Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Kälte. Laß meinen Arm los, oder kein Wort geht mehr über meine Lippen. Ich fürchte mich nicht vor dir! Er ließ sie los. Was habt ihr mit einander zu thun gehabt, draußen in der Nacht? rief er wieder aus. Nichts, daß ich dir drum nicht mehr ins Gesicht sehen könnte! sagte sie und blickte ihn ruhig an. Ich weiß, was ich mir selber schuldig bin; brauch's von Niemand zu lernen. Aber nun sag' ich nichts mehr. Mit Gewalt zwingst du mir nichts ab! Zieh doch dein Messer und bring mich um; so fühl' ich's wenigstens nicht mehr, wenn du mir den Arm zerbrichst und mir ins Gesicht schreist. Liesbeth! sagte er mit gedämpfterer Stimme, durch ihre Worte in Verwirrung gebracht. Wer ist Schuld daran, als du? Warum machst du mich toll? Ich mache Niemand toll, der's nicht von sich selber wird! -- -- Sie hörte das Kind weinen, das aus dem Schlaf geschreckt war, stand auf und setzte sich neben ihren Knaben ans Bett. Ihr Gesicht, ihr wenn auch erzwungenes Lächeln wirkte beruhigend auf den Kleinen. Er hielt zwar die Augen noch offen, lag aber wieder still, mit einer von seinen Händen die der Mutter streichelnd. Johann Ohlerich ging von Neuem im Zimmer auf und ab, mit gedämpftem Schritt. Endlich stand er vor Liesbeth, die auf den Knaben sah, und murmelte ihren Namen. Sie wandte ein wenig den Kopf. Du willst mir also nicht sagen, Liesbeth, fing er halblaut wieder an, was heut Abend geschehen ist. Was du zu wissen brauchtest, hab' ich dir gesagt! Nun ist's aus. Das ist dein letztes Wort? Sie gab keine andere Antwort als ein kurzes Nicken. Darüber ließ das Kind die Augen wieder zufallen und schlief ein. Johann Ohlerich sah diesem Vorgang zu, als sei es das Wichtigste, was er jetzt zu thun hätte. Dann warf er auf Liesbeth einen leidenschaftlichen, zornig zärtlichen Blick. Kälte. Laß meinen Arm los, oder kein Wort geht mehr über meine Lippen. Ich fürchte mich nicht vor dir! Er ließ sie los. Was habt ihr mit einander zu thun gehabt, draußen in der Nacht? rief er wieder aus. Nichts, daß ich dir drum nicht mehr ins Gesicht sehen könnte! sagte sie und blickte ihn ruhig an. Ich weiß, was ich mir selber schuldig bin; brauch's von Niemand zu lernen. Aber nun sag' ich nichts mehr. Mit Gewalt zwingst du mir nichts ab! Zieh doch dein Messer und bring mich um; so fühl' ich's wenigstens nicht mehr, wenn du mir den Arm zerbrichst und mir ins Gesicht schreist. Liesbeth! sagte er mit gedämpfterer Stimme, durch ihre Worte in Verwirrung gebracht. Wer ist Schuld daran, als du? Warum machst du mich toll? Ich mache Niemand toll, der's nicht von sich selber wird! — — Sie hörte das Kind weinen, das aus dem Schlaf geschreckt war, stand auf und setzte sich neben ihren Knaben ans Bett. Ihr Gesicht, ihr wenn auch erzwungenes Lächeln wirkte beruhigend auf den Kleinen. Er hielt zwar die Augen noch offen, lag aber wieder still, mit einer von seinen Händen die der Mutter streichelnd. Johann Ohlerich ging von Neuem im Zimmer auf und ab, mit gedämpftem Schritt. Endlich stand er vor Liesbeth, die auf den Knaben sah, und murmelte ihren Namen. Sie wandte ein wenig den Kopf. Du willst mir also nicht sagen, Liesbeth, fing er halblaut wieder an, was heut Abend geschehen ist. Was du zu wissen brauchtest, hab' ich dir gesagt! Nun ist's aus. Das ist dein letztes Wort? Sie gab keine andere Antwort als ein kurzes Nicken. Darüber ließ das Kind die Augen wieder zufallen und schlief ein. Johann Ohlerich sah diesem Vorgang zu, als sei es das Wichtigste, was er jetzt zu thun hätte. Dann warf er auf Liesbeth einen leidenschaftlichen, zornig zärtlichen Blick. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0037"/> Kälte. 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Kälte. Laß meinen Arm los, oder kein Wort geht mehr über meine Lippen. Ich fürchte mich nicht vor dir!
Er ließ sie los. Was habt ihr mit einander zu thun gehabt, draußen in der Nacht? rief er wieder aus.
Nichts, daß ich dir drum nicht mehr ins Gesicht sehen könnte! sagte sie und blickte ihn ruhig an. Ich weiß, was ich mir selber schuldig bin; brauch's von Niemand zu lernen. Aber nun sag' ich nichts mehr. Mit Gewalt zwingst du mir nichts ab! Zieh doch dein Messer und bring mich um; so fühl' ich's wenigstens nicht mehr, wenn du mir den Arm zerbrichst und mir ins Gesicht schreist.
Liesbeth! sagte er mit gedämpfterer Stimme, durch ihre Worte in Verwirrung gebracht. Wer ist Schuld daran, als du? Warum machst du mich toll?
Ich mache Niemand toll, der's nicht von sich selber wird! — — Sie hörte das Kind weinen, das aus dem Schlaf geschreckt war, stand auf und setzte sich neben ihren Knaben ans Bett. Ihr Gesicht, ihr wenn auch erzwungenes Lächeln wirkte beruhigend auf den Kleinen. Er hielt zwar die Augen noch offen, lag aber wieder still, mit einer von seinen Händen die der Mutter streichelnd.
Johann Ohlerich ging von Neuem im Zimmer auf und ab, mit gedämpftem Schritt. Endlich stand er vor Liesbeth, die auf den Knaben sah, und murmelte ihren Namen. Sie wandte ein wenig den Kopf. Du willst mir also nicht sagen, Liesbeth, fing er halblaut wieder an, was heut Abend geschehen ist.
Was du zu wissen brauchtest, hab' ich dir gesagt! Nun ist's aus.
Das ist dein letztes Wort?
Sie gab keine andere Antwort als ein kurzes Nicken. Darüber ließ das Kind die Augen wieder zufallen und schlief ein. Johann Ohlerich sah diesem Vorgang zu, als sei es das Wichtigste, was er jetzt zu thun hätte. Dann warf er auf Liesbeth einen leidenschaftlichen, zornig zärtlichen Blick.
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Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/37>, abgerufen am 25.07.2024. |