Welcker. der streit um die Eumeniden und seine folgen.
noch immer erst werden soll: denn es fehlt noch immer viel, dass die litteraturgeschichte von Welckers geiste durchleuchtet sei, mag es auch niemand mehr zu bestreiten wagen, dass er einer der heroen der deutschen philologie ist.
Aber Welcker war ein schlechter grammatiker, und begab sich doch gern auf das gefährliche gebiet. seine sprachkenntnis hat der sicherheit stets entbehrt, und das kann auch die grossartige belesenheit nicht ändern, in welcher er Hermann unendlich überlegen war und wol nur Lobeck nachstand. und Welcker war und blieb auch in der historischen methode unsicher und gab auch nach dieser seite blössen, welche selbst das blöde auge leicht entdeckte, das dem adlerblick nicht zu folgen vermochte, der nun einmal nur aus wolkiger höhe herab richtig sah. so konnte er nirgend mit Hermann zusammengeraten, ohne dass dieser triumphierte, weil er sich nur an die greifbaren gegenstände hielt. die Prometheus- trilogie hat er dem gegner freilich noch in letzter stunde zugegeben: bezeichnend für die sinnesart der edlen gegner, von denen mit recht gesagt ist, dass sie nur durch äussere zufälligkeiten in so erbitterte fehde geführt sind, bezeichnend auch deshalb, weil heute als ausgemacht gelten darf, dass der erhaltene Prometheus doch ein erstes stück gewesen ist, aber allerdings der fackelträger (denn das ist purphoros), wenn auch als letztes, zu derselben trilogie gehört hat. Welcker hatte zuerst zu wenig, zuletzt zu viel glauben gefunden. was aber mehr wert hat als die äussere tatsache, das verhältnis der aischyleischen dichtung zur religion und zu der überlieferung welche sie voraussetzt, darin harrt Welcker noch des rechten nachfolgers; Hermann konnte seinen gedanken überhaupt nicht folgen.
Die bedauerliche schärfe erhielt der gegensatz zwischen HermannDer streit um die Eumeniden und seine folgen. und Welcker durch den gleichzeitigen streit Hermanns mit Boeckh und O. Müller, welcher zwar unvermeidlich und für das wol der wissenschaft notwendig war, aber von allen seiten mit unberechtigter philonikia, von Hermann und Müller nicht ohne philoneikeia, von den trabanten mit stumpfen und gar mit vergifteten waffen geführt ward. notwendig war die auseinandersetzung zwischen Hermanns aristarchischer grammatik und der philologie, welche Boeckh im sinne von Aristoteles und Scaliger als der rechte mann betrieb, den rahmen zu füllen, den F. A. Wolf auf- gespannt, aber selbst leer gelassen hatte. und notwendigerweise musste die wissenschaft über die tekhne siegen. die inschriften sind hier das wichtigste streitobject. dass Hermann in vielen einzelnheiten begründete ausstellungen machte, wissen wir und soll unvergessen sein; den wesent- lichen fehler, die vernachlässigung der recensio, hat er nicht gerügt. jetzt
v. Wilamowitz I. 16
Welcker. der streit um die Eumeniden und seine folgen.
noch immer erst werden soll: denn es fehlt noch immer viel, daſs die litteraturgeschichte von Welckers geiste durchleuchtet sei, mag es auch niemand mehr zu bestreiten wagen, daſs er einer der heroen der deutschen philologie ist.
Aber Welcker war ein schlechter grammatiker, und begab sich doch gern auf das gefährliche gebiet. seine sprachkenntnis hat der sicherheit stets entbehrt, und das kann auch die groſsartige belesenheit nicht ändern, in welcher er Hermann unendlich überlegen war und wol nur Lobeck nachstand. und Welcker war und blieb auch in der historischen methode unsicher und gab auch nach dieser seite blöſsen, welche selbst das blöde auge leicht entdeckte, das dem adlerblick nicht zu folgen vermochte, der nun einmal nur aus wolkiger höhe herab richtig sah. so konnte er nirgend mit Hermann zusammengeraten, ohne daſs dieser triumphierte, weil er sich nur an die greifbaren gegenstände hielt. die Prometheus- trilogie hat er dem gegner freilich noch in letzter stunde zugegeben: bezeichnend für die sinnesart der edlen gegner, von denen mit recht gesagt ist, daſs sie nur durch äuſsere zufälligkeiten in so erbitterte fehde geführt sind, bezeichnend auch deshalb, weil heute als ausgemacht gelten darf, daſs der erhaltene Prometheus doch ein erstes stück gewesen ist, aber allerdings der fackelträger (denn das ist πυρφόρος), wenn auch als letztes, zu derselben trilogie gehört hat. Welcker hatte zuerst zu wenig, zuletzt zu viel glauben gefunden. was aber mehr wert hat als die äuſsere tatsache, das verhältnis der aischyleischen dichtung zur religion und zu der überlieferung welche sie voraussetzt, darin harrt Welcker noch des rechten nachfolgers; Hermann konnte seinen gedanken überhaupt nicht folgen.
Die bedauerliche schärfe erhielt der gegensatz zwischen HermannDer streit um die Eumeniden und seine folgen. und Welcker durch den gleichzeitigen streit Hermanns mit Boeckh und O. Müller, welcher zwar unvermeidlich und für das wol der wissenschaft notwendig war, aber von allen seiten mit unberechtigter φιλονικία, von Hermann und Müller nicht ohne φιλονείκεια, von den trabanten mit stumpfen und gar mit vergifteten waffen geführt ward. notwendig war die auseinandersetzung zwischen Hermanns aristarchischer grammatik und der philologie, welche Boeckh im sinne von Aristoteles und Scaliger als der rechte mann betrieb, den rahmen zu füllen, den F. A. Wolf auf- gespannt, aber selbst leer gelassen hatte. und notwendigerweise muſste die wissenschaft über die τέχνη siegen. die inschriften sind hier das wichtigste streitobject. daſs Hermann in vielen einzelnheiten begründete ausstellungen machte, wissen wir und soll unvergessen sein; den wesent- lichen fehler, die vernachlässigung der recensio, hat er nicht gerügt. jetzt
v. Wilamowitz I. 16
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Welcker. der streit um die Eumeniden und seine folgen.
noch immer erst werden soll: denn es fehlt noch immer viel, daſs die
litteraturgeschichte von Welckers geiste durchleuchtet sei, mag es auch
niemand mehr zu bestreiten wagen, daſs er einer der heroen der deutschen
philologie ist.
Aber Welcker war ein schlechter grammatiker, und begab sich doch
gern auf das gefährliche gebiet. seine sprachkenntnis hat der sicherheit
stets entbehrt, und das kann auch die groſsartige belesenheit nicht ändern,
in welcher er Hermann unendlich überlegen war und wol nur Lobeck
nachstand. und Welcker war und blieb auch in der historischen methode
unsicher und gab auch nach dieser seite blöſsen, welche selbst das blöde
auge leicht entdeckte, das dem adlerblick nicht zu folgen vermochte, der
nun einmal nur aus wolkiger höhe herab richtig sah. so konnte er
nirgend mit Hermann zusammengeraten, ohne daſs dieser triumphierte,
weil er sich nur an die greifbaren gegenstände hielt. die Prometheus-
trilogie hat er dem gegner freilich noch in letzter stunde zugegeben:
bezeichnend für die sinnesart der edlen gegner, von denen mit recht
gesagt ist, daſs sie nur durch äuſsere zufälligkeiten in so erbitterte fehde
geführt sind, bezeichnend auch deshalb, weil heute als ausgemacht gelten
darf, daſs der erhaltene Prometheus doch ein erstes stück gewesen ist,
aber allerdings der fackelträger (denn das ist πυρφόρος), wenn auch als
letztes, zu derselben trilogie gehört hat. Welcker hatte zuerst zu wenig,
zuletzt zu viel glauben gefunden. was aber mehr wert hat als die äuſsere
tatsache, das verhältnis der aischyleischen dichtung zur religion und zu der
überlieferung welche sie voraussetzt, darin harrt Welcker noch des rechten
nachfolgers; Hermann konnte seinen gedanken überhaupt nicht folgen.
Die bedauerliche schärfe erhielt der gegensatz zwischen Hermann
und Welcker durch den gleichzeitigen streit Hermanns mit Boeckh und
O. Müller, welcher zwar unvermeidlich und für das wol der wissenschaft
notwendig war, aber von allen seiten mit unberechtigter φιλονικία, von
Hermann und Müller nicht ohne φιλονείκεια, von den trabanten mit
stumpfen und gar mit vergifteten waffen geführt ward. notwendig war
die auseinandersetzung zwischen Hermanns aristarchischer grammatik und
der philologie, welche Boeckh im sinne von Aristoteles und Scaliger als
der rechte mann betrieb, den rahmen zu füllen, den F. A. Wolf auf-
gespannt, aber selbst leer gelassen hatte. und notwendigerweise muſste
die wissenschaft über die τέχνη siegen. die inschriften sind hier das
wichtigste streitobject. daſs Hermann in vielen einzelnheiten begründete
ausstellungen machte, wissen wir und soll unvergessen sein; den wesent-
lichen fehler, die vernachlässigung der recensio, hat er nicht gerügt. jetzt
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und seine
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/261>, abgerufen am 05.07.2024.
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