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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Iambos und elegie.
das fremdartig altertümliche. um 550 tat man dann den letzten not-
wendigen schritt, und streifte als letzte aller bande die gebundene rede ab.

Was der elegiker oder iambograph in seinem kreise vorgetragen
hatte, trug der rhapsode bald ebenso wie das epos weiter, und so gelangte
auch diese poesie in das mutterland. aber hier war der boden noch
nicht reif für die entfaltung dieser subjectivität, und nur in dem stamm-
verwandten Athen bemächtigte sich der gründer der verfassung der poesie
als einer waffe um die stimmung seines volkes zu beeinflussen. was der
handelsmann Solon konnte, der in vielen ländern mit vielerlei volk ver-
kehrt hatte, dazu war der ritter auf seiner burg oder am gemeinsamen
tische unter seinen zeltgenossen nicht fähig. wol nahm die politische
hauptstadt des Peloponnes, nunmehr Sparta, die elegie auf, weil der adel
mit der bunten homerischen bildlichkeit nie viel hatte anfangen mögen,
dagegen gefallen daran fand, sich einen spiegel der tugenden, zu denen
ihn der zwang seiner standesehre erzog, in den gefälligen formen der
verständigen und verständlichen ionischen elegie vorhalten zu lassen. aber
dabei gieng eben das verloren, was den fortschritt der elegie über das
epos gebildet hatte, das individuelle. der herrschenden überlieferung nach
war der einzige dichter ein zugewanderter Ionier. mag diese tradition
wahr oder falsch sein 32), sie beweist, dass man den Lakonen einen solchen
dichter nicht zutraute. und wirklich spricht aus den meisten gedichten,
die auf Tyrtaios namen giengen, nicht ein einzelner mensch, sondern ein

32) Wir kommen über das dilemma nicht hinweg, das Apollodor (Strab. 362)
richtig formulirt. wenn Tyrtaios ein Athener war, so kann er die Ennomia nicht ge-
dichtet haben, und wenn er die gedichtet hat, so war er ein Lakone. denn der
ausweg, ihm das bürgerrecht erteilen zu lassen, zu dem schon Platon greift (Ges. 629a),
reicht gegenüber dem stolze auf die herkunft aus der dorischen tetrapolis nicht hin.
und der dichter der Eunomia ist heerführer wider die Messenier gewesen: das stand
in den elegien. nicht leicht wird man das einem fremden zutrauen. hier haben
wir also sicher eine bedeutende persönlichkeit: aber dieser alle die ganz allgemein
gehaltenen mahnungen zur tapferkeit zuzuschreiben, ist eine vertrauensseligkeit, vor
der die namen Homer Hesiod Orpheus Theognis und selbst Sappho und Anakreon
warnen sollten. auf den berühmten namen gieng die lakonische elegie wie sie war.
die tradition, dass Tyrtaios ein Athener war, ist älter als die bekannte ausgeschmückte
fabel von dem lahmen schulmeister, eine parodie des kimonischen hilfszuges, wie
man jetzt ja wol zugesteht. daneben erscheint Milet als heimat (Suid. s. v.),
was sich gar nicht discutiren lässt, da der gewährsmann unbekannt ist. der name
klingt nicht attisch, gehört doch wol zu Turtamos; allein in vereinzelten wörtern
hat sich auch in Athen t vor u gehalten: Turmeidai ist ein demos, war zweifellos
ein geschlecht, und neben surbeneon khoros steht turbe und turbazein. so bleiben
die probabilitäten in der schwebe.

Iambos und elegie.
das fremdartig altertümliche. um 550 tat man dann den letzten not-
wendigen schritt, und streifte als letzte aller bande die gebundene rede ab.

Was der elegiker oder iambograph in seinem kreise vorgetragen
hatte, trug der rhapsode bald ebenso wie das epos weiter, und so gelangte
auch diese poesie in das mutterland. aber hier war der boden noch
nicht reif für die entfaltung dieser subjectivität, und nur in dem stamm-
verwandten Athen bemächtigte sich der gründer der verfassung der poesie
als einer waffe um die stimmung seines volkes zu beeinflussen. was der
handelsmann Solon konnte, der in vielen ländern mit vielerlei volk ver-
kehrt hatte, dazu war der ritter auf seiner burg oder am gemeinsamen
tische unter seinen zeltgenossen nicht fähig. wol nahm die politische
hauptstadt des Peloponnes, nunmehr Sparta, die elegie auf, weil der adel
mit der bunten homerischen bildlichkeit nie viel hatte anfangen mögen,
dagegen gefallen daran fand, sich einen spiegel der tugenden, zu denen
ihn der zwang seiner standesehre erzog, in den gefälligen formen der
verständigen und verständlichen ionischen elegie vorhalten zu lassen. aber
dabei gieng eben das verloren, was den fortschritt der elegie über das
epos gebildet hatte, das individuelle. der herrschenden überlieferung nach
war der einzige dichter ein zugewanderter Ionier. mag diese tradition
wahr oder falsch sein 32), sie beweist, daſs man den Lakonen einen solchen
dichter nicht zutraute. und wirklich spricht aus den meisten gedichten,
die auf Tyrtaios namen giengen, nicht ein einzelner mensch, sondern ein

32) Wir kommen über das dilemma nicht hinweg, das Apollodor (Strab. 362)
richtig formulirt. wenn Tyrtaios ein Athener war, so kann er die Ennomia nicht ge-
dichtet haben, und wenn er die gedichtet hat, so war er ein Lakone. denn der
ausweg, ihm das bürgerrecht erteilen zu lassen, zu dem schon Platon greift (Ges. 629a),
reicht gegenüber dem stolze auf die herkunft aus der dorischen tetrapolis nicht hin.
und der dichter der Eunomia ist heerführer wider die Messenier gewesen: das stand
in den elegien. nicht leicht wird man das einem fremden zutrauen. hier haben
wir also sicher eine bedeutende persönlichkeit: aber dieser alle die ganz allgemein
gehaltenen mahnungen zur tapferkeit zuzuschreiben, ist eine vertrauensseligkeit, vor
der die namen Homer Hesiod Orpheus Theognis und selbst Sappho und Anakreon
warnen sollten. auf den berühmten namen gieng die lakonische elegie wie sie war.
die tradition, daſs Tyrtaios ein Athener war, ist älter als die bekannte ausgeschmückte
fabel von dem lahmen schulmeister, eine parodie des kimonischen hilfszuges, wie
man jetzt ja wol zugesteht. daneben erscheint Milet als heimat (Suid. s. v.),
was sich gar nicht discutiren läſst, da der gewährsmann unbekannt ist. der name
klingt nicht attisch, gehört doch wol zu Τύρταμος; allein in vereinzelten wörtern
hat sich auch in Athen t vor u gehalten: Τυρμεῖδαι ist ein demos, war zweifellos
ein geschlecht, und neben συρβηνέων χορός steht τύρβη und τυρβάζειν. so bleiben
die probabilitäten in der schwebe.
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/89>, abgerufen am 28.11.2024.