ich nichts zu vergleichen; es blühet so viel Wollust auf demselben, daß dessen ganzes Leben nichts, als ein Kuß, zu seyn scheinet.
Dieses Gemälde entdeckte ein Fremder, welcher sich etwa vier Jahre vorher wohnhaft zu Rom niedergelassen hatte, der Ritter Diel von Mar- silly, aus der Normandie, ehemals Lieutenant von der Garde Grenadiers des Königs in Frankreich. Er ließ dasselbe von dem Orte, wo es stand, heimlich von der Mauer abnehmen, und da das Geheimniß dieser Entde- ckung nicht erlaubete, die Mauer zu sagen, und mit derselben das Ge- mälde ganz zu erhalten, so nahm er die oberste Bekleidung der Mauer stück- weis ab, und brachte auf diese Art diesen seltenen Schatz in viel Stücken nach Rom. Er bedienete sich, aus Furcht verrathen zu werden, und alle Ansprüche zu vermeiden, eines Maurers, welcher in seinem Hause arbei- tete, von welchem er eine Lage von Gips in der Größe des Gemäldes ma- chen ließ, und auf diesem Grunde fügte er selbst die Stücke aneinander.
Einige Zeit nachher ließ der Besitzer dieses Gemäldes zwey andere insgeheim nach Rom kommen, ebenfalls in abgelöseten Stücken, deren Zusammensetzung aber durch Kunstverständige besorget wurde. Diese zwey Stücke sind kleiner, und die Figuren zween Palme hoch. Das eine stellet drey tanzende Weibliche Figuren, wie in Frölichkeit nach der Wein- lese, vor, welche sich angefasset haben, und ein schön gestelletes Gruppo machen: sie heben alle dreye das rechte Bein auf, wie in einem abgemesse- nen Tanze. Sie sind nur im Unterkleide, welches ihnen bis auf die Knie gehen würde, im Springen aber bleibt ein Theil des Schenkels entblößt, so wie es die Brust ist, unter welcher das Unterkleid an zwo Figuren mit einem Gürtel angelegt ist. Das obere Gewand, oder Peplon, haben zwo derselben über die Achsel geworfen, und es flieget an der einen Figur, in geschlängelte Falten, nach Art Hetrurischer Gewänder, geworfen: die dritte Figur ist ohne dieses Gewand. Eine Männliche Figur, mit be-
kränztem
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Von der Kunſt unter den Griechen.
ich nichts zu vergleichen; es bluͤhet ſo viel Wolluſt auf demſelben, daß deſſen ganzes Leben nichts, als ein Kuß, zu ſeyn ſcheinet.
Dieſes Gemaͤlde entdeckte ein Fremder, welcher ſich etwa vier Jahre vorher wohnhaft zu Rom niedergelaſſen hatte, der Ritter Diel von Mar- ſilly, aus der Normandie, ehemals Lieutenant von der Garde Grenadiers des Koͤnigs in Frankreich. Er ließ daſſelbe von dem Orte, wo es ſtand, heimlich von der Mauer abnehmen, und da das Geheimniß dieſer Entde- ckung nicht erlaubete, die Mauer zu ſagen, und mit derſelben das Ge- maͤlde ganz zu erhalten, ſo nahm er die oberſte Bekleidung der Mauer ſtuͤck- weis ab, und brachte auf dieſe Art dieſen ſeltenen Schatz in viel Stuͤcken nach Rom. Er bedienete ſich, aus Furcht verrathen zu werden, und alle Anſpruͤche zu vermeiden, eines Maurers, welcher in ſeinem Hauſe arbei- tete, von welchem er eine Lage von Gips in der Groͤße des Gemaͤldes ma- chen ließ, und auf dieſem Grunde fuͤgte er ſelbſt die Stuͤcke aneinander.
Einige Zeit nachher ließ der Beſitzer dieſes Gemaͤldes zwey andere insgeheim nach Rom kommen, ebenfalls in abgeloͤſeten Stuͤcken, deren Zuſammenſetzung aber durch Kunſtverſtaͤndige beſorget wurde. Dieſe zwey Stuͤcke ſind kleiner, und die Figuren zween Palme hoch. Das eine ſtellet drey tanzende Weibliche Figuren, wie in Froͤlichkeit nach der Wein- leſe, vor, welche ſich angefaſſet haben, und ein ſchoͤn geſtelletes Gruppo machen: ſie heben alle dreye das rechte Bein auf, wie in einem abgemeſſe- nen Tanze. Sie ſind nur im Unterkleide, welches ihnen bis auf die Knie gehen wuͤrde, im Springen aber bleibt ein Theil des Schenkels entbloͤßt, ſo wie es die Bruſt iſt, unter welcher das Unterkleid an zwo Figuren mit einem Guͤrtel angelegt iſt. Das obere Gewand, oder Peplon, haben zwo derſelben uͤber die Achſel geworfen, und es flieget an der einen Figur, in geſchlaͤngelte Falten, nach Art Hetruriſcher Gewaͤnder, geworfen: die dritte Figur iſt ohne dieſes Gewand. Eine Maͤnnliche Figur, mit be-
kraͤnztem
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Von der Kunſt unter den Griechen.
ich nichts zu vergleichen; es bluͤhet ſo viel Wolluſt auf demſelben, daß deſſen
ganzes Leben nichts, als ein Kuß, zu ſeyn ſcheinet.
Dieſes Gemaͤlde entdeckte ein Fremder, welcher ſich etwa vier Jahre
vorher wohnhaft zu Rom niedergelaſſen hatte, der Ritter Diel von Mar-
ſilly, aus der Normandie, ehemals Lieutenant von der Garde Grenadiers
des Koͤnigs in Frankreich. Er ließ daſſelbe von dem Orte, wo es ſtand,
heimlich von der Mauer abnehmen, und da das Geheimniß dieſer Entde-
ckung nicht erlaubete, die Mauer zu ſagen, und mit derſelben das Ge-
maͤlde ganz zu erhalten, ſo nahm er die oberſte Bekleidung der Mauer ſtuͤck-
weis ab, und brachte auf dieſe Art dieſen ſeltenen Schatz in viel Stuͤcken
nach Rom. Er bedienete ſich, aus Furcht verrathen zu werden, und alle
Anſpruͤche zu vermeiden, eines Maurers, welcher in ſeinem Hauſe arbei-
tete, von welchem er eine Lage von Gips in der Groͤße des Gemaͤldes ma-
chen ließ, und auf dieſem Grunde fuͤgte er ſelbſt die Stuͤcke aneinander.
Einige Zeit nachher ließ der Beſitzer dieſes Gemaͤldes zwey andere
insgeheim nach Rom kommen, ebenfalls in abgeloͤſeten Stuͤcken, deren
Zuſammenſetzung aber durch Kunſtverſtaͤndige beſorget wurde. Dieſe
zwey Stuͤcke ſind kleiner, und die Figuren zween Palme hoch. Das eine
ſtellet drey tanzende Weibliche Figuren, wie in Froͤlichkeit nach der Wein-
leſe, vor, welche ſich angefaſſet haben, und ein ſchoͤn geſtelletes Gruppo
machen: ſie heben alle dreye das rechte Bein auf, wie in einem abgemeſſe-
nen Tanze. Sie ſind nur im Unterkleide, welches ihnen bis auf die Knie
gehen wuͤrde, im Springen aber bleibt ein Theil des Schenkels entbloͤßt,
ſo wie es die Bruſt iſt, unter welcher das Unterkleid an zwo Figuren mit
einem Guͤrtel angelegt iſt. Das obere Gewand, oder Peplon, haben zwo
derſelben uͤber die Achſel geworfen, und es flieget an der einen Figur, in
geſchlaͤngelte Falten, nach Art Hetruriſcher Gewaͤnder, geworfen: die
dritte Figur iſt ohne dieſes Gewand. Eine Maͤnnliche Figur, mit be-
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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/327>, abgerufen am 16.07.2024.
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