Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Julius nickte ihr heiter zu, schlug dann aber auf einmal die Augen verwirrt vor ihr nieder und sah sie nicht wieder an. Ja, die ganze Nacht, erwiderte Ohlerich. Und habt immerfort -- ? Getrunken? Nein, immerfort getrunken haben wir nicht. Erst haben wir uns in Porter und Ale versucht; die waren beide gut. Dann sind wir der Nacht näher auf den Leib gerückt, und als die "Abendwache" aus war, haben wir während der "Hundewache" mit dem Schiffer Albrecht schwarzen Peter gespielt. Und zwischen der Hundewache und der Morgenwache sind wir auf den Bänken eingeschlafen. Was! Unter dem Vordach, in der freien Luft? Peter Jungmann, der junge -- nicht der alte -- hat uns Decken über den Leib gelegt. Und jetzt sind wir hergekommen, um hier Kaffee zu trinken. Herr du mein Gott! -- Liesbeth sah bald den Einen, bald den Andern an, sie verstand von alledem noch immer kein Wort. Es fiel ihr auf, wie sonderbar vergnügt Johann Ohlerich wieder lächelte; dann spitzte er die Lippen und pfiff eine echte Schiffermelodie in den Morgen hinaus. Sie sah wohl, daß er nicht betrunken war; ein viel zu sicherer, überlegener Humor blickte ihm aus den Augen. Endlich hielt sie es nicht mehr aus, diesen räthselhaften Menschen anzusehen, und ging in die Küche an den Herd. Von Zeit zu Zeit hörte sie ihren Mann etwas vor sich hin summen; der Andre war still. Als sie mit dem fertigen Kaffee wiederkam, fand sie die Beiden auf der Bank vor der Thür, Julius fröstelnd und mit zugeknöpftem Rock in eine Ecke gedrückt, einstweilen bemüht, sich durch eine Cigarre zu erwärmen und munter und zuversichtlich dreinzusehen. Ein runder Tisch stand vor ihnen, den Ohlerich aus dem Wohnzimmer herausgetragen hatte. Die frische Morgenluft ist gut! sagte er und warf sich behaglich auf die Bank, in die andere Ecke. Liesbeth stellte den Kaffee auf den Tisch; nun bemerkte Julius nickte ihr heiter zu, schlug dann aber auf einmal die Augen verwirrt vor ihr nieder und sah sie nicht wieder an. Ja, die ganze Nacht, erwiderte Ohlerich. Und habt immerfort — ? Getrunken? Nein, immerfort getrunken haben wir nicht. Erst haben wir uns in Porter und Ale versucht; die waren beide gut. Dann sind wir der Nacht näher auf den Leib gerückt, und als die „Abendwache“ aus war, haben wir während der „Hundewache“ mit dem Schiffer Albrecht schwarzen Peter gespielt. Und zwischen der Hundewache und der Morgenwache sind wir auf den Bänken eingeschlafen. Was! Unter dem Vordach, in der freien Luft? Peter Jungmann, der junge — nicht der alte — hat uns Decken über den Leib gelegt. Und jetzt sind wir hergekommen, um hier Kaffee zu trinken. Herr du mein Gott! — Liesbeth sah bald den Einen, bald den Andern an, sie verstand von alledem noch immer kein Wort. Es fiel ihr auf, wie sonderbar vergnügt Johann Ohlerich wieder lächelte; dann spitzte er die Lippen und pfiff eine echte Schiffermelodie in den Morgen hinaus. Sie sah wohl, daß er nicht betrunken war; ein viel zu sicherer, überlegener Humor blickte ihm aus den Augen. Endlich hielt sie es nicht mehr aus, diesen räthselhaften Menschen anzusehen, und ging in die Küche an den Herd. Von Zeit zu Zeit hörte sie ihren Mann etwas vor sich hin summen; der Andre war still. Als sie mit dem fertigen Kaffee wiederkam, fand sie die Beiden auf der Bank vor der Thür, Julius fröstelnd und mit zugeknöpftem Rock in eine Ecke gedrückt, einstweilen bemüht, sich durch eine Cigarre zu erwärmen und munter und zuversichtlich dreinzusehen. Ein runder Tisch stand vor ihnen, den Ohlerich aus dem Wohnzimmer herausgetragen hatte. Die frische Morgenluft ist gut! sagte er und warf sich behaglich auf die Bank, in die andere Ecke. Liesbeth stellte den Kaffee auf den Tisch; nun bemerkte <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <pb facs="#f0045"/> <p>Julius nickte ihr heiter zu, schlug dann aber auf einmal die Augen verwirrt vor ihr nieder und sah sie nicht wieder an.</p><lb/> <p>Ja, die ganze Nacht, erwiderte Ohlerich.</p><lb/> <p>Und habt immerfort — ?</p><lb/> <p>Getrunken? Nein, immerfort getrunken haben wir nicht. Erst haben wir uns in Porter und Ale versucht; die waren beide gut. Dann sind wir der Nacht näher auf den Leib gerückt, und als die „Abendwache“ aus war, haben wir während der „Hundewache“ mit dem Schiffer Albrecht schwarzen Peter gespielt. Und zwischen der Hundewache und der Morgenwache sind wir auf den Bänken eingeschlafen.</p><lb/> <p>Was! Unter dem Vordach, in der freien Luft?</p><lb/> <p>Peter Jungmann, der junge — nicht der alte — hat uns Decken über den Leib gelegt. Und jetzt sind wir hergekommen, um hier Kaffee zu trinken.</p><lb/> <p>Herr du mein Gott! — Liesbeth sah bald den Einen, bald den Andern an, sie verstand von alledem noch immer kein Wort. Es fiel ihr auf, wie sonderbar vergnügt Johann Ohlerich wieder lächelte; dann spitzte er die Lippen und pfiff eine echte Schiffermelodie in den Morgen hinaus. Sie sah wohl, daß er nicht betrunken war; ein viel zu sicherer, überlegener Humor blickte ihm aus den Augen. Endlich hielt sie es nicht mehr aus, diesen räthselhaften Menschen anzusehen, und ging in die Küche an den Herd.</p><lb/> <p>Von Zeit zu Zeit hörte sie ihren Mann etwas vor sich hin summen; der Andre war still. Als sie mit dem fertigen Kaffee wiederkam, fand sie die Beiden auf der Bank vor der Thür, Julius fröstelnd und mit zugeknöpftem Rock in eine Ecke gedrückt, einstweilen bemüht, sich durch eine Cigarre zu erwärmen und munter und zuversichtlich dreinzusehen. Ein runder Tisch stand vor ihnen, den Ohlerich aus dem Wohnzimmer herausgetragen hatte. Die frische Morgenluft ist gut! sagte er und warf sich behaglich auf die Bank, in die andere Ecke.</p><lb/> <p>Liesbeth stellte den Kaffee auf den Tisch; nun bemerkte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
Julius nickte ihr heiter zu, schlug dann aber auf einmal die Augen verwirrt vor ihr nieder und sah sie nicht wieder an.
Ja, die ganze Nacht, erwiderte Ohlerich.
Und habt immerfort — ?
Getrunken? Nein, immerfort getrunken haben wir nicht. Erst haben wir uns in Porter und Ale versucht; die waren beide gut. Dann sind wir der Nacht näher auf den Leib gerückt, und als die „Abendwache“ aus war, haben wir während der „Hundewache“ mit dem Schiffer Albrecht schwarzen Peter gespielt. Und zwischen der Hundewache und der Morgenwache sind wir auf den Bänken eingeschlafen.
Was! Unter dem Vordach, in der freien Luft?
Peter Jungmann, der junge — nicht der alte — hat uns Decken über den Leib gelegt. Und jetzt sind wir hergekommen, um hier Kaffee zu trinken.
Herr du mein Gott! — Liesbeth sah bald den Einen, bald den Andern an, sie verstand von alledem noch immer kein Wort. Es fiel ihr auf, wie sonderbar vergnügt Johann Ohlerich wieder lächelte; dann spitzte er die Lippen und pfiff eine echte Schiffermelodie in den Morgen hinaus. Sie sah wohl, daß er nicht betrunken war; ein viel zu sicherer, überlegener Humor blickte ihm aus den Augen. Endlich hielt sie es nicht mehr aus, diesen räthselhaften Menschen anzusehen, und ging in die Küche an den Herd.
Von Zeit zu Zeit hörte sie ihren Mann etwas vor sich hin summen; der Andre war still. Als sie mit dem fertigen Kaffee wiederkam, fand sie die Beiden auf der Bank vor der Thür, Julius fröstelnd und mit zugeknöpftem Rock in eine Ecke gedrückt, einstweilen bemüht, sich durch eine Cigarre zu erwärmen und munter und zuversichtlich dreinzusehen. Ein runder Tisch stand vor ihnen, den Ohlerich aus dem Wohnzimmer herausgetragen hatte. Die frische Morgenluft ist gut! sagte er und warf sich behaglich auf die Bank, in die andere Ecke.
Liesbeth stellte den Kaffee auf den Tisch; nun bemerkte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/45 |
Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/45>, abgerufen am 16.02.2025. |