Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

eingeflößt, das sehr geeignet war in eine tiefere Huldigung überzugehen? Wer konnte es ihr nachmachen mit der schweren Diplomatie der Toilette, die mit dem französischen Blut ihrer Mutter auf sie übergegangen war? Welch tiefes Verständnis lag in der anspruchslosen Kleidung, die selbst des einfachsten Schmuckes zu entbehren schien und doch durch ein unerreichbares Etwas allen Schmuck der Andern verdunkelte!

Genie ist unmittelbare Offenbarung der verklärten Natur, und zu jeder höheren Vollkommenheit, wäre es auch nur Koketterie, gehört Genie. Und wenn die noch nicht siebzehnjährige Kokette nachlässig hingegossen, mit dem Fächer spielend, an banger Scheu und Sittsamkeit es der Sprödesten zuvorthat, so wußte sie dabei ganz genau, das an jeder Locke ihres blonden Haares, an jedem süß verstohlenen Blick mehr Augen und Herzen hängen blieben, als die blendendste, offen zur Schau getragene Schönheit zu erobern vermochte.

Das war Etwas, und für den Augenblick war es genug. Ohne mit Bestimmtheit Hoffnungen zu erwecken, die sie zu erfüllen nicht gesonnen war, und doch ohne Einen ihrer zahlreichen Bewerber zu entmuthigen, ging sie ruhig ihren Weg. Einer zieht den Andern an, dachte sie, und der Beste von diesen ist noch immer besser als gar keiner, wenn ich doch endlich zu einer schlechten Wahl schreiten soll.

Sie hatte tausend kleine Mittel bei der Hand, den Schüchternen die Hoffnung zu erhalten und den Zudringlichen zu beweisen, das Geduld die Wurzel alles Gelingens sei, und ihre Sittsamkeit leistete ihr treffliche Dienste dabei. Dennoch erfasste sie manchmal ein Missbehagen, ein Zorn gegen sich selbst und die Welt -- aber es war der Zorn über die weite Ferne des Zieles, das sie sich gesetzt, und das trotz alles Bemühens noch immer von ihr zu weichen schien.

Endlich ging ein glänzender Stern an dem Horizonte ihrer Hoffnungen auf, und sogleich wurden alle

eingeflößt, das sehr geeignet war in eine tiefere Huldigung überzugehen? Wer konnte es ihr nachmachen mit der schweren Diplomatie der Toilette, die mit dem französischen Blut ihrer Mutter auf sie übergegangen war? Welch tiefes Verständnis lag in der anspruchslosen Kleidung, die selbst des einfachsten Schmuckes zu entbehren schien und doch durch ein unerreichbares Etwas allen Schmuck der Andern verdunkelte!

Genie ist unmittelbare Offenbarung der verklärten Natur, und zu jeder höheren Vollkommenheit, wäre es auch nur Koketterie, gehört Genie. Und wenn die noch nicht siebzehnjährige Kokette nachlässig hingegossen, mit dem Fächer spielend, an banger Scheu und Sittsamkeit es der Sprödesten zuvorthat, so wußte sie dabei ganz genau, das an jeder Locke ihres blonden Haares, an jedem süß verstohlenen Blick mehr Augen und Herzen hängen blieben, als die blendendste, offen zur Schau getragene Schönheit zu erobern vermochte.

Das war Etwas, und für den Augenblick war es genug. Ohne mit Bestimmtheit Hoffnungen zu erwecken, die sie zu erfüllen nicht gesonnen war, und doch ohne Einen ihrer zahlreichen Bewerber zu entmuthigen, ging sie ruhig ihren Weg. Einer zieht den Andern an, dachte sie, und der Beste von diesen ist noch immer besser als gar keiner, wenn ich doch endlich zu einer schlechten Wahl schreiten soll.

Sie hatte tausend kleine Mittel bei der Hand, den Schüchternen die Hoffnung zu erhalten und den Zudringlichen zu beweisen, das Geduld die Wurzel alles Gelingens sei, und ihre Sittsamkeit leistete ihr treffliche Dienste dabei. Dennoch erfasste sie manchmal ein Missbehagen, ein Zorn gegen sich selbst und die Welt — aber es war der Zorn über die weite Ferne des Zieles, das sie sich gesetzt, und das trotz alles Bemühens noch immer von ihr zu weichen schien.

Endlich ging ein glänzender Stern an dem Horizonte ihrer Hoffnungen auf, und sogleich wurden alle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0045"/>
eingeflößt, das sehr geeignet war in eine tiefere Huldigung überzugehen?      Wer konnte es ihr nachmachen mit der schweren Diplomatie der Toilette, die mit dem      französischen Blut ihrer Mutter auf sie übergegangen war? Welch tiefes Verständnis lag in der      anspruchslosen Kleidung, die selbst des einfachsten Schmuckes zu entbehren schien und doch      durch ein unerreichbares Etwas allen Schmuck der Andern verdunkelte!</p><lb/>
        <p>Genie ist unmittelbare Offenbarung der verklärten Natur, und zu jeder höheren Vollkommenheit,      wäre es auch nur Koketterie, gehört Genie. Und wenn die noch nicht siebzehnjährige Kokette      nachlässig hingegossen, mit dem Fächer spielend, an banger Scheu und Sittsamkeit es der      Sprödesten zuvorthat, so wußte sie dabei ganz genau, das an jeder Locke ihres blonden Haares,      an jedem süß verstohlenen Blick mehr Augen und Herzen hängen blieben, als die blendendste,      offen zur Schau getragene Schönheit zu erobern vermochte.</p><lb/>
        <p>Das war Etwas, und für den Augenblick war es genug. Ohne mit Bestimmtheit Hoffnungen zu      erwecken, die sie zu erfüllen nicht gesonnen war, und doch ohne Einen ihrer zahlreichen      Bewerber zu entmuthigen, ging sie ruhig ihren Weg. Einer zieht den Andern an, dachte sie, und      der Beste von diesen ist noch immer besser als gar keiner, wenn ich doch endlich zu einer      schlechten Wahl schreiten soll.</p><lb/>
        <p>Sie hatte tausend kleine Mittel bei der Hand, den Schüchternen die Hoffnung zu erhalten und      den Zudringlichen zu beweisen, das Geduld die Wurzel alles Gelingens sei, und ihre Sittsamkeit      leistete ihr treffliche Dienste dabei. Dennoch erfasste sie manchmal ein Missbehagen, ein Zorn      gegen sich selbst und die Welt &#x2014; aber es war der Zorn über die weite Ferne des Zieles, das sie      sich gesetzt, und das trotz alles Bemühens noch immer von ihr zu weichen schien.</p><lb/>
        <p>Endlich ging ein glänzender Stern an dem Horizonte ihrer Hoffnungen auf, und sogleich wurden      alle<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] eingeflößt, das sehr geeignet war in eine tiefere Huldigung überzugehen? Wer konnte es ihr nachmachen mit der schweren Diplomatie der Toilette, die mit dem französischen Blut ihrer Mutter auf sie übergegangen war? Welch tiefes Verständnis lag in der anspruchslosen Kleidung, die selbst des einfachsten Schmuckes zu entbehren schien und doch durch ein unerreichbares Etwas allen Schmuck der Andern verdunkelte! Genie ist unmittelbare Offenbarung der verklärten Natur, und zu jeder höheren Vollkommenheit, wäre es auch nur Koketterie, gehört Genie. Und wenn die noch nicht siebzehnjährige Kokette nachlässig hingegossen, mit dem Fächer spielend, an banger Scheu und Sittsamkeit es der Sprödesten zuvorthat, so wußte sie dabei ganz genau, das an jeder Locke ihres blonden Haares, an jedem süß verstohlenen Blick mehr Augen und Herzen hängen blieben, als die blendendste, offen zur Schau getragene Schönheit zu erobern vermochte. Das war Etwas, und für den Augenblick war es genug. Ohne mit Bestimmtheit Hoffnungen zu erwecken, die sie zu erfüllen nicht gesonnen war, und doch ohne Einen ihrer zahlreichen Bewerber zu entmuthigen, ging sie ruhig ihren Weg. Einer zieht den Andern an, dachte sie, und der Beste von diesen ist noch immer besser als gar keiner, wenn ich doch endlich zu einer schlechten Wahl schreiten soll. Sie hatte tausend kleine Mittel bei der Hand, den Schüchternen die Hoffnung zu erhalten und den Zudringlichen zu beweisen, das Geduld die Wurzel alles Gelingens sei, und ihre Sittsamkeit leistete ihr treffliche Dienste dabei. Dennoch erfasste sie manchmal ein Missbehagen, ein Zorn gegen sich selbst und die Welt — aber es war der Zorn über die weite Ferne des Zieles, das sie sich gesetzt, und das trotz alles Bemühens noch immer von ihr zu weichen schien. Endlich ging ein glänzender Stern an dem Horizonte ihrer Hoffnungen auf, und sogleich wurden alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/45
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/45>, abgerufen am 25.11.2024.