Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Leonie zuckte ein wenig, aber Aller Augen richteten sich auf Louis, der mit einer etwas heftigen Gebärde aufstand und sich entfernte.

Was ist das? frug jetzt der Graf.

Otto hat eine frische Wunde berührt, Papa, erwiderte die Gräfin lächelnd. Der Marquis war mit Marie verlobt, aber das Verlöbniß hat sich gelöst.

Ei was! Und aus welchem Grunde?

Wer weis das? erwiderte Leone nachlässig.

Also darum? rief Otto, ganz betreten über seine Ungeschicklichkeit.

Leonie lächelte wieder. Der junge Herr ist eine von den sentimentalen Naturen, sagte sie, er trägt die Wunde noch immer mit sich herum.

Es thut mir leid, das ich es erwähnte, sagte Otto ganz reumüthig.

Verschiedene Bemerkungen flogen hin und her, Leonie litt es nicht mehr an ihrem Platz. Sie stand auf und begab sich in den nächsten Saal. Ihre Augen suchten nach Louis, aber hier war er nirgends zu sehen; so sich hie und da aufhaltend, mit dem Einen sprechend, dem Andern zulächelnd, ging sie durch die ganze Reihe der Zimmer und kam endlich in den letzten Salon. Hier saß Louis einsam an einem Fenster, durch die Draperie des Vorhanges ein wenig von der Gesellschaft getrennt. Leonie hatte ihn gleich entdeckt. Sie blickte um sich, ihr Vater war ihr nicht gefolgt, nur ihr Mann stand nicht weit vom Eingange und unterhielt sich mit einigen alten besternten Herrn. So, geschickt lavierend, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, hielt sie sich einige Augenblicke bei ihnen auf und trat erst dann an Louis heran.

Er hatte ihre Nähe nicht bemerkt. Sein Blick war tief in sein Inneres gesenkt. Die zweifache Erwähnung Mariens hatte allen Widerstreit in ihm neu angefacht. Von ihr sprechen zu hören, die er vor kurzem so ganz als sein eigen angesehen, als von einer Fremden, ja,

Leonie zuckte ein wenig, aber Aller Augen richteten sich auf Louis, der mit einer etwas heftigen Gebärde aufstand und sich entfernte.

Was ist das? frug jetzt der Graf.

Otto hat eine frische Wunde berührt, Papa, erwiderte die Gräfin lächelnd. Der Marquis war mit Marie verlobt, aber das Verlöbniß hat sich gelöst.

Ei was! Und aus welchem Grunde?

Wer weis das? erwiderte Leone nachlässig.

Also darum? rief Otto, ganz betreten über seine Ungeschicklichkeit.

Leonie lächelte wieder. Der junge Herr ist eine von den sentimentalen Naturen, sagte sie, er trägt die Wunde noch immer mit sich herum.

Es thut mir leid, das ich es erwähnte, sagte Otto ganz reumüthig.

Verschiedene Bemerkungen flogen hin und her, Leonie litt es nicht mehr an ihrem Platz. Sie stand auf und begab sich in den nächsten Saal. Ihre Augen suchten nach Louis, aber hier war er nirgends zu sehen; so sich hie und da aufhaltend, mit dem Einen sprechend, dem Andern zulächelnd, ging sie durch die ganze Reihe der Zimmer und kam endlich in den letzten Salon. Hier saß Louis einsam an einem Fenster, durch die Draperie des Vorhanges ein wenig von der Gesellschaft getrennt. Leonie hatte ihn gleich entdeckt. Sie blickte um sich, ihr Vater war ihr nicht gefolgt, nur ihr Mann stand nicht weit vom Eingange und unterhielt sich mit einigen alten besternten Herrn. So, geschickt lavierend, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, hielt sie sich einige Augenblicke bei ihnen auf und trat erst dann an Louis heran.

Er hatte ihre Nähe nicht bemerkt. Sein Blick war tief in sein Inneres gesenkt. Die zweifache Erwähnung Mariens hatte allen Widerstreit in ihm neu angefacht. Von ihr sprechen zu hören, die er vor kurzem so ganz als sein eigen angesehen, als von einer Fremden, ja,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <pb facs="#f0121"/>
        <p>Leonie zuckte ein wenig, aber Aller Augen richteten sich auf Louis, der mit einer etwas      heftigen Gebärde aufstand und sich entfernte.</p><lb/>
        <p>Was ist das? frug jetzt der Graf.</p><lb/>
        <p>Otto hat eine frische Wunde berührt, Papa, erwiderte die Gräfin lächelnd. Der Marquis war mit      Marie verlobt, aber das Verlöbniß hat sich gelöst.</p><lb/>
        <p>Ei was! Und aus welchem Grunde?</p><lb/>
        <p>Wer weis das? erwiderte Leone nachlässig.</p><lb/>
        <p>Also darum? rief Otto, ganz betreten über seine Ungeschicklichkeit.</p><lb/>
        <p>Leonie lächelte wieder. Der junge Herr ist eine von den sentimentalen Naturen, sagte sie, er      trägt die Wunde noch immer mit sich herum.</p><lb/>
        <p>Es thut mir leid, das ich es erwähnte, sagte Otto ganz reumüthig.</p><lb/>
        <p>Verschiedene Bemerkungen flogen hin und her, Leonie litt es nicht mehr an ihrem Platz. Sie      stand auf und begab sich in den nächsten Saal. Ihre Augen suchten nach Louis, aber hier war er      nirgends zu sehen; so sich hie und da aufhaltend, mit dem Einen sprechend, dem Andern      zulächelnd, ging sie durch die ganze Reihe der Zimmer und kam endlich in den letzten Salon.      Hier saß Louis einsam an einem Fenster, durch die Draperie des Vorhanges ein wenig von der      Gesellschaft getrennt. Leonie hatte ihn gleich entdeckt. Sie blickte um sich, ihr Vater war ihr      nicht gefolgt, nur ihr Mann stand nicht weit vom Eingange und unterhielt sich mit einigen alten      besternten Herrn. So, geschickt lavierend, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, hielt sie sich      einige Augenblicke bei ihnen auf und trat erst dann an Louis heran.</p><lb/>
        <p>Er hatte ihre Nähe nicht bemerkt. Sein Blick war tief in sein Inneres gesenkt. Die zweifache      Erwähnung Mariens hatte allen Widerstreit in ihm neu angefacht. Von ihr sprechen zu hören, die      er vor kurzem so ganz als sein eigen angesehen, als von einer Fremden, ja,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0121] Leonie zuckte ein wenig, aber Aller Augen richteten sich auf Louis, der mit einer etwas heftigen Gebärde aufstand und sich entfernte. Was ist das? frug jetzt der Graf. Otto hat eine frische Wunde berührt, Papa, erwiderte die Gräfin lächelnd. Der Marquis war mit Marie verlobt, aber das Verlöbniß hat sich gelöst. Ei was! Und aus welchem Grunde? Wer weis das? erwiderte Leone nachlässig. Also darum? rief Otto, ganz betreten über seine Ungeschicklichkeit. Leonie lächelte wieder. Der junge Herr ist eine von den sentimentalen Naturen, sagte sie, er trägt die Wunde noch immer mit sich herum. Es thut mir leid, das ich es erwähnte, sagte Otto ganz reumüthig. Verschiedene Bemerkungen flogen hin und her, Leonie litt es nicht mehr an ihrem Platz. Sie stand auf und begab sich in den nächsten Saal. Ihre Augen suchten nach Louis, aber hier war er nirgends zu sehen; so sich hie und da aufhaltend, mit dem Einen sprechend, dem Andern zulächelnd, ging sie durch die ganze Reihe der Zimmer und kam endlich in den letzten Salon. Hier saß Louis einsam an einem Fenster, durch die Draperie des Vorhanges ein wenig von der Gesellschaft getrennt. Leonie hatte ihn gleich entdeckt. Sie blickte um sich, ihr Vater war ihr nicht gefolgt, nur ihr Mann stand nicht weit vom Eingange und unterhielt sich mit einigen alten besternten Herrn. So, geschickt lavierend, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, hielt sie sich einige Augenblicke bei ihnen auf und trat erst dann an Louis heran. Er hatte ihre Nähe nicht bemerkt. Sein Blick war tief in sein Inneres gesenkt. Die zweifache Erwähnung Mariens hatte allen Widerstreit in ihm neu angefacht. Von ihr sprechen zu hören, die er vor kurzem so ganz als sein eigen angesehen, als von einer Fremden, ja,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/121
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/121>, abgerufen am 23.11.2024.