Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zwischen den beiden Wendekreisen gewesen, wenn sich nicht der Othello in seinem Herzen gerührt hätte. Er war eifersüchtiger als die Andern, aber freilich hatte er auch mehr als die Andern zu verlieren. Sein junges Weib, Liesbeth, hatte die großen, majestätischen Züge ihres Vaters und die Schlagfertigkeit ihrer kleinen Mutter geerbt; bei aller Strenge des Profils und der blauen Augen -- wie der Leser sie vorhin bei seinem Eintritt gesehen -- war ihr Geist so anmuthig, daß auch die "großstädtische" Rostocker Jugend sich an ihrem Witz versengen und Kopf und Herz an sie verlieren konnte. Es sah, ging und stellte ihr Mancher nach, der dem wackeren Johann Ohlerich nicht gefiel, und in gut gelaunten Stunden machte es ihm wohl Vergnügen, sein Weib mit dem Warnemünder Leuchtthurm zu vergleichen, an dem sich in Herbstnächten die Zugvögel, vom Licht verführt, so oft die Köpfe zerstoßen. Aber die gutgelaunten Stunden waren nicht immer da, und Liesbeth, als ihres Vaters Kind, von viel zu trotziger Art, um sich seinen mißtrauischen Grillen sanft zu unterwerfen. Sie hatte ihn genommen, weil ihre Eltern es wünschten, und gleich am Hochzeitstag zeigte sie ihm, wie wenig sie Willens war, sich von seinem Eifersuchtsteufel plagen zu lassen. Sie waren getraut und es wurde getanzt, und einer der jungen Bursche, den sie vordem mit günstigen Augen angesehen hatte, forderte sie, mit vielleicht etwas unbillig verliebten Augen, zu einem "Zweitritt" auf, in dem sie als Mädchen berühmt war. Johann Ohlerich bemerkte dies kaum, so nahm er sein junges Eheweib bei Seite und, von dem Glühwein und seinen neuen Hausherrnrechten erhitzt, befahl er ihr, sich von diesem unerfreulichen Burschen, nicht herumschwenken zu lassen. Sie sah ihm ins Gesicht, ließ ihn stehen, wo er stand, und in dem zornigen Gefühl, daß sie ihn bei Zeiten kuriren und ihre eigenen Rechte wahren müsse, ging sie auf den Andern zu und sagte ihm, daß sie mit ihm tanzen werde, so lange es ihm und ihr nur irgend gefiele. Und so tanzten sie mit einer Ausdauer und Leiden- zwischen den beiden Wendekreisen gewesen, wenn sich nicht der Othello in seinem Herzen gerührt hätte. Er war eifersüchtiger als die Andern, aber freilich hatte er auch mehr als die Andern zu verlieren. Sein junges Weib, Liesbeth, hatte die großen, majestätischen Züge ihres Vaters und die Schlagfertigkeit ihrer kleinen Mutter geerbt; bei aller Strenge des Profils und der blauen Augen — wie der Leser sie vorhin bei seinem Eintritt gesehen — war ihr Geist so anmuthig, daß auch die „großstädtische“ Rostocker Jugend sich an ihrem Witz versengen und Kopf und Herz an sie verlieren konnte. Es sah, ging und stellte ihr Mancher nach, der dem wackeren Johann Ohlerich nicht gefiel, und in gut gelaunten Stunden machte es ihm wohl Vergnügen, sein Weib mit dem Warnemünder Leuchtthurm zu vergleichen, an dem sich in Herbstnächten die Zugvögel, vom Licht verführt, so oft die Köpfe zerstoßen. Aber die gutgelaunten Stunden waren nicht immer da, und Liesbeth, als ihres Vaters Kind, von viel zu trotziger Art, um sich seinen mißtrauischen Grillen sanft zu unterwerfen. Sie hatte ihn genommen, weil ihre Eltern es wünschten, und gleich am Hochzeitstag zeigte sie ihm, wie wenig sie Willens war, sich von seinem Eifersuchtsteufel plagen zu lassen. Sie waren getraut und es wurde getanzt, und einer der jungen Bursche, den sie vordem mit günstigen Augen angesehen hatte, forderte sie, mit vielleicht etwas unbillig verliebten Augen, zu einem „Zweitritt“ auf, in dem sie als Mädchen berühmt war. Johann Ohlerich bemerkte dies kaum, so nahm er sein junges Eheweib bei Seite und, von dem Glühwein und seinen neuen Hausherrnrechten erhitzt, befahl er ihr, sich von diesem unerfreulichen Burschen, nicht herumschwenken zu lassen. Sie sah ihm ins Gesicht, ließ ihn stehen, wo er stand, und in dem zornigen Gefühl, daß sie ihn bei Zeiten kuriren und ihre eigenen Rechte wahren müsse, ging sie auf den Andern zu und sagte ihm, daß sie mit ihm tanzen werde, so lange es ihm und ihr nur irgend gefiele. Und so tanzten sie mit einer Ausdauer und Leiden- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0010"/> zwischen den beiden Wendekreisen gewesen, wenn sich nicht der Othello in seinem Herzen gerührt hätte.</p><lb/> <p>Er war eifersüchtiger als die Andern, aber freilich hatte er auch mehr als die Andern zu verlieren. Sein junges Weib, Liesbeth, hatte die großen, majestätischen Züge ihres Vaters und die Schlagfertigkeit ihrer kleinen Mutter geerbt; bei aller Strenge des Profils und der blauen Augen — wie der Leser sie vorhin bei seinem Eintritt gesehen — war ihr Geist so anmuthig, daß auch die „großstädtische“ Rostocker Jugend sich an ihrem Witz versengen und Kopf und Herz an sie verlieren konnte. Es sah, ging und stellte ihr Mancher nach, der dem wackeren Johann Ohlerich nicht gefiel, und in gut gelaunten Stunden machte es ihm wohl Vergnügen, sein Weib mit dem Warnemünder Leuchtthurm zu vergleichen, an dem sich in Herbstnächten die Zugvögel, vom Licht verführt, so oft die Köpfe zerstoßen. Aber die gutgelaunten Stunden waren nicht immer da, und Liesbeth, als ihres Vaters Kind, von viel zu trotziger Art, um sich seinen mißtrauischen Grillen sanft zu unterwerfen. Sie hatte ihn genommen, weil ihre Eltern es wünschten, und gleich am Hochzeitstag zeigte sie ihm, wie wenig sie Willens war, sich von seinem Eifersuchtsteufel plagen zu lassen. Sie waren getraut und es wurde getanzt, und einer der jungen Bursche, den sie vordem mit günstigen Augen angesehen hatte, forderte sie, mit vielleicht etwas unbillig verliebten Augen, zu einem „Zweitritt“ auf, in dem sie als Mädchen berühmt war. Johann Ohlerich bemerkte dies kaum, so nahm er sein junges Eheweib bei Seite und, von dem Glühwein und seinen neuen Hausherrnrechten erhitzt, befahl er ihr, sich von diesem unerfreulichen Burschen, nicht herumschwenken zu lassen. Sie sah ihm ins Gesicht, ließ ihn stehen, wo er stand, und in dem zornigen Gefühl, daß sie ihn bei Zeiten kuriren und ihre eigenen Rechte wahren müsse, ging sie auf den Andern zu und sagte ihm, daß sie mit ihm tanzen werde, so lange es ihm und ihr nur irgend gefiele. Und so tanzten sie mit einer Ausdauer und Leiden-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
zwischen den beiden Wendekreisen gewesen, wenn sich nicht der Othello in seinem Herzen gerührt hätte.
Er war eifersüchtiger als die Andern, aber freilich hatte er auch mehr als die Andern zu verlieren. Sein junges Weib, Liesbeth, hatte die großen, majestätischen Züge ihres Vaters und die Schlagfertigkeit ihrer kleinen Mutter geerbt; bei aller Strenge des Profils und der blauen Augen — wie der Leser sie vorhin bei seinem Eintritt gesehen — war ihr Geist so anmuthig, daß auch die „großstädtische“ Rostocker Jugend sich an ihrem Witz versengen und Kopf und Herz an sie verlieren konnte. Es sah, ging und stellte ihr Mancher nach, der dem wackeren Johann Ohlerich nicht gefiel, und in gut gelaunten Stunden machte es ihm wohl Vergnügen, sein Weib mit dem Warnemünder Leuchtthurm zu vergleichen, an dem sich in Herbstnächten die Zugvögel, vom Licht verführt, so oft die Köpfe zerstoßen. Aber die gutgelaunten Stunden waren nicht immer da, und Liesbeth, als ihres Vaters Kind, von viel zu trotziger Art, um sich seinen mißtrauischen Grillen sanft zu unterwerfen. Sie hatte ihn genommen, weil ihre Eltern es wünschten, und gleich am Hochzeitstag zeigte sie ihm, wie wenig sie Willens war, sich von seinem Eifersuchtsteufel plagen zu lassen. Sie waren getraut und es wurde getanzt, und einer der jungen Bursche, den sie vordem mit günstigen Augen angesehen hatte, forderte sie, mit vielleicht etwas unbillig verliebten Augen, zu einem „Zweitritt“ auf, in dem sie als Mädchen berühmt war. Johann Ohlerich bemerkte dies kaum, so nahm er sein junges Eheweib bei Seite und, von dem Glühwein und seinen neuen Hausherrnrechten erhitzt, befahl er ihr, sich von diesem unerfreulichen Burschen, nicht herumschwenken zu lassen. Sie sah ihm ins Gesicht, ließ ihn stehen, wo er stand, und in dem zornigen Gefühl, daß sie ihn bei Zeiten kuriren und ihre eigenen Rechte wahren müsse, ging sie auf den Andern zu und sagte ihm, daß sie mit ihm tanzen werde, so lange es ihm und ihr nur irgend gefiele. Und so tanzten sie mit einer Ausdauer und Leiden-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/10 |
Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/10>, abgerufen am 16.07.2024. |