Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Leonie war nicht wenig überrascht, als Otto kam, Abschied von ihr zu nehmen. Ich werde bei Marie für dich sorgen, sagte sie zu ihm.

Sorge für dich selbst, es wird mir lieber sein, versetzte er mißmuthig.

Du hast Recht, sagte sein Schwager, Leonie singt mir noch immer zu viel.

O, versetzte sie mit einem leichten Schmollen, du bist nie zufrieden, und übrigens habe ich die Noten schon weggeschickt. Jetzt mag dir eine Andere die Grillen wegsingen.

Wirst du eifersüchtig sein? lachte er.

Ich thue Alles, was du willst, du weißt, ich thue es, -- und meine armen schönen Lieder, was mögen sie denken, nun sie so ganz verlassen sind? In dem Blick, in dem Lächeln, mit dem sie zu ihm aufsah, in dem Ton ihrer Stimme lag es wie eine halbe Thräne, und sie drückte den Kopf an ihres Mannes Arm.

Er beugte sich zärtlich zu ihr. Es ist mir doch lieber, du bleibst gesund und ich höre deine süße Stimme weniger oft, erwiderte er mit einer leichten Rührung, die halb Dank und halb Vorwurf war.

Sie sind doch recht glücklich mit einander, dachte Otto sehr beruhigt, indem er von ihnen ging.

Von nun an änderte sich Leonie's Leben auf eine für sie auffallende und befremdende Art. Ihr Vater brachte fast seine ganze Zeit bei ihr zu, und Ottos Abwesenheit gab ihm den besten Grund dazu. Warum war er überhaupt in der Stadt geblieben, für die er doch so wenig eingenommen war? Ich alter Mann gehe hier auf Freiersfüßen herum und muß für Otto werben, hatte er einmal gesagt. Das schien natürlich genug; warum mußte er aber beständig bei ihr sein? Wie oft hatte sie Otto's Abreise gewünscht, um ihren Vater dadurch los zu werden; nun war Otto abgereist, und der Druck, dem sie zu entgehen wünschte, lag doppelt schwer auf ihr. Ihres Vaters Benehmen

Leonie war nicht wenig überrascht, als Otto kam, Abschied von ihr zu nehmen. Ich werde bei Marie für dich sorgen, sagte sie zu ihm.

Sorge für dich selbst, es wird mir lieber sein, versetzte er mißmuthig.

Du hast Recht, sagte sein Schwager, Leonie singt mir noch immer zu viel.

O, versetzte sie mit einem leichten Schmollen, du bist nie zufrieden, und übrigens habe ich die Noten schon weggeschickt. Jetzt mag dir eine Andere die Grillen wegsingen.

Wirst du eifersüchtig sein? lachte er.

Ich thue Alles, was du willst, du weißt, ich thue es, — und meine armen schönen Lieder, was mögen sie denken, nun sie so ganz verlassen sind? In dem Blick, in dem Lächeln, mit dem sie zu ihm aufsah, in dem Ton ihrer Stimme lag es wie eine halbe Thräne, und sie drückte den Kopf an ihres Mannes Arm.

Er beugte sich zärtlich zu ihr. Es ist mir doch lieber, du bleibst gesund und ich höre deine süße Stimme weniger oft, erwiderte er mit einer leichten Rührung, die halb Dank und halb Vorwurf war.

Sie sind doch recht glücklich mit einander, dachte Otto sehr beruhigt, indem er von ihnen ging.

Von nun an änderte sich Leonie's Leben auf eine für sie auffallende und befremdende Art. Ihr Vater brachte fast seine ganze Zeit bei ihr zu, und Ottos Abwesenheit gab ihm den besten Grund dazu. Warum war er überhaupt in der Stadt geblieben, für die er doch so wenig eingenommen war? Ich alter Mann gehe hier auf Freiersfüßen herum und muß für Otto werben, hatte er einmal gesagt. Das schien natürlich genug; warum mußte er aber beständig bei ihr sein? Wie oft hatte sie Otto's Abreise gewünscht, um ihren Vater dadurch los zu werden; nun war Otto abgereist, und der Druck, dem sie zu entgehen wünschte, lag doppelt schwer auf ihr. Ihres Vaters Benehmen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <pb facs="#f0165"/>
        <p>Leonie war nicht wenig überrascht, als Otto kam, Abschied von ihr zu nehmen. Ich werde bei      Marie für dich sorgen, sagte sie zu ihm.</p><lb/>
        <p>Sorge für dich selbst, es wird mir lieber sein, versetzte er mißmuthig.</p><lb/>
        <p>Du hast Recht, sagte sein Schwager, Leonie singt mir noch immer zu viel.</p><lb/>
        <p>O, versetzte sie mit einem leichten Schmollen, du bist nie zufrieden, und übrigens habe ich      die Noten schon weggeschickt. Jetzt mag dir eine Andere die Grillen wegsingen.</p><lb/>
        <p>Wirst du eifersüchtig sein? lachte er.</p><lb/>
        <p>Ich thue Alles, was du willst, du weißt, ich thue es, &#x2014; und meine armen schönen Lieder, was      mögen sie denken, nun sie so ganz verlassen sind? In dem Blick, in dem Lächeln, mit dem sie zu      ihm aufsah, in dem Ton ihrer Stimme lag es wie eine halbe Thräne, und sie drückte den Kopf an      ihres Mannes Arm.</p><lb/>
        <p>Er beugte sich zärtlich zu ihr. Es ist mir doch lieber, du bleibst gesund und ich höre deine      süße Stimme weniger oft, erwiderte er mit einer leichten Rührung, die halb Dank und halb      Vorwurf war.</p><lb/>
        <p>Sie sind doch recht glücklich mit einander, dachte Otto sehr beruhigt, indem er von ihnen      ging.</p><lb/>
        <p>Von nun an änderte sich Leonie's Leben auf eine für sie auffallende und befremdende Art. Ihr      Vater brachte fast seine ganze Zeit bei ihr zu, und Ottos Abwesenheit gab ihm den besten Grund      dazu. Warum war er überhaupt in der Stadt geblieben, für die er doch so wenig eingenommen war?      Ich alter Mann gehe hier auf Freiersfüßen herum und muß für Otto werben, hatte er einmal      gesagt. Das schien natürlich genug; warum mußte er aber beständig bei ihr sein? Wie oft hatte      sie Otto's Abreise gewünscht, um ihren Vater dadurch los zu werden; nun war Otto abgereist, und      der Druck, dem sie zu entgehen wünschte, lag doppelt schwer auf ihr. Ihres Vaters Benehmen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] Leonie war nicht wenig überrascht, als Otto kam, Abschied von ihr zu nehmen. Ich werde bei Marie für dich sorgen, sagte sie zu ihm. Sorge für dich selbst, es wird mir lieber sein, versetzte er mißmuthig. Du hast Recht, sagte sein Schwager, Leonie singt mir noch immer zu viel. O, versetzte sie mit einem leichten Schmollen, du bist nie zufrieden, und übrigens habe ich die Noten schon weggeschickt. Jetzt mag dir eine Andere die Grillen wegsingen. Wirst du eifersüchtig sein? lachte er. Ich thue Alles, was du willst, du weißt, ich thue es, — und meine armen schönen Lieder, was mögen sie denken, nun sie so ganz verlassen sind? In dem Blick, in dem Lächeln, mit dem sie zu ihm aufsah, in dem Ton ihrer Stimme lag es wie eine halbe Thräne, und sie drückte den Kopf an ihres Mannes Arm. Er beugte sich zärtlich zu ihr. Es ist mir doch lieber, du bleibst gesund und ich höre deine süße Stimme weniger oft, erwiderte er mit einer leichten Rührung, die halb Dank und halb Vorwurf war. Sie sind doch recht glücklich mit einander, dachte Otto sehr beruhigt, indem er von ihnen ging. Von nun an änderte sich Leonie's Leben auf eine für sie auffallende und befremdende Art. Ihr Vater brachte fast seine ganze Zeit bei ihr zu, und Ottos Abwesenheit gab ihm den besten Grund dazu. Warum war er überhaupt in der Stadt geblieben, für die er doch so wenig eingenommen war? Ich alter Mann gehe hier auf Freiersfüßen herum und muß für Otto werben, hatte er einmal gesagt. Das schien natürlich genug; warum mußte er aber beständig bei ihr sein? Wie oft hatte sie Otto's Abreise gewünscht, um ihren Vater dadurch los zu werden; nun war Otto abgereist, und der Druck, dem sie zu entgehen wünschte, lag doppelt schwer auf ihr. Ihres Vaters Benehmen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/165
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/165>, abgerufen am 23.11.2024.