Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.I Theil. Viertes Capitel. rade und Völlige wird die Großheit gebildet, und durch sanft gesenkte For-men das Zärtliche. Daß in diesem Profile eine Ursache der Schönheit liege, beweiset dessen Gegentheil: denn je stärker der Einbug der Nase ist, je mehr weicht jenes ab von der schönen Form; und wenn sich an einem Gesichte, welches man von der Seite sieht, ein schlechtes Profil zeiget, kann man ersparen, sich nach demselben, etwas schönes zu finden, umzu- sehen. Daß es aber in Werken der Kunst keine Form ist, welche ohne Grund aus den geraden Linien des ältesten Stils geblieben ist, beweiset die starkgesenkte Nase an Aegyptischen Figuren, bey allen geraden Umrissen derselben. Das, was die alten Scribenten eine viereckigte Nase nennen 1), ist vermuthlich nicht dasjenige, was Junius von einer völligen Nase 2) ausleget, als welches keinen Begriff giebt, sondern es wird dieses Wort von besagtem wenig gesenkten Profile zu verstehen seyn. Man könnte eine andere Auslegung des Worts viereckigt geben, und eine Nase verstehen, deren Fläche breit, und mit scharfen Ecken gearbeitet ist, wie die Giustinia- nische Pallas, und die sogenannte Vestale in eben diesem Pallaste haben; aber diese Form findet sich nur an Statuen des ältesten Stils, wie diese sind, und an diesen allein. genbranen. Die Schönheit der Augenbranen bestehet in einem dünnen Faden von Eine 1) Philostr. Heroic. p. 673. l. 22. p. 715. l. 27. 2) de Pict. vet. L. 3. c. 9. p. 157, 3) conf. Struys Voy. T. 2. p. 75. 4) Reines. Inscr. 126. Class. 1. Fabret. Inscr. c. 4. p. 322. n. 438. 5) Aristoph. Lysistr. v. 8. 6) In Toscana werden Personen mit solchen Augenbranen Stupori genannt.
I Theil. Viertes Capitel. rade und Voͤllige wird die Großheit gebildet, und durch ſanft geſenkte For-men das Zaͤrtliche. Daß in dieſem Profile eine Urſache der Schoͤnheit liege, beweiſet deſſen Gegentheil: denn je ſtaͤrker der Einbug der Naſe iſt, je mehr weicht jenes ab von der ſchoͤnen Form; und wenn ſich an einem Geſichte, welches man von der Seite ſieht, ein ſchlechtes Profil zeiget, kann man erſparen, ſich nach demſelben, etwas ſchoͤnes zu finden, umzu- ſehen. Daß es aber in Werken der Kunſt keine Form iſt, welche ohne Grund aus den geraden Linien des aͤlteſten Stils geblieben iſt, beweiſet die ſtarkgeſenkte Naſe an Aegyptiſchen Figuren, bey allen geraden Umriſſen derſelben. Das, was die alten Scribenten eine viereckigte Naſe nennen 1), iſt vermuthlich nicht dasjenige, was Junius von einer voͤlligen Naſe 2) ausleget, als welches keinen Begriff giebt, ſondern es wird dieſes Wort von beſagtem wenig geſenkten Profile zu verſtehen ſeyn. Man koͤnnte eine andere Auslegung des Worts viereckigt geben, und eine Naſe verſtehen, deren Flaͤche breit, und mit ſcharfen Ecken gearbeitet iſt, wie die Giuſtinia- niſche Pallas, und die ſogenannte Veſtale in eben dieſem Pallaſte haben; aber dieſe Form findet ſich nur an Statuen des aͤlteſten Stils, wie dieſe ſind, und an dieſen allein. genbranen. Die Schoͤnheit der Augenbranen beſtehet in einem duͤnnen Faden von Eine 1) Philoſtr. Heroic. p. 673. l. 22. p. 715. l. 27. 2) de Pict. vet. L. 3. c. 9. p. 157, 3) conf. Struys Voy. T. 2. p. 75. 4) Reineſ. Inſcr. 126. Claſſ. 1. Fabret. Inſcr. c. 4. p. 322. n. 438. 5) Ariſtoph. Lyſiſtr. v. 8. 6) In Toſcana werden Perſonen mit ſolchen Augenbranen Stupori genannt.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0228" n="178"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi></fw><lb/> rade und Voͤllige wird die Großheit gebildet, und durch ſanft geſenkte For-<lb/> men das Zaͤrtliche. Daß in dieſem Profile eine Urſache der Schoͤnheit<lb/> liege, beweiſet deſſen Gegentheil: denn je ſtaͤrker der Einbug der Naſe iſt,<lb/> je mehr weicht jenes ab von der ſchoͤnen Form; und wenn ſich an einem<lb/> Geſichte, welches man von der Seite ſieht, ein ſchlechtes Profil zeiget,<lb/> kann man erſparen, ſich nach demſelben, etwas ſchoͤnes zu finden, umzu-<lb/> ſehen. Daß es aber in Werken der Kunſt keine Form iſt, welche ohne<lb/> Grund aus den geraden Linien des aͤlteſten Stils geblieben iſt, beweiſet<lb/> die ſtarkgeſenkte Naſe an Aegyptiſchen Figuren, bey allen geraden Umriſſen<lb/> derſelben. Das, was die alten Scribenten eine <hi rendition="#fr">viereckigte Naſe</hi> nennen <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Philoſtr. Heroic. p. 673. l. 22. p. 715. l.</hi> 27.</note>,<lb/> iſt vermuthlich nicht dasjenige, was <hi rendition="#fr">Junius</hi> von einer voͤlligen Naſe <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">de Pict. vet. L. 3. c. 9. p.</hi> 157,</note><lb/> ausleget, als welches keinen Begriff giebt, ſondern es wird dieſes Wort<lb/> von beſagtem wenig geſenkten Profile zu verſtehen ſeyn. Man koͤnnte eine<lb/> andere Auslegung des Worts <hi rendition="#fr">viereckigt</hi> geben, und eine Naſe verſtehen,<lb/> deren Flaͤche breit, und mit ſcharfen Ecken gearbeitet iſt, wie die Giuſtinia-<lb/> niſche Pallas, und die ſogenannte Veſtale in eben dieſem Pallaſte haben;<lb/> aber dieſe Form findet ſich nur an Statuen des aͤlteſten Stils, wie dieſe<lb/> ſind, und an dieſen allein.</p><lb/> <note place="left">ββ Der An-<lb/> genbranen.</note> <p>Die Schoͤnheit der Augenbranen beſtehet in einem duͤnnen Faden von<lb/> Haͤrchen, wie ſich dieſelbe in der ſchoͤnſten Natur alſo findet <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">conf. Struys Voy. T. 2. p.</hi> 75.</note>, welches<lb/> in den ſchoͤnſten Koͤpfen in der Kunſt die faſt ſchneidende Schaͤrfe derſelben<lb/> vorſtellet: bey den Griechen hießen dieſelben, Augenbranen der Gratien <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Reineſ. Inſcr. 126. Claſſ. 1. Fabret. Inſcr. c. 4. p. 322. n.</hi> 438.</note>.<lb/> Wenn ſie aber ſehr gewoͤlbet waren, wurden ſie mit einem geſpannten Bo-<lb/> gen, oder mit Schnecken verglichen <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#aq">Ariſtoph. Lyſiſtr. v.</hi> 8.</note>, und ſind niemals fuͤr ſchoͤn ge-<lb/> halten worden <note place="foot" n="6)">In Toſcana werden Perſonen mit ſolchen Augenbranen <hi rendition="#aq">Stupori</hi> genannt.</note>.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Eine</fw><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [178/0228]
I Theil. Viertes Capitel.
rade und Voͤllige wird die Großheit gebildet, und durch ſanft geſenkte For-
men das Zaͤrtliche. Daß in dieſem Profile eine Urſache der Schoͤnheit
liege, beweiſet deſſen Gegentheil: denn je ſtaͤrker der Einbug der Naſe iſt,
je mehr weicht jenes ab von der ſchoͤnen Form; und wenn ſich an einem
Geſichte, welches man von der Seite ſieht, ein ſchlechtes Profil zeiget,
kann man erſparen, ſich nach demſelben, etwas ſchoͤnes zu finden, umzu-
ſehen. Daß es aber in Werken der Kunſt keine Form iſt, welche ohne
Grund aus den geraden Linien des aͤlteſten Stils geblieben iſt, beweiſet
die ſtarkgeſenkte Naſe an Aegyptiſchen Figuren, bey allen geraden Umriſſen
derſelben. Das, was die alten Scribenten eine viereckigte Naſe nennen 1),
iſt vermuthlich nicht dasjenige, was Junius von einer voͤlligen Naſe 2)
ausleget, als welches keinen Begriff giebt, ſondern es wird dieſes Wort
von beſagtem wenig geſenkten Profile zu verſtehen ſeyn. Man koͤnnte eine
andere Auslegung des Worts viereckigt geben, und eine Naſe verſtehen,
deren Flaͤche breit, und mit ſcharfen Ecken gearbeitet iſt, wie die Giuſtinia-
niſche Pallas, und die ſogenannte Veſtale in eben dieſem Pallaſte haben;
aber dieſe Form findet ſich nur an Statuen des aͤlteſten Stils, wie dieſe
ſind, und an dieſen allein.
Die Schoͤnheit der Augenbranen beſtehet in einem duͤnnen Faden von
Haͤrchen, wie ſich dieſelbe in der ſchoͤnſten Natur alſo findet 3), welches
in den ſchoͤnſten Koͤpfen in der Kunſt die faſt ſchneidende Schaͤrfe derſelben
vorſtellet: bey den Griechen hießen dieſelben, Augenbranen der Gratien 4).
Wenn ſie aber ſehr gewoͤlbet waren, wurden ſie mit einem geſpannten Bo-
gen, oder mit Schnecken verglichen 5), und ſind niemals fuͤr ſchoͤn ge-
halten worden 6).
Eine
1) Philoſtr. Heroic. p. 673. l. 22. p. 715. l. 27.
2) de Pict. vet. L. 3. c. 9. p. 157,
3) conf. Struys Voy. T. 2. p. 75.
4) Reineſ. Inſcr. 126. Claſſ. 1. Fabret. Inſcr. c. 4. p. 322. n. 438.
5) Ariſtoph. Lyſiſtr. v. 8.
6) In Toſcana werden Perſonen mit ſolchen Augenbranen Stupori genannt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |