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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
auftretenden semitischen himmelsherrn und sonnengott (wenn er das
wirklich war) in einzelnen bestimmten formen mit ihrem Herakles iden-
tificirt haben, weil ferner im altertume schon die neigung bestanden hat,
das entlehnte und zumal das orientalische für ehrwürdiger und vornehmer
zu halten, und deshalb vereinzelt auch Heraklesheiligtümer für orienta-
lische stiftungen erklärt sind -- aus diesen nichtigen und in unzähligen
anderen fällen als nichtig anerkannten gründen hat sich die meinung
bilden können, dass Herakles ein von den Phoenikiern importirter sonnen-
gott wäre. nun bricht sich freilich die erkenntnis bahn, dass die phoe-
nikische cultur selbst etwas ganz unselbständiges und als zwitterwesen
zeugungsunfähiges gewesen ist. aber dafür geht man nur noch bis in
das bodenlose weiter und findet in altbabylonischen sagen Herakles und
seine taten wieder. die kluft der zeit, die nach vielen jahrhunderten zählt,
die kluft des raumes, welche jeder vermittelung spottet, achtet man für
nichts; die leute die so reden kennen freilich Herakles und die griechische
geschichte meistens nur als reminiscenz von der schulbank. sie wissen
nicht, was sie tun. es sind leute darunter, die schaudern würden, wenn
ihnen solche blöde unwissenheit und unwissenschaftlichkeit auf ihrem
eigenen arbeitsfelde begegnete. so weit sie nicht wissen, was sie tun,
wollen wir ihnen gern verzeihen: aber weil sie alle unwissenschaftliches
tun, sind sie keiner sachlichen berücksichtigung wert. von interesse
würde es dagegen sein, zu wissen, ob Dorer die identification des Herakles
mit dem Melkart (den namen einmal zu brauchen) vollzogen und auch
die skythische archaeologie ersonnen haben. möglich ist es in beiden
fällen, da sich hier die megarischen colonisten in Herakleia und seinen
pflanzstädten, dort die Rhodier 24) bequem darbieten. allein nötig ist es
durchaus nicht. als diese gleichungen aufkamen, war Herakles längst eine
zwar nicht allerorten verehrte, aber allerorten wolbekannte heroenge-
stalt, die in folge der wanderungen des heros, wie sie die poesie aus-
gebildet hatte, für solche identificirung besonders passend erscheinen
musste 25).

24) Von diesen ist Herakles zu den Lykiern gelangt, die ihn früh als münz-
bild haben.
25) Besonders merkwürdig ist, dass die Phokaeer in Massalia den heros ihre
ligurischen feinde bezwingen liessen. dieses sehr eigentümliche abenteuer, das schon
Aischylos seinen Prometheus prophezeien lässt, kann nur in Massalia gedichtet sein,
da es das bestimmte local, die steinwüste an der Rhonemündung, voraussetzt. aber
der ganze zug des Herakles von Erytheia-Tartessos nach Italien auf dem landwege
setzt die massaliotische küstenbesiedelung voraus. unmöglich ist freilich nicht, dass
vor den Phokaeern dorische seefahrer (von Knidos und Rhodos her) auch hier sich

Der Herakles der sage.
auftretenden semitischen himmelsherrn und sonnengott (wenn er das
wirklich war) in einzelnen bestimmten formen mit ihrem Herakles iden-
tificirt haben, weil ferner im altertume schon die neigung bestanden hat,
das entlehnte und zumal das orientalische für ehrwürdiger und vornehmer
zu halten, und deshalb vereinzelt auch Heraklesheiligtümer für orienta-
lische stiftungen erklärt sind — aus diesen nichtigen und in unzähligen
anderen fällen als nichtig anerkannten gründen hat sich die meinung
bilden können, daſs Herakles ein von den Phoenikiern importirter sonnen-
gott wäre. nun bricht sich freilich die erkenntnis bahn, daſs die phoe-
nikische cultur selbst etwas ganz unselbständiges und als zwitterwesen
zeugungsunfähiges gewesen ist. aber dafür geht man nur noch bis in
das bodenlose weiter und findet in altbabylonischen sagen Herakles und
seine taten wieder. die kluft der zeit, die nach vielen jahrhunderten zählt,
die kluft des raumes, welche jeder vermittelung spottet, achtet man für
nichts; die leute die so reden kennen freilich Herakles und die griechische
geschichte meistens nur als reminiscenz von der schulbank. sie wissen
nicht, was sie tun. es sind leute darunter, die schaudern würden, wenn
ihnen solche blöde unwissenheit und unwissenschaftlichkeit auf ihrem
eigenen arbeitsfelde begegnete. so weit sie nicht wissen, was sie tun,
wollen wir ihnen gern verzeihen: aber weil sie alle unwissenschaftliches
tun, sind sie keiner sachlichen berücksichtigung wert. von interesse
würde es dagegen sein, zu wissen, ob Dorer die identification des Herakles
mit dem Melkart (den namen einmal zu brauchen) vollzogen und auch
die skythische archaeologie ersonnen haben. möglich ist es in beiden
fällen, da sich hier die megarischen colonisten in Herakleia und seinen
pflanzstädten, dort die Rhodier 24) bequem darbieten. allein nötig ist es
durchaus nicht. als diese gleichungen aufkamen, war Herakles längst eine
zwar nicht allerorten verehrte, aber allerorten wolbekannte heroenge-
stalt, die in folge der wanderungen des heros, wie sie die poesie aus-
gebildet hatte, für solche identificirung besonders passend erscheinen
muſste 25).

24) Von diesen ist Herakles zu den Lykiern gelangt, die ihn früh als münz-
bild haben.
25) Besonders merkwürdig ist, daſs die Phokaeer in Massalia den heros ihre
ligurischen feinde bezwingen lieſsen. dieses sehr eigentümliche abenteuer, das schon
Aischylos seinen Prometheus prophezeien läſst, kann nur in Massalia gedichtet sein,
da es das bestimmte local, die steinwüste an der Rhonemündung, voraussetzt. aber
der ganze zug des Herakles von Erytheia-Tartessos nach Italien auf dem landwege
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[276/0296] Der Herakles der sage. auftretenden semitischen himmelsherrn und sonnengott (wenn er das wirklich war) in einzelnen bestimmten formen mit ihrem Herakles iden- tificirt haben, weil ferner im altertume schon die neigung bestanden hat, das entlehnte und zumal das orientalische für ehrwürdiger und vornehmer zu halten, und deshalb vereinzelt auch Heraklesheiligtümer für orienta- lische stiftungen erklärt sind — aus diesen nichtigen und in unzähligen anderen fällen als nichtig anerkannten gründen hat sich die meinung bilden können, daſs Herakles ein von den Phoenikiern importirter sonnen- gott wäre. nun bricht sich freilich die erkenntnis bahn, daſs die phoe- nikische cultur selbst etwas ganz unselbständiges und als zwitterwesen zeugungsunfähiges gewesen ist. aber dafür geht man nur noch bis in das bodenlose weiter und findet in altbabylonischen sagen Herakles und seine taten wieder. die kluft der zeit, die nach vielen jahrhunderten zählt, die kluft des raumes, welche jeder vermittelung spottet, achtet man für nichts; die leute die so reden kennen freilich Herakles und die griechische geschichte meistens nur als reminiscenz von der schulbank. sie wissen nicht, was sie tun. es sind leute darunter, die schaudern würden, wenn ihnen solche blöde unwissenheit und unwissenschaftlichkeit auf ihrem eigenen arbeitsfelde begegnete. so weit sie nicht wissen, was sie tun, wollen wir ihnen gern verzeihen: aber weil sie alle unwissenschaftliches tun, sind sie keiner sachlichen berücksichtigung wert. von interesse würde es dagegen sein, zu wissen, ob Dorer die identification des Herakles mit dem Melkart (den namen einmal zu brauchen) vollzogen und auch die skythische archaeologie ersonnen haben. möglich ist es in beiden fällen, da sich hier die megarischen colonisten in Herakleia und seinen pflanzstädten, dort die Rhodier 24) bequem darbieten. allein nötig ist es durchaus nicht. als diese gleichungen aufkamen, war Herakles längst eine zwar nicht allerorten verehrte, aber allerorten wolbekannte heroenge- stalt, die in folge der wanderungen des heros, wie sie die poesie aus- gebildet hatte, für solche identificirung besonders passend erscheinen muſste 25). 24) Von diesen ist Herakles zu den Lykiern gelangt, die ihn früh als münz- bild haben. 25) Besonders merkwürdig ist, daſs die Phokaeer in Massalia den heros ihre ligurischen feinde bezwingen lieſsen. dieses sehr eigentümliche abenteuer, das schon Aischylos seinen Prometheus prophezeien läſst, kann nur in Massalia gedichtet sein, da es das bestimmte local, die steinwüste an der Rhonemündung, voraussetzt. aber der ganze zug des Herakles von Erytheia-Tartessos nach Italien auf dem landwege setzt die massaliotische küstenbesiedelung voraus. unmöglich ist freilich nicht, daſs vor den Phokaeern dorische seefahrer (von Knidos und Rhodos her) auch hier sich

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/296>, abgerufen am 23.11.2024.