Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.Von der Kunst unter den Griechen. Alten 1). Da nun die Hetrurischen Gewänder mehrentheils in kleine Fal-ten geleget sind, welche, wie im vorigen Capitel angezeiget worden, fast parallel neben einander liegen, und da der älteste Griechische Stil, wel- chem der Hetrurische ähnlich war, es also auch in der Bekleidung gewesen ist, so kann man, auch ohne Ueberzeugung aus überbliebenen Denkmalen, chließen, daß die Griechischen Gewänder des älteren Stils jenen ähnlich gewesen seyn werden. Wir finden noch an Figuren aus der besten Zeit der Kunst den Mantel in platte Falten geleget, welches an einer Pallas auf Alexanders des Großen Münzen deutlich ist; daher solche Falten allein kein Zeichen des ältesten Stils sind, wofür sie insgemein genommen wer- den. In dem höchsten und schönsten Stile wurden die Falten mehr in Bogen gesenkt, und weil man die Mannigfaltigkeit suchte, wurden die Falten gebrochen, aber wie Zweige, die aus einem Stamme aus- gehen, und sie haben alle einen sanften Schwung. An großen Ge- wändern beobachtete man, die Falten in vereinigte Haufen zu halten, in welcher großen Art der Mantel der Niobe, das schönste Gewand aus dem ganzen Alterthume, ein Muster seyn kann. An die Bekleidung derselben, nemlich der Mutter, hat ein neuerer Künstler in seinen Betrachtungen über die Bildhauerey 2), nicht gedacht, wenn er vorgiebt, daß in den Ge- wändern der Niobe eine Monotonie herrsche, und daß die Falten ohne Verständniß in der Eintheilung sind. Wenn aber der Künstler Absicht war, die Schönheit des Nackenden zu zeigen, so setzten sie derselben die Pracht der Gewänder nach, wie wir an den Töchtern der Niobe sehen: ihre Kleider liegen ganz nahe am Fleische, und es sind nur die Hohlungen bedeckt; über die Höhen aber sind leichte Falten, als Zeichen eines Gewan- des, gezogen. In eben diesem Stile ist eine Diana 3) auf einem geschnitte- nen Steine, mit dem Namen des Künstlers EEI oU , gekleidet: die Schreib- 1) Perrault Paral. T. 1. p. 179. seq. 2) Falconet Refl. sur la Sculpt. p. 55. 3) Stosch Pier. gr. pl. 36. C c 3
Von der Kunſt unter den Griechen. Alten 1). Da nun die Hetruriſchen Gewaͤnder mehrentheils in kleine Fal-ten geleget ſind, welche, wie im vorigen Capitel angezeiget worden, faſt parallel neben einander liegen, und da der aͤlteſte Griechiſche Stil, wel- chem der Hetruriſche aͤhnlich war, es alſo auch in der Bekleidung geweſen iſt, ſo kann man, auch ohne Ueberzeugung aus uͤberbliebenen Denkmalen, chließen, daß die Griechiſchen Gewaͤnder des aͤlteren Stils jenen aͤhnlich geweſen ſeyn werden. Wir finden noch an Figuren aus der beſten Zeit der Kunſt den Mantel in platte Falten geleget, welches an einer Pallas auf Alexanders des Großen Muͤnzen deutlich iſt; daher ſolche Falten allein kein Zeichen des aͤlteſten Stils ſind, wofuͤr ſie insgemein genommen wer- den. In dem hoͤchſten und ſchoͤnſten Stile wurden die Falten mehr in Bogen geſenkt, und weil man die Mannigfaltigkeit ſuchte, wurden die Falten gebrochen, aber wie Zweige, die aus einem Stamme aus- gehen, und ſie haben alle einen ſanften Schwung. An großen Ge- waͤndern beobachtete man, die Falten in vereinigte Haufen zu halten, in welcher großen Art der Mantel der Niobe, das ſchoͤnſte Gewand aus dem ganzen Alterthume, ein Muſter ſeyn kann. An die Bekleidung derſelben, nemlich der Mutter, hat ein neuerer Kuͤnſtler in ſeinen Betrachtungen uͤber die Bildhauerey 2), nicht gedacht, wenn er vorgiebt, daß in den Ge- waͤndern der Niobe eine Monotonie herrſche, und daß die Falten ohne Verſtaͤndniß in der Eintheilung ſind. Wenn aber der Kuͤnſtler Abſicht war, die Schoͤnheit des Nackenden zu zeigen, ſo ſetzten ſie derſelben die Pracht der Gewaͤnder nach, wie wir an den Toͤchtern der Niobe ſehen: ihre Kleider liegen ganz nahe am Fleiſche, und es ſind nur die Hohlungen bedeckt; uͤber die Hoͤhen aber ſind leichte Falten, als Zeichen eines Gewan- des, gezogen. In eben dieſem Stile iſt eine Diana 3) auf einem geſchnitte- nen Steine, mit dem Namen des Kuͤnſtlers ΗΕΙ ͦϒ , gekleidet: die Schreib- 1) Perrault Paral. T. 1. p. 179. ſeq. 2) Falconet Refl. ſur la Sculpt. p. 55. 3) Stoſch Pier. gr. pl. 36. C c 3
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Von der Kunſt unter den Griechen.
Alten 1). Da nun die Hetruriſchen Gewaͤnder mehrentheils in kleine Fal-
ten geleget ſind, welche, wie im vorigen Capitel angezeiget worden, faſt
parallel neben einander liegen, und da der aͤlteſte Griechiſche Stil, wel-
chem der Hetruriſche aͤhnlich war, es alſo auch in der Bekleidung geweſen
iſt, ſo kann man, auch ohne Ueberzeugung aus uͤberbliebenen Denkmalen,
chließen, daß die Griechiſchen Gewaͤnder des aͤlteren Stils jenen aͤhnlich
geweſen ſeyn werden. Wir finden noch an Figuren aus der beſten Zeit
der Kunſt den Mantel in platte Falten geleget, welches an einer Pallas
auf Alexanders des Großen Muͤnzen deutlich iſt; daher ſolche Falten allein
kein Zeichen des aͤlteſten Stils ſind, wofuͤr ſie insgemein genommen wer-
den. In dem hoͤchſten und ſchoͤnſten Stile wurden die Falten mehr in
Bogen geſenkt, und weil man die Mannigfaltigkeit ſuchte, wurden
die Falten gebrochen, aber wie Zweige, die aus einem Stamme aus-
gehen, und ſie haben alle einen ſanften Schwung. An großen Ge-
waͤndern beobachtete man, die Falten in vereinigte Haufen zu halten, in
welcher großen Art der Mantel der Niobe, das ſchoͤnſte Gewand aus dem
ganzen Alterthume, ein Muſter ſeyn kann. An die Bekleidung derſelben,
nemlich der Mutter, hat ein neuerer Kuͤnſtler in ſeinen Betrachtungen
uͤber die Bildhauerey 2), nicht gedacht, wenn er vorgiebt, daß in den Ge-
waͤndern der Niobe eine Monotonie herrſche, und daß die Falten ohne
Verſtaͤndniß in der Eintheilung ſind. Wenn aber der Kuͤnſtler Abſicht
war, die Schoͤnheit des Nackenden zu zeigen, ſo ſetzten ſie derſelben die
Pracht der Gewaͤnder nach, wie wir an den Toͤchtern der Niobe ſehen:
ihre Kleider liegen ganz nahe am Fleiſche, und es ſind nur die Hohlungen
bedeckt; uͤber die Hoͤhen aber ſind leichte Falten, als Zeichen eines Gewan-
des, gezogen. In eben dieſem Stile iſt eine Diana 3) auf einem geſchnitte-
nen Steine, mit dem Namen des Kuͤnſtlers ΗΕΙ ͦϒ , gekleidet: die
Schreib-
1) Perrault Paral. T. 1. p. 179. ſeq.
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