Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Nacht ohne Aufenthalt reisen, und so zart wie du bist? Ich fürchte mich nicht, sagte sie, ich will gern Alles ertragen, wenn ich nur bei dir bin. Nein, nein. Der König selbst wünscht, das ich dich hier lasse, er fürchtet eine Verzögerung, wenn du mich begleitest. Leonie weinte. Du siehst mich nicht wieder, sagte sie, ich sterbe in S., ich weiß es ganz gewis. Denke an eine Überraschung für mich, sagte er lächelnd und mit ihren Haaren spielend, das wird dir die Zeit verkürzen. Es wird eine Überraschung werden, meinte sie, aber nicht wie du sie wünschest. Sie stand aus und setzte sich fern von ihm an das Fenster. Du bist kindisch! rief er ärgerlich, und zum ersten Mal kam ihm ihr Benehmen unvernünftig und launisch vor. Sein Kopf schmerzte immer mehr, er wandte das Gesicht nach der Wand und schloß die Augen. Ja, die Männer! dachte Leonie, sie gleichen sich alle. Die Nacht war schon ziemlich vorgerückt. Keine Vorstellungen brachten sie dazu sich nieder zu legen. Sie ging von Zimmer zu Zimmer, ordnete und sah zu, wie die Sachen ihres Mannes eingepackt wurden. Sie setzte sich auf die Koffer. Da geht mein Leben mit, sagte sie. Als der Morgen kam, sah sie so verweint und eingefallen aus, daß Hoheneck erschrak und in seinem Entschlusse fast wankend wurde. Aber jetzt war es zu spät. Halb bewußtlos hing sie an seinem Halse, er suchte sich von ihr loszumachen, aber sie klammerte sich nur um so fester an ihn an. Er hatte den Fuß schon auf den Wagentritt gesetzt, da riß sie sich oben von Allen los, die sie zurückhalten wollten, eilte ihm nach und warf sich, alles vergessend, fast auf der Straße, Nacht ohne Aufenthalt reisen, und so zart wie du bist? Ich fürchte mich nicht, sagte sie, ich will gern Alles ertragen, wenn ich nur bei dir bin. Nein, nein. Der König selbst wünscht, das ich dich hier lasse, er fürchtet eine Verzögerung, wenn du mich begleitest. Leonie weinte. Du siehst mich nicht wieder, sagte sie, ich sterbe in S., ich weiß es ganz gewis. Denke an eine Überraschung für mich, sagte er lächelnd und mit ihren Haaren spielend, das wird dir die Zeit verkürzen. Es wird eine Überraschung werden, meinte sie, aber nicht wie du sie wünschest. Sie stand aus und setzte sich fern von ihm an das Fenster. Du bist kindisch! rief er ärgerlich, und zum ersten Mal kam ihm ihr Benehmen unvernünftig und launisch vor. Sein Kopf schmerzte immer mehr, er wandte das Gesicht nach der Wand und schloß die Augen. Ja, die Männer! dachte Leonie, sie gleichen sich alle. Die Nacht war schon ziemlich vorgerückt. Keine Vorstellungen brachten sie dazu sich nieder zu legen. Sie ging von Zimmer zu Zimmer, ordnete und sah zu, wie die Sachen ihres Mannes eingepackt wurden. Sie setzte sich auf die Koffer. Da geht mein Leben mit, sagte sie. Als der Morgen kam, sah sie so verweint und eingefallen aus, daß Hoheneck erschrak und in seinem Entschlusse fast wankend wurde. Aber jetzt war es zu spät. Halb bewußtlos hing sie an seinem Halse, er suchte sich von ihr loszumachen, aber sie klammerte sich nur um so fester an ihn an. Er hatte den Fuß schon auf den Wagentritt gesetzt, da riß sie sich oben von Allen los, die sie zurückhalten wollten, eilte ihm nach und warf sich, alles vergessend, fast auf der Straße, <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0179"/> Nacht ohne Aufenthalt reisen, und so zart wie du bist?</p><lb/> <p>Ich fürchte mich nicht, sagte sie, ich will gern Alles ertragen, wenn ich nur bei dir bin.</p><lb/> <p>Nein, nein. Der König selbst wünscht, das ich dich hier lasse, er fürchtet eine Verzögerung, wenn du mich begleitest.</p><lb/> <p>Leonie weinte. 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Nacht ohne Aufenthalt reisen, und so zart wie du bist?
Ich fürchte mich nicht, sagte sie, ich will gern Alles ertragen, wenn ich nur bei dir bin.
Nein, nein. Der König selbst wünscht, das ich dich hier lasse, er fürchtet eine Verzögerung, wenn du mich begleitest.
Leonie weinte. Du siehst mich nicht wieder, sagte sie, ich sterbe in S., ich weiß es ganz gewis.
Denke an eine Überraschung für mich, sagte er lächelnd und mit ihren Haaren spielend, das wird dir die Zeit verkürzen.
Es wird eine Überraschung werden, meinte sie, aber nicht wie du sie wünschest.
Sie stand aus und setzte sich fern von ihm an das Fenster.
Du bist kindisch! rief er ärgerlich, und zum ersten Mal kam ihm ihr Benehmen unvernünftig und launisch vor. Sein Kopf schmerzte immer mehr, er wandte das Gesicht nach der Wand und schloß die Augen.
Ja, die Männer! dachte Leonie, sie gleichen sich alle.
Die Nacht war schon ziemlich vorgerückt. Keine Vorstellungen brachten sie dazu sich nieder zu legen. Sie ging von Zimmer zu Zimmer, ordnete und sah zu, wie die Sachen ihres Mannes eingepackt wurden. Sie setzte sich auf die Koffer. Da geht mein Leben mit, sagte sie.
Als der Morgen kam, sah sie so verweint und eingefallen aus, daß Hoheneck erschrak und in seinem Entschlusse fast wankend wurde. Aber jetzt war es zu spät. Halb bewußtlos hing sie an seinem Halse, er suchte sich von ihr loszumachen, aber sie klammerte sich nur um so fester an ihn an. Er hatte den Fuß schon auf den Wagentritt gesetzt, da riß sie sich oben von Allen los, die sie zurückhalten wollten, eilte ihm nach und warf sich, alles vergessend, fast auf der Straße,
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/179>, abgerufen am 16.07.2024. |