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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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vor. Auch sie hatte Blumen geliebt, zwar nie mit der sybaritischen Weichlichkeit, welche Leonie in ihre Neigungen brachte, wie denn jede Neigung sich je nach den Menschen verschieden äußert, aber mit Blumen sich zu umgeben war doch eine Gewohnheit ihres Lebens gewesen, und der Graf erinnerte sich, wie vor und nach Leonie's Geburt diese Neigung auffallend zugenommen, und wie man ihm das Kind, über das er damals Thränen der Freude geweint, auf ihren Befehl und gegen das Verbot der Wärterin, zuerst in einem mit Blumen bekränzten Bettchen gezeigt.

Hier verließen seine Gedanken die Mutter, um auf etwas Anderes überzugehen.

Hast du den Marquis lange nicht gesehen? frug er und blickte zu der Gräfin auf.

Der General hatte sich entfernt, Leonie stand am Kamine, den schönen Arm auf die kostbare Marmorplatte gelegt, den Blick auf die züngelnde Flamme gesenkt. Die Hand, die den Fächer hielt, hing nachlässig an ihrer Seite herab. Die feinen Augenbrauen waren leicht zusammengezogen, die zarten Lippen fest auf einander gepresst, und das Blut, das vor wenigen Minuten die durchsichtigen Wangen lebhafter als sonst gefärbt, war einer leichten Blässe gewichen. Er konnte die langen Wimpern sehen, die sich ein wenig senkten vor der Glut, die sie traf, die aber niemals den festen Blick ganz verschleierten. Muth, Überlegung, vielleicht ein gewisser Grad von Tücke war in den feinen, beweglichen Zügen ausgedrückt. Sie sah ihrer Mutter nicht mehr ähnlich, doch fühlte der Graf sich beunruhigt, er wußte nicht warum.

Was war es, worüber die junge Gräfin in solches Grübeln versank, daß sie darüber sogar vergaß, ihre Züge wie gewöhnlich zu beherrschen? Auch sie gedachte ihrer Mutter. Es mußte eine eigenthümliche, magnetische Beziehung zwischen diesen zwei Menschen bestehen, die von der Natur einander so nahegestellt, sich

vor. Auch sie hatte Blumen geliebt, zwar nie mit der sybaritischen Weichlichkeit, welche Leonie in ihre Neigungen brachte, wie denn jede Neigung sich je nach den Menschen verschieden äußert, aber mit Blumen sich zu umgeben war doch eine Gewohnheit ihres Lebens gewesen, und der Graf erinnerte sich, wie vor und nach Leonie's Geburt diese Neigung auffallend zugenommen, und wie man ihm das Kind, über das er damals Thränen der Freude geweint, auf ihren Befehl und gegen das Verbot der Wärterin, zuerst in einem mit Blumen bekränzten Bettchen gezeigt.

Hier verließen seine Gedanken die Mutter, um auf etwas Anderes überzugehen.

Hast du den Marquis lange nicht gesehen? frug er und blickte zu der Gräfin auf.

Der General hatte sich entfernt, Leonie stand am Kamine, den schönen Arm auf die kostbare Marmorplatte gelegt, den Blick auf die züngelnde Flamme gesenkt. Die Hand, die den Fächer hielt, hing nachlässig an ihrer Seite herab. Die feinen Augenbrauen waren leicht zusammengezogen, die zarten Lippen fest auf einander gepresst, und das Blut, das vor wenigen Minuten die durchsichtigen Wangen lebhafter als sonst gefärbt, war einer leichten Blässe gewichen. Er konnte die langen Wimpern sehen, die sich ein wenig senkten vor der Glut, die sie traf, die aber niemals den festen Blick ganz verschleierten. Muth, Überlegung, vielleicht ein gewisser Grad von Tücke war in den feinen, beweglichen Zügen ausgedrückt. Sie sah ihrer Mutter nicht mehr ähnlich, doch fühlte der Graf sich beunruhigt, er wußte nicht warum.

Was war es, worüber die junge Gräfin in solches Grübeln versank, daß sie darüber sogar vergaß, ihre Züge wie gewöhnlich zu beherrschen? Auch sie gedachte ihrer Mutter. Es mußte eine eigenthümliche, magnetische Beziehung zwischen diesen zwei Menschen bestehen, die von der Natur einander so nahegestellt, sich

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[0151] vor. Auch sie hatte Blumen geliebt, zwar nie mit der sybaritischen Weichlichkeit, welche Leonie in ihre Neigungen brachte, wie denn jede Neigung sich je nach den Menschen verschieden äußert, aber mit Blumen sich zu umgeben war doch eine Gewohnheit ihres Lebens gewesen, und der Graf erinnerte sich, wie vor und nach Leonie's Geburt diese Neigung auffallend zugenommen, und wie man ihm das Kind, über das er damals Thränen der Freude geweint, auf ihren Befehl und gegen das Verbot der Wärterin, zuerst in einem mit Blumen bekränzten Bettchen gezeigt. Hier verließen seine Gedanken die Mutter, um auf etwas Anderes überzugehen. Hast du den Marquis lange nicht gesehen? frug er und blickte zu der Gräfin auf. Der General hatte sich entfernt, Leonie stand am Kamine, den schönen Arm auf die kostbare Marmorplatte gelegt, den Blick auf die züngelnde Flamme gesenkt. Die Hand, die den Fächer hielt, hing nachlässig an ihrer Seite herab. Die feinen Augenbrauen waren leicht zusammengezogen, die zarten Lippen fest auf einander gepresst, und das Blut, das vor wenigen Minuten die durchsichtigen Wangen lebhafter als sonst gefärbt, war einer leichten Blässe gewichen. Er konnte die langen Wimpern sehen, die sich ein wenig senkten vor der Glut, die sie traf, die aber niemals den festen Blick ganz verschleierten. Muth, Überlegung, vielleicht ein gewisser Grad von Tücke war in den feinen, beweglichen Zügen ausgedrückt. Sie sah ihrer Mutter nicht mehr ähnlich, doch fühlte der Graf sich beunruhigt, er wußte nicht warum. Was war es, worüber die junge Gräfin in solches Grübeln versank, daß sie darüber sogar vergaß, ihre Züge wie gewöhnlich zu beherrschen? Auch sie gedachte ihrer Mutter. Es mußte eine eigenthümliche, magnetische Beziehung zwischen diesen zwei Menschen bestehen, die von der Natur einander so nahegestellt, sich

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/151>, abgerufen am 25.11.2024.