet iſt, und ſo viel feuchter Grund, als in einem Ta- ge kann ausgefuͤhret werden, angeleget worden, wird der Umriß der Figu- ren, und der vornehmſten Theile derſelben, auf dem Carton mit einer Nadel durchloͤchert. Dieſes Stuͤck der Zeichnung wird an den aufgetragenen Grund gehalten, und man ſtaͤubet fein geſtoßene Kohlen durch die geſto- chenen Loͤcher, wodurch die Umriſſe auf dem Grunde angedeutet werden. Dieſes nennet man im Deutſchen durchbaußen; und eben ſo verfuhr auch Raphael, wie ich an einem mit ſchwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe deſſelben, in der Sammlung der Zeichnungen des Herrn Cardinals Alexander Albani, ſehe. Dieſen angeſtaͤubten Umriſſen faͤhrt man mit einem ſpitzigen Stifte nach, und es werden dieſelben in dem feuchten Grunde eingedrucket; und dieſe eingedruckten Umriſſe zeigen ſich deutlich auf den Werken des Mi- chael Angelo und des Raphaels. In dieſem letzten Puncte aber ſind die al- ten Kuͤnſtler von den Neuern verſchieden: denn auf alten Gemaͤlden findet ſich der Umriß nicht eingedruckt, ſondern die Figuren ſind, wie auf Holz, oder auf Leinewand, mit großer Fertigkeit und Zuverſicht gemalet.
Die Malerey auf naſſen Gruͤnden muß bey den Alten weniger ge- mein, als auf trockenen Gruͤnden geweſen ſeyn: denn die mehreſten Hercu- laniſchen Gemaͤlde ſind von dieſer letzten Art. Man erkennet dieſelben an den verſchiedenen Lagen von Farben: denn an einigen iſt z. E. der Grund ſchwarz; auf dieſem Grunde iſt ein Feld von verſchiedener Form, oder auch ein langer Streif, mit Cinnober aufgetragen, und auf dieſem zweyten Grun-
de
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0334"n="284"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi></fw><lb/><p>Die alten Kuͤnſtler werden ohngefaͤhr wie die Neueren, in Anlagen<lb/>
der Gemaͤlde auf naſſen Gruͤnden, verfahren ſeyn. Itzo, nachdem der<lb/>
Carton in groß gezeichnet iſt, und ſo viel feuchter Grund, als in einem Ta-<lb/>
ge kann ausgefuͤhret werden, angeleget worden, wird der Umriß der Figu-<lb/>
ren, und der vornehmſten Theile derſelben, auf dem Carton mit einer Nadel<lb/>
durchloͤchert. Dieſes Stuͤck der Zeichnung wird an den aufgetragenen<lb/>
Grund gehalten, und man ſtaͤubet fein geſtoßene Kohlen durch die geſto-<lb/>
chenen Loͤcher, wodurch die Umriſſe auf dem Grunde angedeutet werden.<lb/>
Dieſes nennet man im Deutſchen <hirendition="#fr">durchbaußen;</hi> und eben ſo verfuhr auch<lb/><hirendition="#fr">Raphael,</hi> wie ich an einem mit ſchwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe<lb/>
deſſelben, in der Sammlung der Zeichnungen des Herrn Cardinals Alexander<lb/>
Albani, ſehe. Dieſen angeſtaͤubten Umriſſen faͤhrt man mit einem ſpitzigen<lb/>
Stifte nach, und es werden dieſelben in dem feuchten Grunde eingedrucket;<lb/>
und dieſe eingedruckten Umriſſe zeigen ſich deutlich auf den Werken des <hirendition="#fr">Mi-<lb/>
chael Angelo</hi> und des <hirendition="#fr">Raphaels.</hi> In dieſem letzten Puncte aber ſind die al-<lb/>
ten Kuͤnſtler von den Neuern verſchieden: denn auf alten Gemaͤlden findet<lb/>ſich der Umriß nicht eingedruckt, ſondern die Figuren ſind, wie auf Holz, oder<lb/>
auf Leinewand, mit großer Fertigkeit und Zuverſicht gemalet.</p><lb/><p>Die Malerey auf naſſen Gruͤnden muß bey den Alten weniger ge-<lb/>
mein, als auf trockenen Gruͤnden geweſen ſeyn: denn die mehreſten Hercu-<lb/>
laniſchen Gemaͤlde ſind von dieſer letzten Art. Man erkennet dieſelben an<lb/>
den verſchiedenen Lagen von Farben: denn an einigen iſt z. E. der Grund<lb/>ſchwarz; auf dieſem Grunde iſt ein Feld von verſchiedener Form, oder auch<lb/>
ein langer Streif, mit Cinnober aufgetragen, und auf dieſem zweyten Grun-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">de</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[284/0334]
I Theil. Viertes Capitel.
Die alten Kuͤnſtler werden ohngefaͤhr wie die Neueren, in Anlagen
der Gemaͤlde auf naſſen Gruͤnden, verfahren ſeyn. Itzo, nachdem der
Carton in groß gezeichnet iſt, und ſo viel feuchter Grund, als in einem Ta-
ge kann ausgefuͤhret werden, angeleget worden, wird der Umriß der Figu-
ren, und der vornehmſten Theile derſelben, auf dem Carton mit einer Nadel
durchloͤchert. Dieſes Stuͤck der Zeichnung wird an den aufgetragenen
Grund gehalten, und man ſtaͤubet fein geſtoßene Kohlen durch die geſto-
chenen Loͤcher, wodurch die Umriſſe auf dem Grunde angedeutet werden.
Dieſes nennet man im Deutſchen durchbaußen; und eben ſo verfuhr auch
Raphael, wie ich an einem mit ſchwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe
deſſelben, in der Sammlung der Zeichnungen des Herrn Cardinals Alexander
Albani, ſehe. Dieſen angeſtaͤubten Umriſſen faͤhrt man mit einem ſpitzigen
Stifte nach, und es werden dieſelben in dem feuchten Grunde eingedrucket;
und dieſe eingedruckten Umriſſe zeigen ſich deutlich auf den Werken des Mi-
chael Angelo und des Raphaels. In dieſem letzten Puncte aber ſind die al-
ten Kuͤnſtler von den Neuern verſchieden: denn auf alten Gemaͤlden findet
ſich der Umriß nicht eingedruckt, ſondern die Figuren ſind, wie auf Holz, oder
auf Leinewand, mit großer Fertigkeit und Zuverſicht gemalet.
Die Malerey auf naſſen Gruͤnden muß bey den Alten weniger ge-
mein, als auf trockenen Gruͤnden geweſen ſeyn: denn die mehreſten Hercu-
laniſchen Gemaͤlde ſind von dieſer letzten Art. Man erkennet dieſelben an
den verſchiedenen Lagen von Farben: denn an einigen iſt z. E. der Grund
ſchwarz; auf dieſem Grunde iſt ein Feld von verſchiedener Form, oder auch
ein langer Streif, mit Cinnober aufgetragen, und auf dieſem zweyten Grun-
de
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/334>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.