Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.-- Wie der große Kerl daliegt; wie eine alte Eule, um die die Schwalben herumsitzen. Julius erwiderte nichts. Es war ihm sonderbar ernst zu Muth geworden; seine wachen Gedanken gingen hinter seinen Träumen her und dachten daran herum. Er sah still auf die Schiffe, zählte mechanisch ihre Kanonen, so viele er sehen konnte. Endlich trieb Johann Ohlerich zum Aufbruch an. Sie nahmen vom Schiffer Abschied, der behaglich neben dem Steuer saß und rauchte, wanderten zum Bahnhof und rollten in der Morgenfrische nach Hamburg zu. Ein Jeder von ihnen hatte sich bald in seine Gedanken vertieft. Johann Ohlerich schien mit jeder Stunde melancholischer und stiller zu werden; sein Heimweh nach Warnemünde war erwacht, Alles, was er dort zurückgelassen hatte, lag ihm auf der Seele. Doch er sagte nichts. Sie kamen in Hamburg an, Ohlerich führte seinen Gast -- denn als das erschien ihm Julius hier in der Seestadt, in der er zu Hause war, wie in seiner eigenen Seele -- durch allerlei enge Straßen vor Allem dem Hafen zu. Ihr Weg führte sie zuerst am Binnenhafen entlang. Hunderte von Elbkähnen lagen hier so wunderbar in einander gedrängt, daß es unmöglich schien, den hölzernen Knäuel auseinander zu wickeln. Julius starrte das Phänomen mit weit aufgerissenen Augen an. Das ist noch nichts! sagte Ohlerich stolz und zugleich geringschätzig und zog seinen Freund vorbei, nach dem Elbufer zu. Wenn wir erst an den Rummel-Hafen kommen, und so weiter! Sie wandelten Arm in Arm, ein ungeheurer Mastenwald ragte jetzt näher und näher vor ihnen auf. Das ist freilich etwas Anderes, als bei uns zu Hause! sagte Julius, von einer Art schiffsjungenhafter Ehrfurcht ergriffen. Aber was für eine hübsche Figur dieses Weibchen hat! -- Seine Bewunderung für die hohen Mastenspitzen hinderte ihn nicht, auch das Schöne zu ebener Erde zu sehen. Eine stattliche, jugendliche Gestalt in ehrbarem schwarzem Kleid, aber von — Wie der große Kerl daliegt; wie eine alte Eule, um die die Schwalben herumsitzen. Julius erwiderte nichts. Es war ihm sonderbar ernst zu Muth geworden; seine wachen Gedanken gingen hinter seinen Träumen her und dachten daran herum. Er sah still auf die Schiffe, zählte mechanisch ihre Kanonen, so viele er sehen konnte. Endlich trieb Johann Ohlerich zum Aufbruch an. Sie nahmen vom Schiffer Abschied, der behaglich neben dem Steuer saß und rauchte, wanderten zum Bahnhof und rollten in der Morgenfrische nach Hamburg zu. Ein Jeder von ihnen hatte sich bald in seine Gedanken vertieft. Johann Ohlerich schien mit jeder Stunde melancholischer und stiller zu werden; sein Heimweh nach Warnemünde war erwacht, Alles, was er dort zurückgelassen hatte, lag ihm auf der Seele. Doch er sagte nichts. Sie kamen in Hamburg an, Ohlerich führte seinen Gast — denn als das erschien ihm Julius hier in der Seestadt, in der er zu Hause war, wie in seiner eigenen Seele — durch allerlei enge Straßen vor Allem dem Hafen zu. Ihr Weg führte sie zuerst am Binnenhafen entlang. Hunderte von Elbkähnen lagen hier so wunderbar in einander gedrängt, daß es unmöglich schien, den hölzernen Knäuel auseinander zu wickeln. Julius starrte das Phänomen mit weit aufgerissenen Augen an. Das ist noch nichts! sagte Ohlerich stolz und zugleich geringschätzig und zog seinen Freund vorbei, nach dem Elbufer zu. Wenn wir erst an den Rummel-Hafen kommen, und so weiter! Sie wandelten Arm in Arm, ein ungeheurer Mastenwald ragte jetzt näher und näher vor ihnen auf. Das ist freilich etwas Anderes, als bei uns zu Hause! sagte Julius, von einer Art schiffsjungenhafter Ehrfurcht ergriffen. Aber was für eine hübsche Figur dieses Weibchen hat! — Seine Bewunderung für die hohen Mastenspitzen hinderte ihn nicht, auch das Schöne zu ebener Erde zu sehen. Eine stattliche, jugendliche Gestalt in ehrbarem schwarzem Kleid, aber von <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0060"/> — Wie der große Kerl daliegt; wie eine alte Eule, um die die Schwalben herumsitzen.</p><lb/> <p>Julius erwiderte nichts. Es war ihm sonderbar ernst zu Muth geworden; seine wachen Gedanken gingen hinter seinen Träumen her und dachten daran herum. Er sah still auf die Schiffe, zählte mechanisch ihre Kanonen, so viele er sehen konnte. Endlich trieb Johann Ohlerich zum Aufbruch an. 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Das ist noch nichts! sagte Ohlerich stolz und zugleich geringschätzig und zog seinen Freund vorbei, nach dem Elbufer zu. Wenn wir erst an den Rummel-Hafen kommen, und so weiter!</p><lb/> <p>Sie wandelten Arm in Arm, ein ungeheurer Mastenwald ragte jetzt näher und näher vor ihnen auf. Das ist freilich etwas Anderes, als bei uns zu Hause! sagte Julius, von einer Art schiffsjungenhafter Ehrfurcht ergriffen. Aber was für eine hübsche Figur dieses Weibchen hat! — Seine Bewunderung für die hohen Mastenspitzen hinderte ihn nicht, auch das Schöne zu ebener Erde zu sehen. Eine stattliche, jugendliche Gestalt in ehrbarem schwarzem Kleid, aber von<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0060]
— Wie der große Kerl daliegt; wie eine alte Eule, um die die Schwalben herumsitzen.
Julius erwiderte nichts. Es war ihm sonderbar ernst zu Muth geworden; seine wachen Gedanken gingen hinter seinen Träumen her und dachten daran herum. Er sah still auf die Schiffe, zählte mechanisch ihre Kanonen, so viele er sehen konnte. Endlich trieb Johann Ohlerich zum Aufbruch an. Sie nahmen vom Schiffer Abschied, der behaglich neben dem Steuer saß und rauchte, wanderten zum Bahnhof und rollten in der Morgenfrische nach Hamburg zu.
Ein Jeder von ihnen hatte sich bald in seine Gedanken vertieft. Johann Ohlerich schien mit jeder Stunde melancholischer und stiller zu werden; sein Heimweh nach Warnemünde war erwacht, Alles, was er dort zurückgelassen hatte, lag ihm auf der Seele. Doch er sagte nichts. Sie kamen in Hamburg an, Ohlerich führte seinen Gast — denn als das erschien ihm Julius hier in der Seestadt, in der er zu Hause war, wie in seiner eigenen Seele — durch allerlei enge Straßen vor Allem dem Hafen zu. Ihr Weg führte sie zuerst am Binnenhafen entlang. Hunderte von Elbkähnen lagen hier so wunderbar in einander gedrängt, daß es unmöglich schien, den hölzernen Knäuel auseinander zu wickeln. Julius starrte das Phänomen mit weit aufgerissenen Augen an. Das ist noch nichts! sagte Ohlerich stolz und zugleich geringschätzig und zog seinen Freund vorbei, nach dem Elbufer zu. Wenn wir erst an den Rummel-Hafen kommen, und so weiter!
Sie wandelten Arm in Arm, ein ungeheurer Mastenwald ragte jetzt näher und näher vor ihnen auf. Das ist freilich etwas Anderes, als bei uns zu Hause! sagte Julius, von einer Art schiffsjungenhafter Ehrfurcht ergriffen. Aber was für eine hübsche Figur dieses Weibchen hat! — Seine Bewunderung für die hohen Mastenspitzen hinderte ihn nicht, auch das Schöne zu ebener Erde zu sehen. Eine stattliche, jugendliche Gestalt in ehrbarem schwarzem Kleid, aber von
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Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/60>, abgerufen am 25.07.2024. |