Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Das leben des Euripides. diese, abgesehen von ganz späten interpolationen, z. b. dem schlusse,nicht weniges, was der dichter Euripides unmöglich geschrieben haben kann, z. b. die anapästische scene des prologs, was aber doch zu allen zeiten, schon im 4. jahrhundert, darin gestanden hat. der schluss ist unabweisbar, dass Euripides das drama unvollendet hinterlassen hatte, und für die ergänzungen muss der sohn Euripides die verantwortung vor der nachwelt tragen, wie er sie vor dem archon getragen hat. die verse zeugen von einigem geschick; aber es war doch verständig, dass der sohn das handwerk des vaters nicht fortgesetzt hat. unsere kunde von der familie des dichters erlischt hier; sie mag aber fortbestanden haben wenigstens bis auf Philochoros zeit und diesem das salaminische gut gezeigt und die weitere auskunft gegeben haben. wenigstens machen die angaben den eindruck der familientradition. Dagegen halte man nun das zerrbild, das die conventionelle Euri- Es ist nicht nötig den ganzen schmutz zu durchwühlen. das meiste Das leben des Euripides. diese, abgesehen von ganz späten interpolationen, z. b. dem schlusse,nicht weniges, was der dichter Euripides unmöglich geschrieben haben kann, z. b. die anapästische scene des prologs, was aber doch zu allen zeiten, schon im 4. jahrhundert, darin gestanden hat. der schluſs ist unabweisbar, daſs Euripides das drama unvollendet hinterlassen hatte, und für die ergänzungen muſs der sohn Euripides die verantwortung vor der nachwelt tragen, wie er sie vor dem archon getragen hat. die verse zeugen von einigem geschick; aber es war doch verständig, daſs der sohn das handwerk des vaters nicht fortgesetzt hat. unsere kunde von der familie des dichters erlischt hier; sie mag aber fortbestanden haben wenigstens bis auf Philochoros zeit und diesem das salaminische gut gezeigt und die weitere auskunft gegeben haben. wenigstens machen die angaben den eindruck der familientradition. Dagegen halte man nun das zerrbild, das die conventionelle Euri- Es ist nicht nötig den ganzen schmutz zu durchwühlen. das meiste <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0028" n="8"/><fw place="top" type="header">Das leben des Euripides.</fw><lb/> diese, abgesehen von ganz späten interpolationen, z. b. dem schlusse,<lb/> nicht weniges, was der dichter Euripides unmöglich geschrieben haben<lb/> kann, z. b. die anapästische scene des prologs, was aber doch zu allen<lb/> zeiten, schon im 4. jahrhundert, darin gestanden hat. der schluſs ist<lb/> unabweisbar, daſs Euripides das drama unvollendet hinterlassen hatte,<lb/> und für die ergänzungen muſs der sohn Euripides die verantwortung<lb/> vor der nachwelt tragen, wie er sie vor dem archon getragen hat. die<lb/> verse zeugen von einigem geschick; aber es war doch verständig, daſs<lb/> der sohn das handwerk des vaters nicht fortgesetzt hat. unsere kunde<lb/> von der familie des dichters erlischt hier; sie mag aber fortbestanden<lb/> haben wenigstens bis auf Philochoros zeit und diesem das salaminische<lb/> gut gezeigt und die weitere auskunft gegeben haben. wenigstens machen<lb/> die angaben den eindruck der familientradition.</p><lb/> <p>Dagegen halte man nun das zerrbild, das die conventionelle Euri-<lb/> pideslegende gibt. der vater war ein bankerottirer aus Boeotien und in<lb/> Athen höker; die mutter handelte mit grünkram und betrog ihre kunden.<lb/> die frau heiſst Choirile und beträgt sich ihrem namen gemäſs, buhlt<lb/> unter anderm mit Kephisophon, dem haussclaven des dichters, der diesem<lb/> übrigens auch beim dichten hilft wie schwiegervater Mnesilochos auch.<lb/> Choirile wird ertappt, verstoſsen, durch Melito ersetzt, die es aber nicht<lb/> besser treibt u. dgl. m.</p><lb/> <p>Es ist nicht nötig den ganzen schmutz zu durchwühlen. das meiste<lb/> wird jeder halbwegs einsichtige einfach wegwerfen, und den litteratoren<lb/> ist doch nicht zu helfen, die den historischen kern tauber nüsse suchen,<lb/> zwar gewissensbedenken tragen, eine angabe zu verwerfen, weil sie<lb/> bestimmt auftritt, aber den ehrlichen namen eines mannes und die ehre<lb/> einer frau ohne weiterungen preisgeben; und dann ist die neugier nach dem<lb/> quark nun einmal unersättlich und unbelehrbar. der herkunft nach zerfallen<lb/> die schwindeleien in zwei gruppen: einmal sind es gänzlich inhaltsleere<lb/> autoschediasmen, als z. b.: weshalb heiſst Euripides Euripides und nicht<lb/> z. b. Kephisiades? beides sind gute attische namen, nur daſs natürlich<lb/> viel mehr Athener nach dem oder den flüssen Kephisos heiſsen, die das<lb/> land durchströmen, als nach dem Euripos, an den Attika kaum mit einer<lb/> ecke stöſst. vater Mnesarchos wird auch einen grund gehabt haben, seinen<lb/> jungen Euripides zu nennen, und am letzten ende wird das auch auf den<lb/> Euripos zurückführen. nur würde man die familiengeschichte kennen<lb/> müssen, um diese frage zu beantworten. und kennt man sie nicht, so<lb/> erfindet man: z. b. vater Mnesarchos nannte seinen sohn Euripides, war<lb/> aber aus dem innern Attika: also hatte er früher am Euripos gewohnt, also<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0028]
Das leben des Euripides.
diese, abgesehen von ganz späten interpolationen, z. b. dem schlusse,
nicht weniges, was der dichter Euripides unmöglich geschrieben haben
kann, z. b. die anapästische scene des prologs, was aber doch zu allen
zeiten, schon im 4. jahrhundert, darin gestanden hat. der schluſs ist
unabweisbar, daſs Euripides das drama unvollendet hinterlassen hatte,
und für die ergänzungen muſs der sohn Euripides die verantwortung
vor der nachwelt tragen, wie er sie vor dem archon getragen hat. die
verse zeugen von einigem geschick; aber es war doch verständig, daſs
der sohn das handwerk des vaters nicht fortgesetzt hat. unsere kunde
von der familie des dichters erlischt hier; sie mag aber fortbestanden
haben wenigstens bis auf Philochoros zeit und diesem das salaminische
gut gezeigt und die weitere auskunft gegeben haben. wenigstens machen
die angaben den eindruck der familientradition.
Dagegen halte man nun das zerrbild, das die conventionelle Euri-
pideslegende gibt. der vater war ein bankerottirer aus Boeotien und in
Athen höker; die mutter handelte mit grünkram und betrog ihre kunden.
die frau heiſst Choirile und beträgt sich ihrem namen gemäſs, buhlt
unter anderm mit Kephisophon, dem haussclaven des dichters, der diesem
übrigens auch beim dichten hilft wie schwiegervater Mnesilochos auch.
Choirile wird ertappt, verstoſsen, durch Melito ersetzt, die es aber nicht
besser treibt u. dgl. m.
Es ist nicht nötig den ganzen schmutz zu durchwühlen. das meiste
wird jeder halbwegs einsichtige einfach wegwerfen, und den litteratoren
ist doch nicht zu helfen, die den historischen kern tauber nüsse suchen,
zwar gewissensbedenken tragen, eine angabe zu verwerfen, weil sie
bestimmt auftritt, aber den ehrlichen namen eines mannes und die ehre
einer frau ohne weiterungen preisgeben; und dann ist die neugier nach dem
quark nun einmal unersättlich und unbelehrbar. der herkunft nach zerfallen
die schwindeleien in zwei gruppen: einmal sind es gänzlich inhaltsleere
autoschediasmen, als z. b.: weshalb heiſst Euripides Euripides und nicht
z. b. Kephisiades? beides sind gute attische namen, nur daſs natürlich
viel mehr Athener nach dem oder den flüssen Kephisos heiſsen, die das
land durchströmen, als nach dem Euripos, an den Attika kaum mit einer
ecke stöſst. vater Mnesarchos wird auch einen grund gehabt haben, seinen
jungen Euripides zu nennen, und am letzten ende wird das auch auf den
Euripos zurückführen. nur würde man die familiengeschichte kennen
müssen, um diese frage zu beantworten. und kennt man sie nicht, so
erfindet man: z. b. vater Mnesarchos nannte seinen sohn Euripides, war
aber aus dem innern Attika: also hatte er früher am Euripos gewohnt, also
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