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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Was ist eine attische tragödie?
welchem ihr versmass entwickelt ist, und ist wie dieses ein kunstmässiges,
kein volkstümliches gedicht geblieben. im Dionysosdienste ist der aufzug
des phallos ein notwendiger teil der feier. dass die männer, welche ihn
tragen, die gelegenheit nicht vorüberlassen, von diesem gewaltigen ein
kräftiges wort zu sagen, versteht man leicht. man könnte aus mittel-
alterlicher und auch späterer litteratur und aus recht hohen gesellschafts-
schichten analogien beibringen. so tat es Dikaiopolis zu hause, so taten
es die phallophoren vieler orten, und aus späterer zeit fehlt es nicht
an belegen 19). in Athen giengen sie einen schritt weiter, parebesan

auf den die ganze etymologie zurückgeht, legai de gunaikes aus Archilochos (174)
im sinne von akolastos. davon kommt elegainein und kommen die weibernamen;
aber davon führt keine brücke zur elegie. auf obscöne gesten und lieder führt nur die
sicherlich alte (Lykophr. 1385) geschichte der Neleustochter: aber gerade hier ist
der redende name Elegeis schwerlich der ursprüngliche, denn er hat an dem echten
Nelidennamen Pero (im Et. M. fälschlich Peiro) einen concurrenten und vor allem
hat der, welcher die Pero zu einer Elegeis machte, nur an ihre unanständigkeit,
nicht an die elegie gedacht, denn sie redet in hexametern. (sie spricht in Athen
epikrotousa to epeision "dizeo dizeo soi mala de megan andr ap Athenon;
e es Mileton se kataxo pemata Karsin. so etwa mag es gelautet haben. im
Et. M. ist überliefert d. d. de megan andra Athenaion, os s epi M. kataxei p. K.
in den Lyk. schol. d. s eu mala es (oder eu Tzetz.) thaleron posin e es Athenas e
es Mileton kataxo p. K. es kommt der Pero auf den aner, nicht auf den posis
an). dass Theokles, der führer der chalkidischen besiedler Siciliens, die elegie er-
funden haben soll, ist eine merkwürdige für mich nicht deutbare notiz: aber sein
wahnsinn ist denn doch nur ein hebel für die etymologie. nun kann man allenfalls
elegos, den wilden klagegesang, von legos ableiten: aber dann sitzen wir wieder vor
dem alten rätsel: wie vermittelt sich die bedeutung der elegie mit dem klage-
gesang. Didymos freilich (Et. M. elegeia und vollständiger schol. Dionys. Thr. 750 Bek.)
oder vielmehr seine vorgänger, wol sicherlich alte peripatetiker, griffen das auf und
giengen von den elegischen epikedeia aus. deshalb war Archilochos der erfinder:
denn man bedenke, dass dessen elegie auf Perikles tod diese ganze lehre bestimmt
hat, als die berühmteste elegie des berühmtesten dichters. nur ist das für uns nicht
beweiskräftig mehr. besser ist freilich die ableitung elegos von legos als die nur
kindlicher grammatik genügende von elege, die gar zu dem urkolon geführt hat e e
leg e e lege. eine hypostase elegos von e lege ist an sich möglich: ist doch oulos
als liedname aus dem imperativ oule salve geworden. aber wie hätte man in lege
den imperativ je vergessen sollen? wer von e ausgeht, der mag den zweiten teil
für so irrelevant halten wie den von ielemos, ai-linos vgl. zu v. 378. elegos aus
dem armenischen zu holen ist so viel wert wie ailinos aus dem phoenikischen. das
kolon elegeion kann im elegos vorgekommen und daher benannt sein: nur weiss
niemand, ob dem so ist. also verzichten wir auf die etymologie und die praehisto-
rische elegie: sein wir froh, die historische verstehen zu können.
19) Die lieder, welche Semos der Delier (bei Athen. 622) erhalten hat, sind
wirkliche cultlieder, die zu seiner zeit (um 180 v. Chr.) in gebrauch waren. aber

Was ist eine attische tragödie?
welchem ihr versmaſs entwickelt ist, und ist wie dieses ein kunstmäſsiges,
kein volkstümliches gedicht geblieben. im Dionysosdienste ist der aufzug
des phallos ein notwendiger teil der feier. daſs die männer, welche ihn
tragen, die gelegenheit nicht vorüberlassen, von diesem gewaltigen ein
kräftiges wort zu sagen, versteht man leicht. man könnte aus mittel-
alterlicher und auch späterer litteratur und aus recht hohen gesellschafts-
schichten analogien beibringen. so tat es Dikaiopolis zu hause, so taten
es die phallophoren vieler orten, und aus späterer zeit fehlt es nicht
an belegen 19). in Athen giengen sie einen schritt weiter, παρέβησαν

auf den die ganze etymologie zurückgeht, λέγαι δἐ γυναῖκες aus Archilochos (174)
im sinne von ἀκόλαστος. davon kommt ἐλεγαίνειν und kommen die weibernamen;
aber davon führt keine brücke zur elegie. auf obscöne gesten und lieder führt nur die
sicherlich alte (Lykophr. 1385) geschichte der Neleustochter: aber gerade hier ist
der redende name Ἐλεγηίς schwerlich der ursprüngliche, denn er hat an dem echten
Nelidennamen Πηρώ (im Et. M. fälschlich Πειρώ) einen concurrenten und vor allem
hat der, welcher die Pero zu einer Ἐλεγηίς machte, nur an ihre unanständigkeit,
nicht an die elegie gedacht, denn sie redet in hexametern. (sie spricht in Athen
ἐπικροτοῦσα τὸ ἐπείσιον “δίζεο δίζεό σοι μάλα δὴ μέγαν ἄνδρ̕ ἀπ̕ Ἀϑηνῶν·
ἢ ἐς Μίλητόν σε κατάξω πήματα Καρσίν. so etwa mag es gelautet haben. im
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in den Lyk. schol. δ. σ̕ εὖ μάλα ἐς (oder εὖ Tzetz.) ϑαλερὸν πόσιν ἢ ἐς Ἀϑήνας ἢ
ἐς Μίλητον κατάξω π. Κ. es kommt der Pero auf den ἀνήρ, nicht auf den πόσις
an). daſs Theokles, der führer der chalkidischen besiedler Siciliens, die elegie er-
funden haben soll, ist eine merkwürdige für mich nicht deutbare notiz: aber sein
wahnsinn ist denn doch nur ein hebel für die etymologie. nun kann man allenfalls
ἔλεγος, den wilden klagegesang, von λεγός ableiten: aber dann sitzen wir wieder vor
dem alten rätsel: wie vermittelt sich die bedeutung der elegie mit dem klage-
gesang. Didymos freilich (Et. M. ἐλεγεῖα und vollständiger schol. Dionys. Thr. 750 Bek.)
oder vielmehr seine vorgänger, wol sicherlich alte peripatetiker, griffen das auf und
giengen von den elegischen ἐπικήδεια aus. deshalb war Archilochos der erfinder:
denn man bedenke, daſs dessen elegie auf Perikles tod diese ganze lehre bestimmt
hat, als die berühmteste elegie des berühmtesten dichters. nur ist das für uns nicht
beweiskräftig mehr. besser ist freilich die ableitung ἔλεγος von λεγός als die nur
kindlicher grammatik genügende von ἔλεγε, die gar zu dem urkolon geführt hat ἒ ἒ
λέγ̕ ἒ ἒ λέγε. eine hypostase ἔλεγος von ἒ λέγε ist an sich möglich: ist doch οὖλος
als liedname aus dem imperativ οὖλε salve geworden. aber wie hätte man in λέγε
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für so irrelevant halten wie den von ἰήλεμος, αἴ-λινος vgl. zu v. 378. ἔλεγος aus
dem armenischen zu holen ist so viel wert wie αἴλινος aus dem phoenikischen. das
kolon ἐλεγεῖον kann im ἔλεγος vorgekommen und daher benannt sein: nur weiſs
niemand, ob dem so ist. also verzichten wir auf die etymologie und die praehisto-
rische elegie: sein wir froh, die historische verstehen zu können.
19) Die lieder, welche Semos der Delier (bei Athen. 622) erhalten hat, sind
wirkliche cultlieder, die zu seiner zeit (um 180 v. Chr.) in gebrauch waren. aber
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[58/0078] Was ist eine attische tragödie? welchem ihr versmaſs entwickelt ist, und ist wie dieses ein kunstmäſsiges, kein volkstümliches gedicht geblieben. im Dionysosdienste ist der aufzug des phallos ein notwendiger teil der feier. daſs die männer, welche ihn tragen, die gelegenheit nicht vorüberlassen, von diesem gewaltigen ein kräftiges wort zu sagen, versteht man leicht. man könnte aus mittel- alterlicher und auch späterer litteratur und aus recht hohen gesellschafts- schichten analogien beibringen. so tat es Dikaiopolis zu hause, so taten es die phallophoren vieler orten, und aus späterer zeit fehlt es nicht an belegen 19). in Athen giengen sie einen schritt weiter, παρέβησαν 18) 19) Die lieder, welche Semos der Delier (bei Athen. 622) erhalten hat, sind wirkliche cultlieder, die zu seiner zeit (um 180 v. Chr.) in gebrauch waren. aber 18) auf den die ganze etymologie zurückgeht, λέγαι δἐ γυναῖκες aus Archilochos (174) im sinne von ἀκόλαστος. davon kommt ἐλεγαίνειν und kommen die weibernamen; aber davon führt keine brücke zur elegie. auf obscöne gesten und lieder führt nur die sicherlich alte (Lykophr. 1385) geschichte der Neleustochter: aber gerade hier ist der redende name Ἐλεγηίς schwerlich der ursprüngliche, denn er hat an dem echten Nelidennamen Πηρώ (im Et. M. fälschlich Πειρώ) einen concurrenten und vor allem hat der, welcher die Pero zu einer Ἐλεγηίς machte, nur an ihre unanständigkeit, nicht an die elegie gedacht, denn sie redet in hexametern. (sie spricht in Athen ἐπικροτοῦσα τὸ ἐπείσιον “δίζεο δίζεό σοι μάλα δὴ μέγαν ἄνδρ̕ ἀπ̕ Ἀϑηνῶν· ἢ ἐς Μίλητόν σε κατάξω πήματα Καρσίν. so etwa mag es gelautet haben. im Et. M. ist überliefert δ. δ. δὴ μέγαν ἄνδρα Ἀϑηναῖον, ὅς σ̕ ἐπὶ Μ. κατάξει π. Κ. in den Lyk. schol. δ. σ̕ εὖ μάλα ἐς (oder εὖ Tzetz.) ϑαλερὸν πόσιν ἢ ἐς Ἀϑήνας ἢ ἐς Μίλητον κατάξω π. Κ. es kommt der Pero auf den ἀνήρ, nicht auf den πόσις an). daſs Theokles, der führer der chalkidischen besiedler Siciliens, die elegie er- funden haben soll, ist eine merkwürdige für mich nicht deutbare notiz: aber sein wahnsinn ist denn doch nur ein hebel für die etymologie. nun kann man allenfalls ἔλεγος, den wilden klagegesang, von λεγός ableiten: aber dann sitzen wir wieder vor dem alten rätsel: wie vermittelt sich die bedeutung der elegie mit dem klage- gesang. Didymos freilich (Et. M. ἐλεγεῖα und vollständiger schol. Dionys. Thr. 750 Bek.) oder vielmehr seine vorgänger, wol sicherlich alte peripatetiker, griffen das auf und giengen von den elegischen ἐπικήδεια aus. deshalb war Archilochos der erfinder: denn man bedenke, daſs dessen elegie auf Perikles tod diese ganze lehre bestimmt hat, als die berühmteste elegie des berühmtesten dichters. nur ist das für uns nicht beweiskräftig mehr. besser ist freilich die ableitung ἔλεγος von λεγός als die nur kindlicher grammatik genügende von ἔλεγε, die gar zu dem urkolon geführt hat ἒ ἒ λέγ̕ ἒ ἒ λέγε. eine hypostase ἔλεγος von ἒ λέγε ist an sich möglich: ist doch οὖλος als liedname aus dem imperativ οὖλε salve geworden. aber wie hätte man in λέγε den imperativ je vergessen sollen? wer von ἔ ausgeht, der mag den zweiten teil für so irrelevant halten wie den von ἰήλεμος, αἴ-λινος vgl. zu v. 378. ἔλεγος aus dem armenischen zu holen ist so viel wert wie αἴλινος aus dem phoenikischen. das kolon ἐλεγεῖον kann im ἔλεγος vorgekommen und daher benannt sein: nur weiſs niemand, ob dem so ist. also verzichten wir auf die etymologie und die praehisto- rische elegie: sein wir froh, die historische verstehen zu können.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/78>, abgerufen am 30.11.2024.