Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Adele Wesemael, aus einer niederländischen Familie (der Vater war aus Prügge, die Mutter aus Gent), wurde im Jahre 1825 in Mecheln geboren, kam aber schon im dreizehnten Jahre nach Sachsen, von da im Jahre 1850 nach Österreich, wo sie ihren beständigen Wohnsitz aufschlug. Die deutsche Sprache lernte sie schon als Kind, da in ihrem elterlichen Hause für deutsche Bildung und Literatur eine große Vorliebe herrschte, und fast zu gleicher Zeit kamen Racine und Schiller in ihre Hände. Daß sie seitdem vollständig zur Deutschen geworden ist, bezeugt jede Seite ihrer Erzählungen, die zuerst von Leopold Kompert eingeführt, in Österreich verdiente Anerkennung gefunden haben, dem großen deutschen Publikum aber noch wenig bekannt geworden sind. Die hier mitgetheilte Novelle, wenn sie auch noch an einer gewissen Ungleichheit in der Gruppierung und Beherrschung des Stoffes leidet, erschien uns jedenfalls durch die energische Charakteristik und die Schärfe der Beobachtung so bedeutend, daß wir auf dies ungewöhnliche Talent, das weit über das Mittelmaß weiblicher Begabung hinausragt, in unserer Sammlung aufmerksam zu machen wünschten. Niemand wird der Entwicklung der Hauptfigur ohne den lebhaftesten Antheil folgen, was um so mehr für ein hohes Verdienst der künstlerischen Darstellung Zeugniß giebt, je weniger der Charakter dieser Leonie auf unsers Sympathien rechnen kann. Adele Wesemael, aus einer niederländischen Familie (der Vater war aus Prügge, die Mutter aus Gent), wurde im Jahre 1825 in Mecheln geboren, kam aber schon im dreizehnten Jahre nach Sachsen, von da im Jahre 1850 nach Österreich, wo sie ihren beständigen Wohnsitz aufschlug. Die deutsche Sprache lernte sie schon als Kind, da in ihrem elterlichen Hause für deutsche Bildung und Literatur eine große Vorliebe herrschte, und fast zu gleicher Zeit kamen Racine und Schiller in ihre Hände. Daß sie seitdem vollständig zur Deutschen geworden ist, bezeugt jede Seite ihrer Erzählungen, die zuerst von Leopold Kompert eingeführt, in Österreich verdiente Anerkennung gefunden haben, dem großen deutschen Publikum aber noch wenig bekannt geworden sind. Die hier mitgetheilte Novelle, wenn sie auch noch an einer gewissen Ungleichheit in der Gruppierung und Beherrschung des Stoffes leidet, erschien uns jedenfalls durch die energische Charakteristik und die Schärfe der Beobachtung so bedeutend, daß wir auf dies ungewöhnliche Talent, das weit über das Mittelmaß weiblicher Begabung hinausragt, in unserer Sammlung aufmerksam zu machen wünschten. Niemand wird der Entwicklung der Hauptfigur ohne den lebhaftesten Antheil folgen, was um so mehr für ein hohes Verdienst der künstlerischen Darstellung Zeugniß giebt, je weniger der Charakter dieser Leonie auf unsers Sympathien rechnen kann. <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0005"/> <div type="preface"> <p>Adele Wesemael, aus einer niederländischen Familie (der Vater war aus Prügge, die Mutter aus Gent), wurde im Jahre 1825 in Mecheln geboren, kam aber schon im dreizehnten Jahre nach Sachsen, von da im Jahre 1850 nach Österreich, wo sie ihren beständigen Wohnsitz aufschlug. Die deutsche Sprache lernte sie schon als Kind, da in ihrem elterlichen Hause für deutsche Bildung und Literatur eine große Vorliebe herrschte, und fast zu gleicher Zeit kamen Racine und Schiller in ihre Hände. Daß sie seitdem vollständig zur Deutschen geworden ist, bezeugt jede Seite ihrer Erzählungen, die zuerst von Leopold Kompert eingeführt, in Österreich verdiente Anerkennung gefunden haben, dem großen deutschen Publikum aber noch wenig bekannt geworden sind. Die hier mitgetheilte Novelle, wenn sie auch noch an einer gewissen Ungleichheit in der Gruppierung und Beherrschung des Stoffes leidet, erschien uns jedenfalls durch die energische Charakteristik und die Schärfe der Beobachtung so bedeutend, daß wir auf dies ungewöhnliche Talent, das weit über das Mittelmaß weiblicher Begabung hinausragt, in unserer Sammlung aufmerksam zu machen wünschten. Niemand wird der Entwicklung der Hauptfigur ohne den lebhaftesten Antheil folgen, was um so mehr für ein hohes Verdienst der künstlerischen Darstellung Zeugniß giebt, je weniger der Charakter dieser Leonie auf unsers Sympathien rechnen kann.</p><lb/> </div> </front> </text> </TEI> [0005]
Adele Wesemael, aus einer niederländischen Familie (der Vater war aus Prügge, die Mutter aus Gent), wurde im Jahre 1825 in Mecheln geboren, kam aber schon im dreizehnten Jahre nach Sachsen, von da im Jahre 1850 nach Österreich, wo sie ihren beständigen Wohnsitz aufschlug. Die deutsche Sprache lernte sie schon als Kind, da in ihrem elterlichen Hause für deutsche Bildung und Literatur eine große Vorliebe herrschte, und fast zu gleicher Zeit kamen Racine und Schiller in ihre Hände. Daß sie seitdem vollständig zur Deutschen geworden ist, bezeugt jede Seite ihrer Erzählungen, die zuerst von Leopold Kompert eingeführt, in Österreich verdiente Anerkennung gefunden haben, dem großen deutschen Publikum aber noch wenig bekannt geworden sind. Die hier mitgetheilte Novelle, wenn sie auch noch an einer gewissen Ungleichheit in der Gruppierung und Beherrschung des Stoffes leidet, erschien uns jedenfalls durch die energische Charakteristik und die Schärfe der Beobachtung so bedeutend, daß wir auf dies ungewöhnliche Talent, das weit über das Mittelmaß weiblicher Begabung hinausragt, in unserer Sammlung aufmerksam zu machen wünschten. Niemand wird der Entwicklung der Hauptfigur ohne den lebhaftesten Antheil folgen, was um so mehr für ein hohes Verdienst der künstlerischen Darstellung Zeugniß giebt, je weniger der Charakter dieser Leonie auf unsers Sympathien rechnen kann.
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/5>, abgerufen am 16.02.2025. |