Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.hernach als Fischer oder Lootsen; die Frauen sieht man Ballast tragen, Sand fahren, fischen, zur Stadt hinauf segeln; sie sind auf dem Wasser so gut zu Haus, wie ihre Väter und Herren. Wie oft leben sie auch lange Jahre auf sich selbst gestellt, als Wittwen vor ihrer Männer Tod, mit den Kindern allein, deren Väter auf "langer Fahrt" im chinesischen Meer oder in der Südsee kreuzen. Wohl ihnen, wenn sie dann wenigstens ein leichtes, harmloses Herz haben, wenn ihnen kein eifersüchtiges Blut in den Adern fließt. Und wohl den fahrenden Männern, wenn ihre Gedanken Phlegma genug haben, an der Treue ihrer Frauen nicht herumzutasten. Denn diese Frauen sind zwar ein hartes, arbeitsames, treues Geschlecht; aber doch ist's nicht Jedem gegeben, sein hübsches junges Weib für eine Penelope zu halten. Ich kenne Einen -- und er wird der Held dieser Geschichte sein -- der immer mit felsenfestem Vertrauen hinaussegelte, aber immer mit schweren Sorgen wiederkam; der in seiner ehrlichen Brust Kämpfe erduldete, die wir sonst nur hinter der schwarzen Haut eines Othello suchen. Er war Steuermann auf einem Dreimaster, der bereits die Welt umsegelt hatte; in der allerbesten Lebenszeit, fröhlich und jähzornig, wie es gerade kam, bald voll guter Laune, bald voll Trübsinn, aber der beste Kamerad auf seinem Schiff und der beste Schiffer unter den Kameraden. Wenn auch nicht so hoch und wohlgebaut, wie sein Schwiegervater, der noch im Alter einer der schönsten Männer war, die ich zu nennen weiß, gefiel er doch sogleich durch seine behaglich würdevolle, männliche Gestalt. Die hohe Stirn, die blauen, wetterfesten, Alles durchdringenden Augen, die mäßige Adlernase, und dazu der humoristisch freundliche Mund konnten ihm nicht bloß gute Kameraden, sondern auch Frauenherzen gewinnen. Er hatte denn auch eins der drei schönsten Mädchen seines Orts zum Weib bekommen, und ein Jahr später einen flachshaarigen Buben dazu, der seinen ehrlichen Namen Johann Ohlerich weiter vererben sollte; und so wäre er, Alles in einander gerechnet, vielleicht der glücklichste Mann hernach als Fischer oder Lootsen; die Frauen sieht man Ballast tragen, Sand fahren, fischen, zur Stadt hinauf segeln; sie sind auf dem Wasser so gut zu Haus, wie ihre Väter und Herren. Wie oft leben sie auch lange Jahre auf sich selbst gestellt, als Wittwen vor ihrer Männer Tod, mit den Kindern allein, deren Väter auf „langer Fahrt“ im chinesischen Meer oder in der Südsee kreuzen. Wohl ihnen, wenn sie dann wenigstens ein leichtes, harmloses Herz haben, wenn ihnen kein eifersüchtiges Blut in den Adern fließt. Und wohl den fahrenden Männern, wenn ihre Gedanken Phlegma genug haben, an der Treue ihrer Frauen nicht herumzutasten. Denn diese Frauen sind zwar ein hartes, arbeitsames, treues Geschlecht; aber doch ist's nicht Jedem gegeben, sein hübsches junges Weib für eine Penelope zu halten. Ich kenne Einen — und er wird der Held dieser Geschichte sein — der immer mit felsenfestem Vertrauen hinaussegelte, aber immer mit schweren Sorgen wiederkam; der in seiner ehrlichen Brust Kämpfe erduldete, die wir sonst nur hinter der schwarzen Haut eines Othello suchen. Er war Steuermann auf einem Dreimaster, der bereits die Welt umsegelt hatte; in der allerbesten Lebenszeit, fröhlich und jähzornig, wie es gerade kam, bald voll guter Laune, bald voll Trübsinn, aber der beste Kamerad auf seinem Schiff und der beste Schiffer unter den Kameraden. Wenn auch nicht so hoch und wohlgebaut, wie sein Schwiegervater, der noch im Alter einer der schönsten Männer war, die ich zu nennen weiß, gefiel er doch sogleich durch seine behaglich würdevolle, männliche Gestalt. Die hohe Stirn, die blauen, wetterfesten, Alles durchdringenden Augen, die mäßige Adlernase, und dazu der humoristisch freundliche Mund konnten ihm nicht bloß gute Kameraden, sondern auch Frauenherzen gewinnen. Er hatte denn auch eins der drei schönsten Mädchen seines Orts zum Weib bekommen, und ein Jahr später einen flachshaarigen Buben dazu, der seinen ehrlichen Namen Johann Ohlerich weiter vererben sollte; und so wäre er, Alles in einander gerechnet, vielleicht der glücklichste Mann <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0009"/> hernach als Fischer oder Lootsen; die Frauen sieht man Ballast tragen, Sand fahren, fischen, zur Stadt hinauf segeln; sie sind auf dem Wasser so gut zu Haus, wie ihre Väter und Herren. Wie oft leben sie auch lange Jahre auf sich selbst gestellt, als Wittwen vor ihrer Männer Tod, mit den Kindern allein, deren Väter auf „langer Fahrt“ im chinesischen Meer oder in der Südsee kreuzen. Wohl ihnen, wenn sie dann wenigstens ein leichtes, harmloses Herz haben, wenn ihnen kein eifersüchtiges Blut in den Adern fließt. Und wohl den fahrenden Männern, wenn ihre Gedanken Phlegma genug haben, an der Treue ihrer Frauen nicht herumzutasten. Denn diese Frauen sind zwar ein hartes, arbeitsames, treues Geschlecht; aber doch ist's nicht Jedem gegeben, sein hübsches junges Weib für eine Penelope zu halten. Ich kenne Einen — und er wird der Held dieser Geschichte sein — der immer mit felsenfestem Vertrauen hinaussegelte, aber immer mit schweren Sorgen wiederkam; der in seiner ehrlichen Brust Kämpfe erduldete, die wir sonst nur hinter der schwarzen Haut eines Othello suchen. Er war Steuermann auf einem Dreimaster, der bereits die Welt umsegelt hatte; in der allerbesten Lebenszeit, fröhlich und jähzornig, wie es gerade kam, bald voll guter Laune, bald voll Trübsinn, aber der beste Kamerad auf seinem Schiff und der beste Schiffer unter den Kameraden. Wenn auch nicht so hoch und wohlgebaut, wie sein Schwiegervater, der noch im Alter einer der schönsten Männer war, die ich zu nennen weiß, gefiel er doch sogleich durch seine behaglich würdevolle, männliche Gestalt. Die hohe Stirn, die blauen, wetterfesten, Alles durchdringenden Augen, die mäßige Adlernase, und dazu der humoristisch freundliche Mund konnten ihm nicht bloß gute Kameraden, sondern auch Frauenherzen gewinnen. 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hernach als Fischer oder Lootsen; die Frauen sieht man Ballast tragen, Sand fahren, fischen, zur Stadt hinauf segeln; sie sind auf dem Wasser so gut zu Haus, wie ihre Väter und Herren. Wie oft leben sie auch lange Jahre auf sich selbst gestellt, als Wittwen vor ihrer Männer Tod, mit den Kindern allein, deren Väter auf „langer Fahrt“ im chinesischen Meer oder in der Südsee kreuzen. Wohl ihnen, wenn sie dann wenigstens ein leichtes, harmloses Herz haben, wenn ihnen kein eifersüchtiges Blut in den Adern fließt. Und wohl den fahrenden Männern, wenn ihre Gedanken Phlegma genug haben, an der Treue ihrer Frauen nicht herumzutasten. Denn diese Frauen sind zwar ein hartes, arbeitsames, treues Geschlecht; aber doch ist's nicht Jedem gegeben, sein hübsches junges Weib für eine Penelope zu halten. Ich kenne Einen — und er wird der Held dieser Geschichte sein — der immer mit felsenfestem Vertrauen hinaussegelte, aber immer mit schweren Sorgen wiederkam; der in seiner ehrlichen Brust Kämpfe erduldete, die wir sonst nur hinter der schwarzen Haut eines Othello suchen. Er war Steuermann auf einem Dreimaster, der bereits die Welt umsegelt hatte; in der allerbesten Lebenszeit, fröhlich und jähzornig, wie es gerade kam, bald voll guter Laune, bald voll Trübsinn, aber der beste Kamerad auf seinem Schiff und der beste Schiffer unter den Kameraden. Wenn auch nicht so hoch und wohlgebaut, wie sein Schwiegervater, der noch im Alter einer der schönsten Männer war, die ich zu nennen weiß, gefiel er doch sogleich durch seine behaglich würdevolle, männliche Gestalt. Die hohe Stirn, die blauen, wetterfesten, Alles durchdringenden Augen, die mäßige Adlernase, und dazu der humoristisch freundliche Mund konnten ihm nicht bloß gute Kameraden, sondern auch Frauenherzen gewinnen. Er hatte denn auch eins der drei schönsten Mädchen seines Orts zum Weib bekommen, und ein Jahr später einen flachshaarigen Buben dazu, der seinen ehrlichen Namen Johann Ohlerich weiter vererben sollte; und so wäre er, Alles in einander gerechnet, vielleicht der glücklichste Mann
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Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/9>, abgerufen am 16.02.2025. |