Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Worte über seinen Vater vernahm. Eine wunderbare Rührung kam über ihn, und sein Herz, das in der letzten Zeit so viel von der anerzogenen Strenge abgelegt, sog begierig diese neue Lehre ein. Wüßten Sie, welche furchtbare Macht das böse Beispiel übt, die falsche Scham, die von der Rückkehr zurückhalt, wie sehr auch das Herz zum Bessern drangen mag! Das waren die Klippen, woran ihr Vater zu Grunde ging. Auch Sie habe ich damals gesehen, als ein ganz kleines Kind, bevor Ihre Mutter Paris mit Ihnen verließ. Ich weiß nicht, ob er Sie später jemals wieder gesehen, und doch weis ich gewiß, er hat Sie sehr geliebt! -- Er schwieg, von seinen Erinnerungen überwältigt. Louis erschrak über die fahle Blässe, welche die Züge des alten Mannes fast bis zur Unkenntlichkeit entstellte, und ließ besorgt das Wagenfenster herab. O, sagte der Graf mit dumpfer Stimme, es war fürchterlich! Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann, mit einer mächtigen Anstrengung, unterdrückte er seine Bewegung. Aber wo Schuld ist, fuhr er fort, folgt auch die Strafe nach. In Ihrer Mutter hatte der Himmel Ihrem Vater die höchste Gabe beschert, die ein Mensch auf Erden erlangen kann. Doch er erkannte sie nicht. Die Ehe aber ist heilig, und wer den Frieden einer Ehe stört, für den wäre besser, der Tod hätte ihn an der Brust seiner Mutter ereilt. Louis erröthete und erblaßte so rasch nach einander, das der Graf Mitleid mit ihm empfand. Sie sind gut, sagte er freundlich, und ich meine es auch gut mit Ihnen. Sie sehen, es ist nicht das erste Mal, das der Faden unseres Lebens zusammenläuft. Sie sind mir aus vielen Gründen werth -- um der Verstorbenen willen mehr als ich sagen kann. Ich sage nicht, sehen Sie mich als Ihren Vater an, das ist nicht möglich zwischen uns, aber wenigstens als einen Menschen, der Ihnen nach Kräften gern das ersetzte, Worte über seinen Vater vernahm. Eine wunderbare Rührung kam über ihn, und sein Herz, das in der letzten Zeit so viel von der anerzogenen Strenge abgelegt, sog begierig diese neue Lehre ein. Wüßten Sie, welche furchtbare Macht das böse Beispiel übt, die falsche Scham, die von der Rückkehr zurückhalt, wie sehr auch das Herz zum Bessern drangen mag! Das waren die Klippen, woran ihr Vater zu Grunde ging. Auch Sie habe ich damals gesehen, als ein ganz kleines Kind, bevor Ihre Mutter Paris mit Ihnen verließ. Ich weiß nicht, ob er Sie später jemals wieder gesehen, und doch weis ich gewiß, er hat Sie sehr geliebt! — Er schwieg, von seinen Erinnerungen überwältigt. Louis erschrak über die fahle Blässe, welche die Züge des alten Mannes fast bis zur Unkenntlichkeit entstellte, und ließ besorgt das Wagenfenster herab. O, sagte der Graf mit dumpfer Stimme, es war fürchterlich! Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann, mit einer mächtigen Anstrengung, unterdrückte er seine Bewegung. Aber wo Schuld ist, fuhr er fort, folgt auch die Strafe nach. In Ihrer Mutter hatte der Himmel Ihrem Vater die höchste Gabe beschert, die ein Mensch auf Erden erlangen kann. Doch er erkannte sie nicht. Die Ehe aber ist heilig, und wer den Frieden einer Ehe stört, für den wäre besser, der Tod hätte ihn an der Brust seiner Mutter ereilt. Louis erröthete und erblaßte so rasch nach einander, das der Graf Mitleid mit ihm empfand. Sie sind gut, sagte er freundlich, und ich meine es auch gut mit Ihnen. Sie sehen, es ist nicht das erste Mal, das der Faden unseres Lebens zusammenläuft. Sie sind mir aus vielen Gründen werth — um der Verstorbenen willen mehr als ich sagen kann. Ich sage nicht, sehen Sie mich als Ihren Vater an, das ist nicht möglich zwischen uns, aber wenigstens als einen Menschen, der Ihnen nach Kräften gern das ersetzte, <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0169"/> Worte über seinen Vater vernahm. Eine wunderbare Rührung kam über ihn, und sein Herz, das in der letzten Zeit so viel von der anerzogenen Strenge abgelegt, sog begierig diese neue Lehre ein.</p><lb/> <p>Wüßten Sie, welche furchtbare Macht das böse Beispiel übt, die falsche Scham, die von der Rückkehr zurückhalt, wie sehr auch das Herz zum Bessern drangen mag! Das waren die Klippen, woran ihr Vater zu Grunde ging. Auch Sie habe ich damals gesehen, als ein ganz kleines Kind, bevor Ihre Mutter Paris mit Ihnen verließ. Ich weiß nicht, ob er Sie später jemals wieder gesehen, und doch weis ich gewiß, er hat Sie sehr geliebt! —</p><lb/> <p>Er schwieg, von seinen Erinnerungen überwältigt. Louis erschrak über die fahle Blässe, welche die Züge des alten Mannes fast bis zur Unkenntlichkeit entstellte, und ließ besorgt das Wagenfenster herab.</p><lb/> <p>O, sagte der Graf mit dumpfer Stimme, es war fürchterlich! Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann, mit einer mächtigen Anstrengung, unterdrückte er seine Bewegung. Aber wo Schuld ist, fuhr er fort, folgt auch die Strafe nach. In Ihrer Mutter hatte der Himmel Ihrem Vater die höchste Gabe beschert, die ein Mensch auf Erden erlangen kann. Doch er erkannte sie nicht. Die Ehe aber ist heilig, und wer den Frieden einer Ehe stört, für den wäre besser, der Tod hätte ihn an der Brust seiner Mutter ereilt.</p><lb/> <p>Louis erröthete und erblaßte so rasch nach einander, das der Graf Mitleid mit ihm empfand.</p><lb/> <p>Sie sind gut, sagte er freundlich, und ich meine es auch gut mit Ihnen. Sie sehen, es ist nicht das erste Mal, das der Faden unseres Lebens zusammenläuft. Sie sind mir aus vielen Gründen werth — um der Verstorbenen willen mehr als ich sagen kann. Ich sage nicht, sehen Sie mich als Ihren Vater an, das ist nicht möglich zwischen uns, aber wenigstens als einen Menschen, der Ihnen nach Kräften gern das ersetzte,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0169]
Worte über seinen Vater vernahm. Eine wunderbare Rührung kam über ihn, und sein Herz, das in der letzten Zeit so viel von der anerzogenen Strenge abgelegt, sog begierig diese neue Lehre ein.
Wüßten Sie, welche furchtbare Macht das böse Beispiel übt, die falsche Scham, die von der Rückkehr zurückhalt, wie sehr auch das Herz zum Bessern drangen mag! Das waren die Klippen, woran ihr Vater zu Grunde ging. Auch Sie habe ich damals gesehen, als ein ganz kleines Kind, bevor Ihre Mutter Paris mit Ihnen verließ. Ich weiß nicht, ob er Sie später jemals wieder gesehen, und doch weis ich gewiß, er hat Sie sehr geliebt! —
Er schwieg, von seinen Erinnerungen überwältigt. Louis erschrak über die fahle Blässe, welche die Züge des alten Mannes fast bis zur Unkenntlichkeit entstellte, und ließ besorgt das Wagenfenster herab.
O, sagte der Graf mit dumpfer Stimme, es war fürchterlich! Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann, mit einer mächtigen Anstrengung, unterdrückte er seine Bewegung. Aber wo Schuld ist, fuhr er fort, folgt auch die Strafe nach. In Ihrer Mutter hatte der Himmel Ihrem Vater die höchste Gabe beschert, die ein Mensch auf Erden erlangen kann. Doch er erkannte sie nicht. Die Ehe aber ist heilig, und wer den Frieden einer Ehe stört, für den wäre besser, der Tod hätte ihn an der Brust seiner Mutter ereilt.
Louis erröthete und erblaßte so rasch nach einander, das der Graf Mitleid mit ihm empfand.
Sie sind gut, sagte er freundlich, und ich meine es auch gut mit Ihnen. Sie sehen, es ist nicht das erste Mal, das der Faden unseres Lebens zusammenläuft. Sie sind mir aus vielen Gründen werth — um der Verstorbenen willen mehr als ich sagen kann. Ich sage nicht, sehen Sie mich als Ihren Vater an, das ist nicht möglich zwischen uns, aber wenigstens als einen Menschen, der Ihnen nach Kräften gern das ersetzte,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |