Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Kann ich dich nicht wenigstens begleiten? bat sie jetzt. Nein, Herzenskindchen. Du weißt ja, wie schwer mir eine Trennung von dir wird, aber es geht nicht anders. So möchte ich lieber nach Rothwalde, als nach S. Des Vaters Schloß ist alt und finster, und ohne dich wird mir dort ganz unheimlich sein. Ihr Mann lächelte. In Rothwalde, sagte er dann, bist du wirklich nicht ganz sicher. Die Bauern haben allerhand verrückte Ideen aus Frankreich herüber bekommen; wüßte ich dich allein auf dem Schlosse, ich hielte es keine Woche lang aus. Denke daran, liebes Kind, und nimm den Vorschlag deines Vaters an. Aber wenn du mich durchaus nicht mitnehmen willst, so könnte ich zu deiner Cousine gehen. Sie hat mich so sehr gebeten, sie diesen Sommer zu besuchen, daß ich es versprochen habe. Freilich dachte ich dann mit dir hin zu gehen, aber du könntest mich dort abholen, und wir besuchen dann zusammen den Vater und gehen von S. nach Rothwalde zurück. Meine Cousine ist kein passender Schutz für dich, liebes Herz, und du kannst ja auch später zu ihr gehen. So schicke mich auf eines deiner anderen Güter. Nein, nein, es ist nirgends sicher genug, und dann würde es deinen Vater verletzen -- und wozu? Du bist ja doch am besten bei ihm. Was habt ihr? frug der alte Graf. Leonie fürchtet sich ein wenig vor dem alten Schlosse in S., sagte ihr Mann. Sie hat vielleicht besondere Gründe, meinte ihr Vater. Nein, sagte sie halb erschrocken, ich ginge am liebsten mit meinem Manne. Das geht aber nicht, unterbrach sie dieser, ich muß Tag und Nacht reisen, und du bist viel zu zart für eine solche Anstrengung. Kann ich dich nicht wenigstens begleiten? bat sie jetzt. Nein, Herzenskindchen. Du weißt ja, wie schwer mir eine Trennung von dir wird, aber es geht nicht anders. So möchte ich lieber nach Rothwalde, als nach S. Des Vaters Schloß ist alt und finster, und ohne dich wird mir dort ganz unheimlich sein. Ihr Mann lächelte. In Rothwalde, sagte er dann, bist du wirklich nicht ganz sicher. Die Bauern haben allerhand verrückte Ideen aus Frankreich herüber bekommen; wüßte ich dich allein auf dem Schlosse, ich hielte es keine Woche lang aus. Denke daran, liebes Kind, und nimm den Vorschlag deines Vaters an. Aber wenn du mich durchaus nicht mitnehmen willst, so könnte ich zu deiner Cousine gehen. Sie hat mich so sehr gebeten, sie diesen Sommer zu besuchen, daß ich es versprochen habe. Freilich dachte ich dann mit dir hin zu gehen, aber du könntest mich dort abholen, und wir besuchen dann zusammen den Vater und gehen von S. nach Rothwalde zurück. Meine Cousine ist kein passender Schutz für dich, liebes Herz, und du kannst ja auch später zu ihr gehen. So schicke mich auf eines deiner anderen Güter. Nein, nein, es ist nirgends sicher genug, und dann würde es deinen Vater verletzen — und wozu? Du bist ja doch am besten bei ihm. Was habt ihr? frug der alte Graf. Leonie fürchtet sich ein wenig vor dem alten Schlosse in S., sagte ihr Mann. Sie hat vielleicht besondere Gründe, meinte ihr Vater. Nein, sagte sie halb erschrocken, ich ginge am liebsten mit meinem Manne. Das geht aber nicht, unterbrach sie dieser, ich muß Tag und Nacht reisen, und du bist viel zu zart für eine solche Anstrengung. <TEI> <text> <body> <div n="3"> <pb facs="#f0177"/> <p>Kann ich dich nicht wenigstens begleiten? bat sie jetzt.</p><lb/> <p>Nein, Herzenskindchen. Du weißt ja, wie schwer mir eine Trennung von dir wird, aber es geht nicht anders.</p><lb/> <p>So möchte ich lieber nach Rothwalde, als nach S. Des Vaters Schloß ist alt und finster, und ohne dich wird mir dort ganz unheimlich sein.</p><lb/> <p>Ihr Mann lächelte. 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Kann ich dich nicht wenigstens begleiten? bat sie jetzt.
Nein, Herzenskindchen. Du weißt ja, wie schwer mir eine Trennung von dir wird, aber es geht nicht anders.
So möchte ich lieber nach Rothwalde, als nach S. Des Vaters Schloß ist alt und finster, und ohne dich wird mir dort ganz unheimlich sein.
Ihr Mann lächelte. In Rothwalde, sagte er dann, bist du wirklich nicht ganz sicher. Die Bauern haben allerhand verrückte Ideen aus Frankreich herüber bekommen; wüßte ich dich allein auf dem Schlosse, ich hielte es keine Woche lang aus. Denke daran, liebes Kind, und nimm den Vorschlag deines Vaters an.
Aber wenn du mich durchaus nicht mitnehmen willst, so könnte ich zu deiner Cousine gehen. Sie hat mich so sehr gebeten, sie diesen Sommer zu besuchen, daß ich es versprochen habe. Freilich dachte ich dann mit dir hin zu gehen, aber du könntest mich dort abholen, und wir besuchen dann zusammen den Vater und gehen von S. nach Rothwalde zurück.
Meine Cousine ist kein passender Schutz für dich, liebes Herz, und du kannst ja auch später zu ihr gehen.
So schicke mich auf eines deiner anderen Güter.
Nein, nein, es ist nirgends sicher genug, und dann würde es deinen Vater verletzen — und wozu? Du bist ja doch am besten bei ihm.
Was habt ihr? frug der alte Graf.
Leonie fürchtet sich ein wenig vor dem alten Schlosse in S., sagte ihr Mann.
Sie hat vielleicht besondere Gründe, meinte ihr Vater.
Nein, sagte sie halb erschrocken, ich ginge am liebsten mit meinem Manne.
Das geht aber nicht, unterbrach sie dieser, ich muß Tag und Nacht reisen, und du bist viel zu zart für eine solche Anstrengung.
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/177>, abgerufen am 16.07.2024. |