Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.Von der Kunst unter den Griechen. rühmten Malers Timomachus war nicht im Schlachten der Widder vorge-stellet, die er für Heerführer der Griechen ansah, sondern nach geschehe- ner That 1), und da er zu sich selbst kam, und voller Verzweifelung und niedergeschlagen sitzend, sein Vergehen überdachte; und so ist er auf dem Trojanischen Marmor 2) im Campidoglio gebildet. Die Kinder der Me- dea in dem Gemälde gedachten Künstlers lächelten unter dem Dolche ihrer Mutter, deren Wuth mit Mitleiden über ihre Unschuld vermischet war. Berühmte Männer und regierende Personen sind in einer würdigen Die Weisheit der alten Künstler im Ausdrucke zeiget sich in mehre-d Erinnerung nemlich 1) Philostr. Vit. Apollon. L. 2. c. 10. 2) conf. Defcr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 384. Y 2
Von der Kunſt unter den Griechen. ruͤhmten Malers Timomachus war nicht im Schlachten der Widder vorge-ſtellet, die er fuͤr Heerfuͤhrer der Griechen anſah, ſondern nach geſchehe- ner That 1), und da er zu ſich ſelbſt kam, und voller Verzweifelung und niedergeſchlagen ſitzend, ſein Vergehen uͤberdachte; und ſo iſt er auf dem Trojaniſchen Marmor 2) im Campidoglio gebildet. Die Kinder der Me- dea in dem Gemaͤlde gedachten Kuͤnſtlers laͤchelten unter dem Dolche ihrer Mutter, deren Wuth mit Mitleiden uͤber ihre Unſchuld vermiſchet war. Beruͤhmte Maͤnner und regierende Perſonen ſind in einer wuͤrdigen Die Weisheit der alten Kuͤnſtler im Ausdrucke zeiget ſich in mehre-δ Erinnerung nemlich 1) Philoſtr. Vit. Apollon. L. 2. c. 10. 2) conf. Defcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 384. Y 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0221" n="171"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Kunſt unter den Griechen.</hi></fw><lb/> ruͤhmten Malers Timomachus war nicht im Schlachten der Widder vorge-<lb/> ſtellet, die er fuͤr Heerfuͤhrer der Griechen anſah, ſondern nach geſchehe-<lb/> ner That <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Philoſtr. Vit. Apollon. L. 2. c.</hi> 10.</note>, und da er zu ſich ſelbſt kam, und voller Verzweifelung und<lb/> niedergeſchlagen ſitzend, ſein Vergehen uͤberdachte; und ſo iſt er auf dem<lb/> Trojaniſchen Marmor <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">conf. Defcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p.</hi> 384.</note> im Campidoglio gebildet. Die Kinder der Me-<lb/> dea in dem Gemaͤlde gedachten Kuͤnſtlers laͤchelten unter dem Dolche ihrer<lb/> Mutter, deren Wuth mit Mitleiden uͤber ihre Unſchuld vermiſchet war.</p><lb/> <p>Beruͤhmte Maͤnner und regierende Perſonen ſind in einer wuͤrdigen<lb/> Faſſung vorgeſtellet, und wie dieſelben vor den Augen aller Welt erſcheinen<lb/> wuͤrden; die Statuen Roͤmiſcher Kaiſerinnen gleichen Heldinnen, entfernt<lb/> von aller gekuͤnſtelten Artigkeit in Gebaͤhrden, Stande und Handlungen:<lb/> wir ſehen in ihnen gleichſam die ſichtliche Weisheit, welche Plato fuͤr kei-<lb/> nen Vorwurf der Sinne haͤlt. So wie die zwo beruͤhmten Schulen der<lb/> alten Weltweiſen, in einem der Natur gemaͤßen Leben, die Stoiker in<lb/> dem Wohlſtande, das hoͤchſte Gut ſetzeten, ſo war auch hier ihrer Kuͤnſtler<lb/> Beobachtung auf die Wirkungen der ſich ſelbſt gelaſſenen Natur, und auf die<lb/> Wohlanſtaͤndigkeit gerichtet.</p><lb/> <p>Die Weisheit der alten Kuͤnſtler im Ausdrucke zeiget ſich in mehre-<note place="right">δ Erinnerung<lb/> uͤber den Aus-<lb/> druck neuerer<lb/> Kuͤnſtler.</note><lb/> rem Lichte durch das Gegentheil in den Werken des groͤßten Theils der<lb/> Kuͤnſtler neuerer Zeiten, welche nicht viel mit wenigen, ſondern wenig mit<lb/> viel angedeutet haben. Ihre Figuren ſind in Handlungen, wie die Co-<lb/> mici auf den Schauplaͤtzen der Alten, welche, um ſich bey hellem Tage<lb/> auch dem geringſten vom Poͤbel an dem aͤußerſten Ende verſtaͤndlich zu<lb/> machen, die Wahrheit uͤber ihre Graͤnzen aufblaͤhen muͤſſen, und der Aus-<lb/> druck des Geſichts gleichet den Masken der Alten, die aus eben dem Grun-<lb/> de ungeſtaltet waren. Dieſer uͤbertriebene Ausdruck wird ſelbſt in einer<lb/> Schrift, die in den Haͤnden junger Anfaͤnger in der Kunſt iſt, gelchret,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Y 2</fw><fw place="bottom" type="catch">nemlich</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [171/0221]
Von der Kunſt unter den Griechen.
ruͤhmten Malers Timomachus war nicht im Schlachten der Widder vorge-
ſtellet, die er fuͤr Heerfuͤhrer der Griechen anſah, ſondern nach geſchehe-
ner That 1), und da er zu ſich ſelbſt kam, und voller Verzweifelung und
niedergeſchlagen ſitzend, ſein Vergehen uͤberdachte; und ſo iſt er auf dem
Trojaniſchen Marmor 2) im Campidoglio gebildet. Die Kinder der Me-
dea in dem Gemaͤlde gedachten Kuͤnſtlers laͤchelten unter dem Dolche ihrer
Mutter, deren Wuth mit Mitleiden uͤber ihre Unſchuld vermiſchet war.
Beruͤhmte Maͤnner und regierende Perſonen ſind in einer wuͤrdigen
Faſſung vorgeſtellet, und wie dieſelben vor den Augen aller Welt erſcheinen
wuͤrden; die Statuen Roͤmiſcher Kaiſerinnen gleichen Heldinnen, entfernt
von aller gekuͤnſtelten Artigkeit in Gebaͤhrden, Stande und Handlungen:
wir ſehen in ihnen gleichſam die ſichtliche Weisheit, welche Plato fuͤr kei-
nen Vorwurf der Sinne haͤlt. So wie die zwo beruͤhmten Schulen der
alten Weltweiſen, in einem der Natur gemaͤßen Leben, die Stoiker in
dem Wohlſtande, das hoͤchſte Gut ſetzeten, ſo war auch hier ihrer Kuͤnſtler
Beobachtung auf die Wirkungen der ſich ſelbſt gelaſſenen Natur, und auf die
Wohlanſtaͤndigkeit gerichtet.
Die Weisheit der alten Kuͤnſtler im Ausdrucke zeiget ſich in mehre-
rem Lichte durch das Gegentheil in den Werken des groͤßten Theils der
Kuͤnſtler neuerer Zeiten, welche nicht viel mit wenigen, ſondern wenig mit
viel angedeutet haben. Ihre Figuren ſind in Handlungen, wie die Co-
mici auf den Schauplaͤtzen der Alten, welche, um ſich bey hellem Tage
auch dem geringſten vom Poͤbel an dem aͤußerſten Ende verſtaͤndlich zu
machen, die Wahrheit uͤber ihre Graͤnzen aufblaͤhen muͤſſen, und der Aus-
druck des Geſichts gleichet den Masken der Alten, die aus eben dem Grun-
de ungeſtaltet waren. Dieſer uͤbertriebene Ausdruck wird ſelbſt in einer
Schrift, die in den Haͤnden junger Anfaͤnger in der Kunſt iſt, gelchret,
nemlich
δ Erinnerung
uͤber den Aus-
druck neuerer
Kuͤnſtler.
1) Philoſtr. Vit. Apollon. L. 2. c. 10.
2) conf. Defcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 384.
Y 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |