Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.aber wie? -- Schlagen wollte ich mich nicht -- ich hatte Pflichten, wie ich Ihnen vorhin sagte, und mein Leben war zu kostbar, um es dem Zufall eines solchen Kampfes preiszugeben. Dann -- was hatte ein Duell dem Rufe meiner Frau genützt? Also auf diese Weise ging es nicht -- aber anders mußte es gehen. Mein Plan war bald gemacht -- ich schwieg. Ich ging und kam wie früher, nur daß ich jetzt sah, wo ich früher blind war. Mit meinem Schweigen hielt ich die Schuldigen umgarnt. Kein Wort, kein Blick entging mir -- aber ich schwieg -- es war noch immer nicht genug. Kein Liebhaber hat je so nach der Stunde der Erhörung geschmachtet, wie ich nach der sichtbaren Offenbarung meiner Schmach. Und endlich -- es dauerte lange -- aber endlich kam der Augenblick. Ueber diesen Auftritt lassen Sie mich schweigen. Ihr Vater stand beschämt vor mir. Er hatte manchmal gute Augenblicke, und ich glaube, daß er seine eigene Schändlichkeit empfand. Er bot mir Genugthuung er, der mir Alles genommen, indem er mich vor seine Klinge forderte! Welchen Ersatz aber hatte mir selbst sein Leben für das Glück geboten, das er mir auf ewig geraubt? Der augenscheinliche Gegensatz ergriff mich mit solcher Gewalt, daß er zur Satire ward und ich hell auflachte, fort und fort, bis ich selbst vor mir erschrak und doch immer wieder in neues Lachen ausbrach. Meine Frau floh entsetzt an das andere Ende des Zimmers; sie hielt mich für wahnsinnig. Mein Freund, sagte ich endlich zu Ihrem Vater, der bald erröthend, bald erbleichend vor mir stand, so daß mich ein gewisses Mitleid gegen ihn überkam, -- Sie begreifen, daß ein Anerbieten wie das Ihrige zwar nicht gegen die Mode, aber doch gegen alle gesunde Vernunft verstößt. Sie nehmen mir meine Frau, gut. Es ist heutzutage etwas so Gewöhnliches, daß ein kluger Mann die Augen darüber schließt. Soll er aber noch sein Leben in die Schanze schlagen, so ist das wirklich zu viel verlangt. aber wie? — Schlagen wollte ich mich nicht — ich hatte Pflichten, wie ich Ihnen vorhin sagte, und mein Leben war zu kostbar, um es dem Zufall eines solchen Kampfes preiszugeben. Dann — was hatte ein Duell dem Rufe meiner Frau genützt? Also auf diese Weise ging es nicht — aber anders mußte es gehen. Mein Plan war bald gemacht — ich schwieg. Ich ging und kam wie früher, nur daß ich jetzt sah, wo ich früher blind war. Mit meinem Schweigen hielt ich die Schuldigen umgarnt. Kein Wort, kein Blick entging mir — aber ich schwieg — es war noch immer nicht genug. Kein Liebhaber hat je so nach der Stunde der Erhörung geschmachtet, wie ich nach der sichtbaren Offenbarung meiner Schmach. Und endlich — es dauerte lange — aber endlich kam der Augenblick. Ueber diesen Auftritt lassen Sie mich schweigen. Ihr Vater stand beschämt vor mir. Er hatte manchmal gute Augenblicke, und ich glaube, daß er seine eigene Schändlichkeit empfand. Er bot mir Genugthuung er, der mir Alles genommen, indem er mich vor seine Klinge forderte! Welchen Ersatz aber hatte mir selbst sein Leben für das Glück geboten, das er mir auf ewig geraubt? Der augenscheinliche Gegensatz ergriff mich mit solcher Gewalt, daß er zur Satire ward und ich hell auflachte, fort und fort, bis ich selbst vor mir erschrak und doch immer wieder in neues Lachen ausbrach. Meine Frau floh entsetzt an das andere Ende des Zimmers; sie hielt mich für wahnsinnig. Mein Freund, sagte ich endlich zu Ihrem Vater, der bald erröthend, bald erbleichend vor mir stand, so daß mich ein gewisses Mitleid gegen ihn überkam, — Sie begreifen, daß ein Anerbieten wie das Ihrige zwar nicht gegen die Mode, aber doch gegen alle gesunde Vernunft verstößt. Sie nehmen mir meine Frau, gut. Es ist heutzutage etwas so Gewöhnliches, daß ein kluger Mann die Augen darüber schließt. Soll er aber noch sein Leben in die Schanze schlagen, so ist das wirklich zu viel verlangt. <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0200"/> aber wie? — Schlagen wollte ich mich nicht — ich hatte Pflichten, wie ich Ihnen vorhin sagte, und mein Leben war zu kostbar, um es dem Zufall eines solchen Kampfes preiszugeben. Dann — was hatte ein Duell dem Rufe meiner Frau genützt? Also auf diese Weise ging es nicht — aber anders mußte es gehen.</p><lb/> <p>Mein Plan war bald gemacht — ich schwieg. Ich ging und kam wie früher, nur daß ich jetzt sah, wo ich früher blind war. 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aber wie? — Schlagen wollte ich mich nicht — ich hatte Pflichten, wie ich Ihnen vorhin sagte, und mein Leben war zu kostbar, um es dem Zufall eines solchen Kampfes preiszugeben. Dann — was hatte ein Duell dem Rufe meiner Frau genützt? Also auf diese Weise ging es nicht — aber anders mußte es gehen.
Mein Plan war bald gemacht — ich schwieg. Ich ging und kam wie früher, nur daß ich jetzt sah, wo ich früher blind war. Mit meinem Schweigen hielt ich die Schuldigen umgarnt. Kein Wort, kein Blick entging mir — aber ich schwieg — es war noch immer nicht genug. Kein Liebhaber hat je so nach der Stunde der Erhörung geschmachtet, wie ich nach der sichtbaren Offenbarung meiner Schmach. Und endlich — es dauerte lange — aber endlich kam der Augenblick.
Ueber diesen Auftritt lassen Sie mich schweigen. Ihr Vater stand beschämt vor mir. Er hatte manchmal gute Augenblicke, und ich glaube, daß er seine eigene Schändlichkeit empfand. Er bot mir Genugthuung er, der mir Alles genommen, indem er mich vor seine Klinge forderte! Welchen Ersatz aber hatte mir selbst sein Leben für das Glück geboten, das er mir auf ewig geraubt? Der augenscheinliche Gegensatz ergriff mich mit solcher Gewalt, daß er zur Satire ward und ich hell auflachte, fort und fort, bis ich selbst vor mir erschrak und doch immer wieder in neues Lachen ausbrach. Meine Frau floh entsetzt an das andere Ende des Zimmers; sie hielt mich für wahnsinnig.
Mein Freund, sagte ich endlich zu Ihrem Vater, der bald erröthend, bald erbleichend vor mir stand, so daß mich ein gewisses Mitleid gegen ihn überkam, — Sie begreifen, daß ein Anerbieten wie das Ihrige zwar nicht gegen die Mode, aber doch gegen alle gesunde Vernunft verstößt. Sie nehmen mir meine Frau, gut. Es ist heutzutage etwas so Gewöhnliches, daß ein kluger Mann die Augen darüber schließt. Soll er aber noch sein Leben in die Schanze schlagen, so ist das wirklich zu viel verlangt.
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/200>, abgerufen am 16.02.2025. |