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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Was ist eine attische tragödie?
selbe konnte also nicht zwei menschenalter vorher die tragödie oder
noch viel früher den dithyrambos erzeugt und doch neben diesen ausge-
bildeten formen fortbestanden haben. wir können sogar noch weiter
gehen: auch der dithyrambos, aus dem die tragödie hervorgegangen ist,
kann nicht eben der dithyrambos gewesen sein, der neben ihr fortbe-
stand; da muss etwas anderes stecken. die modernen haben sich nun
aber so sehr daran gewöhnt, die tragödie aus volkstümlichen improvi-
satorischen spielen des faschings hervorgehen zu lassen, dass es notwendig
ist, einen zweiten umweg durch diese regionen zu machen, um nicht bloss
diese vermutung abzulehnen, sondern ihre unmöglichkeit positiv darzutun.

Dionysos-
dienst.

Der Dionysosdienst und neben ihm der Demeterdienst unterscheidet
sich, wenn auch schwerlich von anfang an, so doch in der gestalt,
welche allein genauer bekannt und für die tragödie bedingend ist, von
den diensten der olympischen götter dadurch, dass die gemeinde eine
active bedeutung erhält. Dionysos hat selbst auf erden gewandelt, hat
nicht nur seine gaben verteilt, sondern auch seine feiern, die zwei-
jährigen auszüge in berg und wald, oder was an stelle derselben tritt,
eingesetzt, er hat mit den ungläubigen harte kämpfe bestanden, er fordert
also von jedem einzelnen die anerkennung seiner göttlichkeit und eine
persönliche betätigung des glaubens. das ist mehr als was in den
alten culten geschieht. da vollzieht die heiligen handlungen der durch
geburt und erbrecht oder durch staatlichen auftrag dazu berufene, im
eigenen hause der herr oder die frau, in den staatstempeln der könig
oder sein rechtsnachfolger, in sehr vielen culten, die sich aus geschlechts-
culten zu allgemeiner anerkennung erhoben haben, der durch ererbtes
recht dazu berufene. die menge steht dabei, schweigend, oder an festen
punkten der heiligen handlung festbestimmte rufe erhebend (euphemein 15),
ganz selten eine symbolische handlung in festen grenzen mit vollziehend,
die ierourgiai verstehen die ois patrion estin: die orgia gehen jeder-

titeln schwankt die überlieferung sehr oft zwischen ihm und dem singular, und nur
bei Kratinos ist noch Odusses Kleoboulinai Arkhilokhoi ganz fest. noch Wolken-
kukukshein heisst auch Nephelokokkugiai. Plataia und Mukene und Thebe sind
die älteren ortsnamen; als man aber die eponymen nymphen lebhafter persönlich
empfand, drangen die pluralbildungen durch.
15) So stand auch der daduche bei den Lenaeen, rief kaleite theon, und die ge-
meinde respondirte Semeleie Iakkhe ploutodota, schol. Ar. Fr. 479. die einmischung
des Iakchos und des eleusinischen priesters in den altattischen cult zeigt, dass dies
nichts ursprüngliches war. verse in diesen und ähnlichen hier und zu Fried. 968
angeführten worten zu sehen, ist willkür. sie stehen bei Bergk unter den volks-
liedern.

Was ist eine attische tragödie?
selbe konnte also nicht zwei menschenalter vorher die tragödie oder
noch viel früher den dithyrambos erzeugt und doch neben diesen ausge-
bildeten formen fortbestanden haben. wir können sogar noch weiter
gehen: auch der dithyrambos, aus dem die tragödie hervorgegangen ist,
kann nicht eben der dithyrambos gewesen sein, der neben ihr fortbe-
stand; da muſs etwas anderes stecken. die modernen haben sich nun
aber so sehr daran gewöhnt, die tragödie aus volkstümlichen improvi-
satorischen spielen des faschings hervorgehen zu lassen, daſs es notwendig
ist, einen zweiten umweg durch diese regionen zu machen, um nicht bloſs
diese vermutung abzulehnen, sondern ihre unmöglichkeit positiv darzutun.

Dionysos-
dienst.

Der Dionysosdienst und neben ihm der Demeterdienst unterscheidet
sich, wenn auch schwerlich von anfang an, so doch in der gestalt,
welche allein genauer bekannt und für die tragödie bedingend ist, von
den diensten der olympischen götter dadurch, daſs die gemeinde eine
active bedeutung erhält. Dionysos hat selbst auf erden gewandelt, hat
nicht nur seine gaben verteilt, sondern auch seine feiern, die zwei-
jährigen auszüge in berg und wald, oder was an stelle derselben tritt,
eingesetzt, er hat mit den ungläubigen harte kämpfe bestanden, er fordert
also von jedem einzelnen die anerkennung seiner göttlichkeit und eine
persönliche betätigung des glaubens. das ist mehr als was in den
alten culten geschieht. da vollzieht die heiligen handlungen der durch
geburt und erbrecht oder durch staatlichen auftrag dazu berufene, im
eigenen hause der herr oder die frau, in den staatstempeln der könig
oder sein rechtsnachfolger, in sehr vielen culten, die sich aus geschlechts-
culten zu allgemeiner anerkennung erhoben haben, der durch ererbtes
recht dazu berufene. die menge steht dabei, schweigend, oder an festen
punkten der heiligen handlung festbestimmte rufe erhebend (εὐφημεῖν 15),
ganz selten eine symbolische handlung in festen grenzen mit vollziehend,
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titeln schwankt die überlieferung sehr oft zwischen ihm und dem singular, und nur
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die älteren ortsnamen; als man aber die eponymen nymphen lebhafter persönlich
empfand, drangen die pluralbildungen durch.
15) So stand auch der daduche bei den Lenaeen, rief καλεῖτε ϑεόν, und die ge-
meinde respondirte Σεμελήιε Ἴακχε πλουτοδότα, schol. Ar. Fr. 479. die einmischung
des Iakchos und des eleusinischen priesters in den altattischen cult zeigt, daſs dies
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angeführten worten zu sehen, ist willkür. sie stehen bei Bergk unter den volks-
liedern.
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[56/0076] Was ist eine attische tragödie? selbe konnte also nicht zwei menschenalter vorher die tragödie oder noch viel früher den dithyrambos erzeugt und doch neben diesen ausge- bildeten formen fortbestanden haben. wir können sogar noch weiter gehen: auch der dithyrambos, aus dem die tragödie hervorgegangen ist, kann nicht eben der dithyrambos gewesen sein, der neben ihr fortbe- stand; da muſs etwas anderes stecken. die modernen haben sich nun aber so sehr daran gewöhnt, die tragödie aus volkstümlichen improvi- satorischen spielen des faschings hervorgehen zu lassen, daſs es notwendig ist, einen zweiten umweg durch diese regionen zu machen, um nicht bloſs diese vermutung abzulehnen, sondern ihre unmöglichkeit positiv darzutun. Der Dionysosdienst und neben ihm der Demeterdienst unterscheidet sich, wenn auch schwerlich von anfang an, so doch in der gestalt, welche allein genauer bekannt und für die tragödie bedingend ist, von den diensten der olympischen götter dadurch, daſs die gemeinde eine active bedeutung erhält. Dionysos hat selbst auf erden gewandelt, hat nicht nur seine gaben verteilt, sondern auch seine feiern, die zwei- jährigen auszüge in berg und wald, oder was an stelle derselben tritt, eingesetzt, er hat mit den ungläubigen harte kämpfe bestanden, er fordert also von jedem einzelnen die anerkennung seiner göttlichkeit und eine persönliche betätigung des glaubens. das ist mehr als was in den alten culten geschieht. da vollzieht die heiligen handlungen der durch geburt und erbrecht oder durch staatlichen auftrag dazu berufene, im eigenen hause der herr oder die frau, in den staatstempeln der könig oder sein rechtsnachfolger, in sehr vielen culten, die sich aus geschlechts- culten zu allgemeiner anerkennung erhoben haben, der durch ererbtes recht dazu berufene. die menge steht dabei, schweigend, oder an festen punkten der heiligen handlung festbestimmte rufe erhebend (εὐφημεῖν 15), ganz selten eine symbolische handlung in festen grenzen mit vollziehend, die ἱερουργίαι verstehen die οἷς πάτριόν ἐστιν: die ὄργια gehen jeder- 14) 15) So stand auch der daduche bei den Lenaeen, rief καλεῖτε ϑεόν, und die ge- meinde respondirte Σεμελήιε Ἴακχε πλουτοδότα, schol. Ar. Fr. 479. die einmischung des Iakchos und des eleusinischen priesters in den altattischen cult zeigt, daſs dies nichts ursprüngliches war. verse in diesen und ähnlichen hier und zu Fried. 968 angeführten worten zu sehen, ist willkür. sie stehen bei Bergk unter den volks- liedern. 14) titeln schwankt die überlieferung sehr oft zwischen ihm und dem singular, und nur bei Kratinos ist noch Ὀδυσσῆς Κλεοβουλῖναι Ἀρχίλοχοι ganz fest. noch Wolken- kukukshein heiſst auch Νεφελοκοκκυγίαι. Πλάταια und Μυκήνη und Θήβη sind die älteren ortsnamen; als man aber die eponymen nymphen lebhafter persönlich empfand, drangen die pluralbildungen durch.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/76>, abgerufen am 30.11.2024.