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Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Weil Sie mich ansehen!

Er lachte. Ja, allerdings: weil ich Sie ansehe, Liesbeth. Doch ich sehe eigentlich nichts mehr, als die beiden Abendsterne in Ihrem Gesicht: sonst ist Alles Nacht. Hören Sie da etwas? Das klingt, wie wenn eine Rakete in die Höhe prasselt. Das Feuerwerk, Liesbeth! Feuerwerk und Stromfahrt! -- Wollen wir wieder mit einander spazieren gehen, wie fünf Sommer früher, und die Komödie mit anschauen?

Er sah ihr nach den Augen, doch in der Erwartung, daß sie ihn auslachen, ihn an die veränderte Zeit erinnern werde. Statt dessen stand sie auf, nahm ein Tuch und schlang es sich um den Kopf. Ja, das wollen wir thun! sagte sie hastig. Alles wollen wir thun! -- Oh! -- -- Sie sprach den Gedanken nicht aus, der in diesem Ausruf lag. Eine zweite Rakete ließ sich von Weitem hören, und es war, als elektrisire sie das. Einen Augenblick stand sie noch und horchte; -- mein Junge ist still, murmelte sie, und die alte Rieke ist da. Warum haben Sie die Thür noch nicht aufgemacht, Julius? Gehen Sie doch voran!

Der Jüngling öffnete, und sie traten hinaus. Liesbeth fing an, leise ein Lied zu singen, ein Schifferlied, das aus ihrem Mund sonderbar übermüthig klang. Ihr ganzes Wesen erschien ihm verwandelt. Sie ging so frei neben ihm her, als gehöre es sich so, als kenne sie es nicht anders. Draußen am Strom empfing sie die laue, schwüle Nachtluft, nur durch den Wasserdunst ein wenig gekühlt; die junge Frau öffnete die Lippen, wie um diese Schwüle eifriger einzuathmen. Hier und da stand ein Stern am Himmel, doch mit gedämpftem Schein zwischen losem Gewölk. Weiter unten am Strom aber, den man von diesen Häusern aus in seiner ganzen Biegung übersah, nicht weit von der Mündung, stiegen die Feuerpfeile lang in die Höhe, lös'ten sich oben am Himmelsgewölbe auf und fielen als blaue, grüne, rothe Sterne geräuschlos wieder herab. Schwärmer prasselten hinter ihnen

Weil Sie mich ansehen!

Er lachte. Ja, allerdings: weil ich Sie ansehe, Liesbeth. Doch ich sehe eigentlich nichts mehr, als die beiden Abendsterne in Ihrem Gesicht: sonst ist Alles Nacht. Hören Sie da etwas? Das klingt, wie wenn eine Rakete in die Höhe prasselt. Das Feuerwerk, Liesbeth! Feuerwerk und Stromfahrt! — Wollen wir wieder mit einander spazieren gehen, wie fünf Sommer früher, und die Komödie mit anschauen?

Er sah ihr nach den Augen, doch in der Erwartung, daß sie ihn auslachen, ihn an die veränderte Zeit erinnern werde. Statt dessen stand sie auf, nahm ein Tuch und schlang es sich um den Kopf. Ja, das wollen wir thun! sagte sie hastig. Alles wollen wir thun! — Oh! — — Sie sprach den Gedanken nicht aus, der in diesem Ausruf lag. Eine zweite Rakete ließ sich von Weitem hören, und es war, als elektrisire sie das. Einen Augenblick stand sie noch und horchte; — mein Junge ist still, murmelte sie, und die alte Rieke ist da. Warum haben Sie die Thür noch nicht aufgemacht, Julius? Gehen Sie doch voran!

Der Jüngling öffnete, und sie traten hinaus. Liesbeth fing an, leise ein Lied zu singen, ein Schifferlied, das aus ihrem Mund sonderbar übermüthig klang. Ihr ganzes Wesen erschien ihm verwandelt. Sie ging so frei neben ihm her, als gehöre es sich so, als kenne sie es nicht anders. Draußen am Strom empfing sie die laue, schwüle Nachtluft, nur durch den Wasserdunst ein wenig gekühlt; die junge Frau öffnete die Lippen, wie um diese Schwüle eifriger einzuathmen. Hier und da stand ein Stern am Himmel, doch mit gedämpftem Schein zwischen losem Gewölk. Weiter unten am Strom aber, den man von diesen Häusern aus in seiner ganzen Biegung übersah, nicht weit von der Mündung, stiegen die Feuerpfeile lang in die Höhe, lös'ten sich oben am Himmelsgewölbe auf und fielen als blaue, grüne, rothe Sterne geräuschlos wieder herab. Schwärmer prasselten hinter ihnen

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[0029] Weil Sie mich ansehen! Er lachte. Ja, allerdings: weil ich Sie ansehe, Liesbeth. Doch ich sehe eigentlich nichts mehr, als die beiden Abendsterne in Ihrem Gesicht: sonst ist Alles Nacht. Hören Sie da etwas? Das klingt, wie wenn eine Rakete in die Höhe prasselt. Das Feuerwerk, Liesbeth! Feuerwerk und Stromfahrt! — Wollen wir wieder mit einander spazieren gehen, wie fünf Sommer früher, und die Komödie mit anschauen? Er sah ihr nach den Augen, doch in der Erwartung, daß sie ihn auslachen, ihn an die veränderte Zeit erinnern werde. Statt dessen stand sie auf, nahm ein Tuch und schlang es sich um den Kopf. Ja, das wollen wir thun! sagte sie hastig. Alles wollen wir thun! — Oh! — — Sie sprach den Gedanken nicht aus, der in diesem Ausruf lag. Eine zweite Rakete ließ sich von Weitem hören, und es war, als elektrisire sie das. Einen Augenblick stand sie noch und horchte; — mein Junge ist still, murmelte sie, und die alte Rieke ist da. Warum haben Sie die Thür noch nicht aufgemacht, Julius? Gehen Sie doch voran! Der Jüngling öffnete, und sie traten hinaus. Liesbeth fing an, leise ein Lied zu singen, ein Schifferlied, das aus ihrem Mund sonderbar übermüthig klang. Ihr ganzes Wesen erschien ihm verwandelt. Sie ging so frei neben ihm her, als gehöre es sich so, als kenne sie es nicht anders. Draußen am Strom empfing sie die laue, schwüle Nachtluft, nur durch den Wasserdunst ein wenig gekühlt; die junge Frau öffnete die Lippen, wie um diese Schwüle eifriger einzuathmen. Hier und da stand ein Stern am Himmel, doch mit gedämpftem Schein zwischen losem Gewölk. Weiter unten am Strom aber, den man von diesen Häusern aus in seiner ganzen Biegung übersah, nicht weit von der Mündung, stiegen die Feuerpfeile lang in die Höhe, lös'ten sich oben am Himmelsgewölbe auf und fielen als blaue, grüne, rothe Sterne geräuschlos wieder herab. Schwärmer prasselten hinter ihnen

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:21:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:21:33Z)

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Zitationshilfe: Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/29>, abgerufen am 21.11.2024.