Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.I Theil. Drittes Capitel. Schaam, die in einem Beutel stecket, welcher mit Bändern um die Hüftengebunden ist, daß man es wider den Wohlstand gehalten habe, ganz nackte Figuren vorzustellen. Wenn man aus den ältesten geschnittenen Steinen der Hetrurier ur- Um welche Zeit sich dieser Stil völlig gebildet, läßt sich nicht bestim- Grie-
I Theil. Drittes Capitel. Schaam, die in einem Beutel ſtecket, welcher mit Baͤndern um die Huͤftengebunden iſt, daß man es wider den Wohlſtand gehalten habe, ganz nackte Figuren vorzuſtellen. Wenn man aus den aͤlteſten geſchnittenen Steinen der Hetrurier ur- Um welche Zeit ſich dieſer Stil voͤllig gebildet, laͤßt ſich nicht beſtim- Grie-
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I Theil. Drittes Capitel.
Schaam, die in einem Beutel ſtecket, welcher mit Baͤndern um die Huͤften
gebunden iſt, daß man es wider den Wohlſtand gehalten habe, ganz nackte
Figuren vorzuſtellen.
Wenn man aus den aͤlteſten geſchnittenen Steinen der Hetrurier ur-
theilen wollte, ſo wuͤrde man glauben, der erſte Stil ſey nicht allgemein,
wenigſtens nicht unter Steinſchneidern, geweſen. Denn an den Figuren
auf Steinen iſt alles knolligt und Kugelmaͤßig, welches das Gegentheil
von den angegebenen Kennzeichen des erſten Stils waͤre: eins aber wi-
derſpricht dem andern nicht. Denn wenn ihre Steine, wie itzo, mit dem
Rade geſchnitten worden, wie der Anblick ſelbſt zu geben ſcheinet, ſo war
der leichteſte Weg, im Drehen durch Rundungen eine Figur auszuarbeiten,
und hervor zu bringen, und vermuthlich verſtanden die aͤlteſten Steinſchnei-
der nicht, mit ſehr ſpitzigen Eiſen zu arbeiten: die kugelichten Formen waͤ-
ren alſo kein Grundſatz der Kunſt, ſondern ein Mechaniſcher Weg in der
Arbeit. Die geſchnittenen Steine ihrer erſten Zeiten aber ſind das Gegen-
theil ihrer erſten und aͤlteſten Figuren in Marmor und in Erzt, und es wird
aus jenen offenbar, daß ſich die Verbeſſerung der Kunſt mit einem ſtarken
Ausdrucke, und mit einer empfindlichen Andeutung der Theile an ihren
Figuren angefangen habe, welches ſich auch an einigen Werken in Marmor
zeiget; und dieſes iſt das Kennzeichen der beſten Zeiten ihrer Kunſt.
Um welche Zeit ſich dieſer Stil voͤllig gebildet, laͤßt ſich nicht beſtim-
men, es iſt aber wahrſcheinlich, daß es mit der Verbeſſerung der Griechi-
ſchen Kunſt zu gleicher Zeit eingetroffen ſey. Denn man kann ſich die Zeit
vor und unter dem Phidias, wie die Wiederherſtellung der Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften in neueren Zeiten, vorſtellen, welche nicht in einem einzigen
Lande allein anfieng, und ſich in andere Laͤnder ausbreitete, ſondern die
ganze Natur der Menſchenkinder ſchien damals in allen Laͤndern rege zu
werden, und die großen Erfindungen thaten ſich mit einmal hervor. In
Grie-
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