Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.größten im Ort, weiß angestrichen, die grüne Thür in der Mitte, rechts und links davon je zwei Fenster und eine Bank. Das ganze Vorderhaus war, wie es Sitte ist, an die Sommergäste vermiethet; im kleinen Hintergebäude wohnte der alte Hausherr mit seiner Frau. Es war vormittagsstill, Alles schien ausgeflogen zu sein, auch durch die offene Hausthür verlautete nichts. Trotz alledem hatte Ohlerich so ein dunkles Gefühl, als werde er seine Frau hier finden und nicht daheim, und der unglückselige Kitzel überkam ihn, sie zu beschleichen. Zwischen je zwei Häusern ist ein schmaler Durchgang, den eine Thür verschließt und der nach hinten auf den Hof und zum Garten führt. Johann Ohlerich trat an diese Thür, drückte die Klinke auf und ging zwischen den Mauern auf den Zehen fort, bis er mit vorgestrecktem Kopf den kleinen Hof übersehen konnte. Hier lagen unter einem Birnbaum geflickte Netze herum, und die farbigen Hemden und grauen Leinwandhosen des Schwiegervaters schwankten an einer Leine im leichten Wind auf und ab. Dann erschien die kleine Schwiegermutter vom Garten her, ohne ihn zu sehen, und lachte mit ihrer männlichen Stimme laut auf, als habe sie da hinten irgend ein lustiges Wort gehört. Auch vom Garten herüber hörte er lachen. Es war Liesbeth's Stimme. Die alte Frau fuhr auf ihren klappernden Pantoffeln in die Küche hinein. Johann Ohlerich, ohne sich nun länger zu besinnen, ging über den Hof, öffnete die Gartenthür, so geräuschlos er konnte, schlich hinter das Gebüsch, das in der Nähe stand, und sah nun wirklich das Paar, das ihm die Träume seiner Nächte verstört hatte. Unter einem Apfelbaum neben dem Gurkenbeet, auf einem Brettstuhl, der sich gegen den Baumstamm lehnte, saß sein junges Weib, frisch und hübsch wie je, und hielt ein Messer in der Hand und eine Schüssel mit langen Bohnen im Schooß, doch ohne sie abzuziehen. Ihr zwanzigjähriger Anbeter saß ihr gegenüber, den Strohhut über die Stirn zurückgeschoben, mit geöffneter Weste -- es schien ihm hinter größten im Ort, weiß angestrichen, die grüne Thür in der Mitte, rechts und links davon je zwei Fenster und eine Bank. Das ganze Vorderhaus war, wie es Sitte ist, an die Sommergäste vermiethet; im kleinen Hintergebäude wohnte der alte Hausherr mit seiner Frau. Es war vormittagsstill, Alles schien ausgeflogen zu sein, auch durch die offene Hausthür verlautete nichts. Trotz alledem hatte Ohlerich so ein dunkles Gefühl, als werde er seine Frau hier finden und nicht daheim, und der unglückselige Kitzel überkam ihn, sie zu beschleichen. Zwischen je zwei Häusern ist ein schmaler Durchgang, den eine Thür verschließt und der nach hinten auf den Hof und zum Garten führt. Johann Ohlerich trat an diese Thür, drückte die Klinke auf und ging zwischen den Mauern auf den Zehen fort, bis er mit vorgestrecktem Kopf den kleinen Hof übersehen konnte. Hier lagen unter einem Birnbaum geflickte Netze herum, und die farbigen Hemden und grauen Leinwandhosen des Schwiegervaters schwankten an einer Leine im leichten Wind auf und ab. Dann erschien die kleine Schwiegermutter vom Garten her, ohne ihn zu sehen, und lachte mit ihrer männlichen Stimme laut auf, als habe sie da hinten irgend ein lustiges Wort gehört. Auch vom Garten herüber hörte er lachen. Es war Liesbeth's Stimme. Die alte Frau fuhr auf ihren klappernden Pantoffeln in die Küche hinein. Johann Ohlerich, ohne sich nun länger zu besinnen, ging über den Hof, öffnete die Gartenthür, so geräuschlos er konnte, schlich hinter das Gebüsch, das in der Nähe stand, und sah nun wirklich das Paar, das ihm die Träume seiner Nächte verstört hatte. Unter einem Apfelbaum neben dem Gurkenbeet, auf einem Brettstuhl, der sich gegen den Baumstamm lehnte, saß sein junges Weib, frisch und hübsch wie je, und hielt ein Messer in der Hand und eine Schüssel mit langen Bohnen im Schooß, doch ohne sie abzuziehen. Ihr zwanzigjähriger Anbeter saß ihr gegenüber, den Strohhut über die Stirn zurückgeschoben, mit geöffneter Weste — es schien ihm hinter <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> größten im Ort, weiß angestrichen, die grüne Thür in der Mitte, rechts und links davon je zwei Fenster und eine Bank. Das ganze Vorderhaus war, wie es Sitte ist, an die Sommergäste vermiethet; im kleinen Hintergebäude wohnte der alte Hausherr mit seiner Frau. Es war vormittagsstill, Alles schien ausgeflogen zu sein, auch durch die offene Hausthür verlautete nichts. Trotz alledem hatte Ohlerich so ein dunkles Gefühl, als werde er seine Frau hier finden und nicht daheim, und der unglückselige Kitzel überkam ihn, sie zu beschleichen. Zwischen je zwei Häusern ist ein schmaler Durchgang, den eine Thür verschließt und der nach hinten auf den Hof und zum Garten führt. Johann Ohlerich trat an diese Thür, drückte die Klinke auf und ging zwischen den Mauern auf den Zehen fort, bis er mit vorgestrecktem Kopf den kleinen Hof übersehen konnte. Hier lagen unter einem Birnbaum geflickte Netze herum, und die farbigen Hemden und grauen Leinwandhosen des Schwiegervaters schwankten an einer Leine im leichten Wind auf und ab. Dann erschien die kleine Schwiegermutter vom Garten her, ohne ihn zu sehen, und lachte mit ihrer männlichen Stimme laut auf, als habe sie da hinten irgend ein lustiges Wort gehört. Auch vom Garten herüber hörte er lachen. Es war Liesbeth's Stimme. Die alte Frau fuhr auf ihren klappernden Pantoffeln in die Küche hinein. Johann Ohlerich, ohne sich nun länger zu besinnen, ging über den Hof, öffnete die Gartenthür, so geräuschlos er konnte, schlich hinter das Gebüsch, das in der Nähe stand, und sah nun wirklich das Paar, das ihm die Träume seiner Nächte verstört hatte.</p><lb/> <p>Unter einem Apfelbaum neben dem Gurkenbeet, auf einem Brettstuhl, der sich gegen den Baumstamm lehnte, saß sein junges Weib, frisch und hübsch wie je, und hielt ein Messer in der Hand und eine Schüssel mit langen Bohnen im Schooß, doch ohne sie abzuziehen. Ihr zwanzigjähriger Anbeter saß ihr gegenüber, den Strohhut über die Stirn zurückgeschoben, mit geöffneter Weste — es schien ihm hinter<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
größten im Ort, weiß angestrichen, die grüne Thür in der Mitte, rechts und links davon je zwei Fenster und eine Bank. Das ganze Vorderhaus war, wie es Sitte ist, an die Sommergäste vermiethet; im kleinen Hintergebäude wohnte der alte Hausherr mit seiner Frau. Es war vormittagsstill, Alles schien ausgeflogen zu sein, auch durch die offene Hausthür verlautete nichts. Trotz alledem hatte Ohlerich so ein dunkles Gefühl, als werde er seine Frau hier finden und nicht daheim, und der unglückselige Kitzel überkam ihn, sie zu beschleichen. Zwischen je zwei Häusern ist ein schmaler Durchgang, den eine Thür verschließt und der nach hinten auf den Hof und zum Garten führt. Johann Ohlerich trat an diese Thür, drückte die Klinke auf und ging zwischen den Mauern auf den Zehen fort, bis er mit vorgestrecktem Kopf den kleinen Hof übersehen konnte. Hier lagen unter einem Birnbaum geflickte Netze herum, und die farbigen Hemden und grauen Leinwandhosen des Schwiegervaters schwankten an einer Leine im leichten Wind auf und ab. Dann erschien die kleine Schwiegermutter vom Garten her, ohne ihn zu sehen, und lachte mit ihrer männlichen Stimme laut auf, als habe sie da hinten irgend ein lustiges Wort gehört. Auch vom Garten herüber hörte er lachen. Es war Liesbeth's Stimme. Die alte Frau fuhr auf ihren klappernden Pantoffeln in die Küche hinein. Johann Ohlerich, ohne sich nun länger zu besinnen, ging über den Hof, öffnete die Gartenthür, so geräuschlos er konnte, schlich hinter das Gebüsch, das in der Nähe stand, und sah nun wirklich das Paar, das ihm die Träume seiner Nächte verstört hatte.
Unter einem Apfelbaum neben dem Gurkenbeet, auf einem Brettstuhl, der sich gegen den Baumstamm lehnte, saß sein junges Weib, frisch und hübsch wie je, und hielt ein Messer in der Hand und eine Schüssel mit langen Bohnen im Schooß, doch ohne sie abzuziehen. Ihr zwanzigjähriger Anbeter saß ihr gegenüber, den Strohhut über die Stirn zurückgeschoben, mit geöffneter Weste — es schien ihm hinter
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Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/14>, abgerufen am 16.07.2024. |