Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Baron wurde nur zorniger, je mehr er fühlte, wie weh er seinem Kinde gethan. Die Baronin merkte nun wohl, etwas Besonderes müsse vorgefallen sein, und alle Einwendungen, die sie früher in der Verschwiegenheit ihres Herzens gegen die Heirath mit dem Ausländer gehabt, waren sonderbarer Weise im Nu aus ihrem Gedächtnis weggewischt; in diesem Augenblicke dachte sie nur an ihre Tochter. O Mutter! rief Marie, ihr in heisen Thränen um den Hals fallend, reden Sie mit dem Vater. Aber die Baronin kannte ihren Mann und schwieg. Sachte nahm sie Mariens Hände in die ihrigen und zog sie still mit sich hinaus. Weine nicht so! sagte sie draußen zu ihr, die Leute sollen nicht merken, was zwischen uns vorgefallen ist. Geh nur jetzt, ich kann besser mit dem Vater reden, wenn du nicht dabei bist. Es ist gewiß nur ein Missverständnis und wird sich beilegen lassen. Du weißt ja, wie aufbrausend der Vater ist. Aber Marie schüttelte heftig verneinend den Kopf: so hatte sie ihn nie gesehen. Lege dich nieder, sagte die Mutter, die sie unterdessen zu ihrem Zimmer geführt, aber warte auf mich, ich komme noch einmal zu dir. Gehorsam suchte Marie ihre Thränen zu bezwingen, allein es wollte nicht gelingen. Auch niederlegen konnte sie sich nicht, dazu war ihre Unruhe zu groß. Sie war zu vernünftig, um sich einer Täuschung hingeben zu können. Ihr Vater mußte guten Grund haben, um so aufzutreten gegen sein einziges Kind, und wenn er im Rechte war, was konnte sie thun? Wie die Zukunft für sie werden sollte ohne Louis, das wußte sie nicht, aber sich gegen den Willen ihres Vaters aufzulehnen, daran dachte Marie nicht! Ihre Mutter kam lange nicht, das Zimmer war kühl, ihre Aufregung ließ es ihr noch kälter erscheinen, und sie Baron wurde nur zorniger, je mehr er fühlte, wie weh er seinem Kinde gethan. Die Baronin merkte nun wohl, etwas Besonderes müsse vorgefallen sein, und alle Einwendungen, die sie früher in der Verschwiegenheit ihres Herzens gegen die Heirath mit dem Ausländer gehabt, waren sonderbarer Weise im Nu aus ihrem Gedächtnis weggewischt; in diesem Augenblicke dachte sie nur an ihre Tochter. O Mutter! rief Marie, ihr in heisen Thränen um den Hals fallend, reden Sie mit dem Vater. Aber die Baronin kannte ihren Mann und schwieg. Sachte nahm sie Mariens Hände in die ihrigen und zog sie still mit sich hinaus. Weine nicht so! sagte sie draußen zu ihr, die Leute sollen nicht merken, was zwischen uns vorgefallen ist. Geh nur jetzt, ich kann besser mit dem Vater reden, wenn du nicht dabei bist. Es ist gewiß nur ein Missverständnis und wird sich beilegen lassen. Du weißt ja, wie aufbrausend der Vater ist. Aber Marie schüttelte heftig verneinend den Kopf: so hatte sie ihn nie gesehen. Lege dich nieder, sagte die Mutter, die sie unterdessen zu ihrem Zimmer geführt, aber warte auf mich, ich komme noch einmal zu dir. Gehorsam suchte Marie ihre Thränen zu bezwingen, allein es wollte nicht gelingen. Auch niederlegen konnte sie sich nicht, dazu war ihre Unruhe zu groß. Sie war zu vernünftig, um sich einer Täuschung hingeben zu können. Ihr Vater mußte guten Grund haben, um so aufzutreten gegen sein einziges Kind, und wenn er im Rechte war, was konnte sie thun? Wie die Zukunft für sie werden sollte ohne Louis, das wußte sie nicht, aber sich gegen den Willen ihres Vaters aufzulehnen, daran dachte Marie nicht! 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Ihre Mutter kam lange nicht, das Zimmer war kühl, ihre Aufregung ließ es ihr noch kälter erscheinen, und sie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
Baron wurde nur zorniger, je mehr er fühlte, wie weh er seinem Kinde gethan. Die Baronin merkte nun wohl, etwas Besonderes müsse vorgefallen sein, und alle Einwendungen, die sie früher in der Verschwiegenheit ihres Herzens gegen die Heirath mit dem Ausländer gehabt, waren sonderbarer Weise im Nu aus ihrem Gedächtnis weggewischt; in diesem Augenblicke dachte sie nur an ihre Tochter.
O Mutter! rief Marie, ihr in heisen Thränen um den Hals fallend, reden Sie mit dem Vater. Aber die Baronin kannte ihren Mann und schwieg. Sachte nahm sie Mariens Hände in die ihrigen und zog sie still mit sich hinaus.
Weine nicht so! sagte sie draußen zu ihr, die Leute sollen nicht merken, was zwischen uns vorgefallen ist. Geh nur jetzt, ich kann besser mit dem Vater reden, wenn du nicht dabei bist. Es ist gewiß nur ein Missverständnis und wird sich beilegen lassen. Du weißt ja, wie aufbrausend der Vater ist.
Aber Marie schüttelte heftig verneinend den Kopf: so hatte sie ihn nie gesehen.
Lege dich nieder, sagte die Mutter, die sie unterdessen zu ihrem Zimmer geführt, aber warte auf mich, ich komme noch einmal zu dir.
Gehorsam suchte Marie ihre Thränen zu bezwingen, allein es wollte nicht gelingen. Auch niederlegen konnte sie sich nicht, dazu war ihre Unruhe zu groß.
Sie war zu vernünftig, um sich einer Täuschung hingeben zu können. Ihr Vater mußte guten Grund haben, um so aufzutreten gegen sein einziges Kind, und wenn er im Rechte war, was konnte sie thun? Wie die Zukunft für sie werden sollte ohne Louis, das wußte sie nicht, aber sich gegen den Willen ihres Vaters aufzulehnen, daran dachte Marie nicht! Ihre Mutter kam lange nicht, das Zimmer war kühl, ihre Aufregung ließ es ihr noch kälter erscheinen, und sie
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