Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Das ist mein Grundsatz, den ich Ihnen ebenfalls zur Befolgung empfehle. Ce qu'attendant, verbleibe ich Ihr ergebener Leon de Chanteloup." Und das war mein Vater! rief Louis mit grimmigem Zähneknirschen, indem er den Brief zusammenballte und zornig zur Erde warf. Er hob den Fuß, ihn zu zertreten, als ihm einfiel, das die Thränen seiner Mutter darauf gefallen. Gerührt hob er ihn auf, glättete ihn sorgfältig und schloss ihn andächtig in seine Brieftasche ein. Jetzt wusste er endlich, warum das Leben ihr gar so schwer zu tragen gewesen. Sein Kind ergebet und ihr nachheriges vollständiges Schweigen, Alles war ihm verständlich jetzt; denn sein Vater war eines Tages todt gefunden worden in der Nähe von Paris, und ein Gerücht wollte wissen, er habe sich, um seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen zu entfliehen, selbst entleibt. Daß er an der Verzeihung verzweifelt, die ihr liebendes Herz ihm so gern ertheilt hatte, das er gestorben war, ohne Weib und Kind wiederzusehen, ja ohne ein letztes Zeichen der Reue oder der Erinnerung an sie, das war es, was sie ihm vielleicht nie ganz verzieh. An sein zerstörtes Vermögen dachte Louis nicht. Die unwürdige Behandlung, die seine Mutter erfahren, war es, was allein seine Seele füllte und seinem Schmerz um sie neue Kräfte lieh. Was ihr Leben nicht hatte erreichen können, das bewirkte nun ihr Tod. Er rief sich alle ihre Handlungen zurück, die abgebrochenen Worte, mit denen sie einen lieben, aber geheimen Wunsch nicht auszusprechen wagte, fielen ihm wieder ein; diesen Wunsch nun zu erfüllen und dadurch das Band, das der Tod zerrissen, im Grabe selbst, so zu sagen, wieder anzuknüpfen, wurde bei ihm zur fixen Idee. Er ergab sich religiösen Schwärmereien, schloß sich in seine vier Wände ein, und der Augenblick war vielleicht nicht fern, wo der letzte Sprosse des berühm- Das ist mein Grundsatz, den ich Ihnen ebenfalls zur Befolgung empfehle. Ce qu’attendant, verbleibe ich Ihr ergebener Leon de Chanteloup.“ Und das war mein Vater! rief Louis mit grimmigem Zähneknirschen, indem er den Brief zusammenballte und zornig zur Erde warf. Er hob den Fuß, ihn zu zertreten, als ihm einfiel, das die Thränen seiner Mutter darauf gefallen. Gerührt hob er ihn auf, glättete ihn sorgfältig und schloss ihn andächtig in seine Brieftasche ein. Jetzt wusste er endlich, warum das Leben ihr gar so schwer zu tragen gewesen. Sein Kind ergebet und ihr nachheriges vollständiges Schweigen, Alles war ihm verständlich jetzt; denn sein Vater war eines Tages todt gefunden worden in der Nähe von Paris, und ein Gerücht wollte wissen, er habe sich, um seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen zu entfliehen, selbst entleibt. Daß er an der Verzeihung verzweifelt, die ihr liebendes Herz ihm so gern ertheilt hatte, das er gestorben war, ohne Weib und Kind wiederzusehen, ja ohne ein letztes Zeichen der Reue oder der Erinnerung an sie, das war es, was sie ihm vielleicht nie ganz verzieh. An sein zerstörtes Vermögen dachte Louis nicht. Die unwürdige Behandlung, die seine Mutter erfahren, war es, was allein seine Seele füllte und seinem Schmerz um sie neue Kräfte lieh. Was ihr Leben nicht hatte erreichen können, das bewirkte nun ihr Tod. Er rief sich alle ihre Handlungen zurück, die abgebrochenen Worte, mit denen sie einen lieben, aber geheimen Wunsch nicht auszusprechen wagte, fielen ihm wieder ein; diesen Wunsch nun zu erfüllen und dadurch das Band, das der Tod zerrissen, im Grabe selbst, so zu sagen, wieder anzuknüpfen, wurde bei ihm zur fixen Idee. Er ergab sich religiösen Schwärmereien, schloß sich in seine vier Wände ein, und der Augenblick war vielleicht nicht fern, wo der letzte Sprosse des berühm- <TEI> <text> <body> <div n="3"> <floatingText> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0074"/> Das ist mein Grundsatz, den ich Ihnen ebenfalls zur Befolgung empfehle. Ce qu’attendant, verbleibe ich</p><lb/> <closer> <salute>Ihr ergebener</salute> <signed>Leon de Chanteloup.“</signed> </closer> </div> </body> </floatingText> <p>Und das war mein Vater! rief Louis mit grimmigem Zähneknirschen, indem er den Brief zusammenballte und zornig zur Erde warf. Er hob den Fuß, ihn zu zertreten, als ihm einfiel, das die Thränen seiner Mutter darauf gefallen. Gerührt hob er ihn auf, glättete ihn sorgfältig und schloss ihn andächtig in seine Brieftasche ein. Jetzt wusste er endlich, warum das Leben ihr gar so schwer zu tragen gewesen. Sein Kind ergebet und ihr nachheriges vollständiges Schweigen, Alles war ihm verständlich jetzt; denn sein Vater war eines Tages todt gefunden worden in der Nähe von Paris, und ein Gerücht wollte wissen, er habe sich, um seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen zu entfliehen, selbst entleibt. Daß er an der Verzeihung verzweifelt, die ihr liebendes Herz ihm so gern ertheilt hatte, das er gestorben war, ohne Weib und Kind wiederzusehen, ja ohne ein letztes Zeichen der Reue oder der Erinnerung an sie, das war es, was sie ihm vielleicht nie ganz verzieh.</p><lb/> <p>An sein zerstörtes Vermögen dachte Louis nicht. 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Das ist mein Grundsatz, den ich Ihnen ebenfalls zur Befolgung empfehle. Ce qu’attendant, verbleibe ich
Ihr ergebener Leon de Chanteloup.“ Und das war mein Vater! rief Louis mit grimmigem Zähneknirschen, indem er den Brief zusammenballte und zornig zur Erde warf. Er hob den Fuß, ihn zu zertreten, als ihm einfiel, das die Thränen seiner Mutter darauf gefallen. Gerührt hob er ihn auf, glättete ihn sorgfältig und schloss ihn andächtig in seine Brieftasche ein. Jetzt wusste er endlich, warum das Leben ihr gar so schwer zu tragen gewesen. Sein Kind ergebet und ihr nachheriges vollständiges Schweigen, Alles war ihm verständlich jetzt; denn sein Vater war eines Tages todt gefunden worden in der Nähe von Paris, und ein Gerücht wollte wissen, er habe sich, um seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen zu entfliehen, selbst entleibt. Daß er an der Verzeihung verzweifelt, die ihr liebendes Herz ihm so gern ertheilt hatte, das er gestorben war, ohne Weib und Kind wiederzusehen, ja ohne ein letztes Zeichen der Reue oder der Erinnerung an sie, das war es, was sie ihm vielleicht nie ganz verzieh.
An sein zerstörtes Vermögen dachte Louis nicht. Die unwürdige Behandlung, die seine Mutter erfahren, war es, was allein seine Seele füllte und seinem Schmerz um sie neue Kräfte lieh. Was ihr Leben nicht hatte erreichen können, das bewirkte nun ihr Tod. Er rief sich alle ihre Handlungen zurück, die abgebrochenen Worte, mit denen sie einen lieben, aber geheimen Wunsch nicht auszusprechen wagte, fielen ihm wieder ein; diesen Wunsch nun zu erfüllen und dadurch das Band, das der Tod zerrissen, im Grabe selbst, so zu sagen, wieder anzuknüpfen, wurde bei ihm zur fixen Idee. Er ergab sich religiösen Schwärmereien, schloß sich in seine vier Wände ein, und der Augenblick war vielleicht nicht fern, wo der letzte Sprosse des berühm-
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