Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.Von der Kunst unter den Griechen. ler lange auf dem Throne gesessen, und ihm wird noch itzo gehuldiget. Esist auch das Auge in vielen Künstlern eben so wenig, wie in Ungelehrten, richtig, und sie sind nicht verschiedener in Nachahmung der wahren Farbe der Vorwürfe, als in Bildung des Schönen. Barocci, einer der berühm- testen Maler, welcher nach dem Raphael studiret hat, ist an seinen Gewän- dern, noch mehr aber an seinen Profilen, kenntlich, an welchen die Nase ins- gemein sehr eingedruckt ist. Pietro von Cortona ist es durch das klein- liche und unterwerts platte Kinn seiner Köpfe, und dieses sind gleichwohl Maler der Römischen Schule: in andern Schulen von Italien finden sich noch unvollkommenere Begriffe. Die von der zwoten Art, nemlich die Zweifeler wider die Richtig- Je Winckelm. Gesch. der Kunst. T
Von der Kunſt unter den Griechen. ler lange auf dem Throne geſeſſen, und ihm wird noch itzo gehuldiget. Esiſt auch das Auge in vielen Kuͤnſtlern eben ſo wenig, wie in Ungelehrten, richtig, und ſie ſind nicht verſchiedener in Nachahmung der wahren Farbe der Vorwuͤrfe, als in Bildung des Schoͤnen. Barocci, einer der beruͤhm- teſten Maler, welcher nach dem Raphael ſtudiret hat, iſt an ſeinen Gewaͤn- dern, noch mehr aber an ſeinen Profilen, kenntlich, an welchen die Naſe ins- gemein ſehr eingedruckt iſt. Pietro von Cortona iſt es durch das klein- liche und unterwerts platte Kinn ſeiner Koͤpfe, und dieſes ſind gleichwohl Maler der Roͤmiſchen Schule: in andern Schulen von Italien finden ſich noch unvollkommenere Begriffe. Die von der zwoten Art, nemlich die Zweifeler wider die Richtig- Je Winckelm. Geſch. der Kunſt. T
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Von der Kunſt unter den Griechen.
ler lange auf dem Throne geſeſſen, und ihm wird noch itzo gehuldiget. Es
iſt auch das Auge in vielen Kuͤnſtlern eben ſo wenig, wie in Ungelehrten,
richtig, und ſie ſind nicht verſchiedener in Nachahmung der wahren Farbe
der Vorwuͤrfe, als in Bildung des Schoͤnen. Barocci, einer der beruͤhm-
teſten Maler, welcher nach dem Raphael ſtudiret hat, iſt an ſeinen Gewaͤn-
dern, noch mehr aber an ſeinen Profilen, kenntlich, an welchen die Naſe ins-
gemein ſehr eingedruckt iſt. Pietro von Cortona iſt es durch das klein-
liche und unterwerts platte Kinn ſeiner Koͤpfe, und dieſes ſind gleichwohl
Maler der Roͤmiſchen Schule: in andern Schulen von Italien finden ſich
noch unvollkommenere Begriffe.
Die von der zwoten Art, nemlich die Zweifeler wider die Richtig-
keit der Begriffe der Schoͤnheit, gruͤnden ſich vornehmlich auf die Begriffe
des Schoͤnen unter entlegenen Voͤlkern, die ihrer verſchiedenen Geſichts-
bildung zufolge, auch verſchieden von den unſrigen ſeyn muͤſſen. Denn ſo
wie viele Voͤlker die Farbe ihrer Schoͤnen mit Ebenholz (welche ſo, wie
dieſes, glaͤnzender, als anderes Holz, und als eine weiße Haut iſt) verglei-
chen wuͤrden, da wir dieſelbe mit Elfenbein vergleichen, eben ſo, ſagen ſie,
werden vielleicht bey jenen die Vergleichungen der Formen des Geſichts mit
Thieren gemacht werden, an welchen uns eben die Theile ungeſtalt und
haͤßlich ſcheinen. Ich geſtehe, daß man auch in den Europaͤiſchen Bil-
dungen aͤhnliche Formen mit der Bildung der Thiere finden kann, und
Otto van Veen, der Meiſter des Rubens, hat dieſes in einer beſondern
Schrift gezeiget: man wird aber auch zugeben muͤſſen, daß, je ſtaͤrker dieſe
Aehnlichkeit an einigen Theilen iſt, deſto mehr weichet die Forme von den
Eigenſchaften unſers Geſchlechts ab, und es wird dieſelbe theils ausſchwei-
fend, theils uͤbertrieben, wodurch die Harmonie unterbrochen, und die
Einheit und Einfalt geſtoͤret wird, als worinn die Schoͤnheit beſtehet,
wie ich unten zeige.
Je
Winckelm. Geſch. der Kunſt. T
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