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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Gottfried Hermann.
welche in wahrheit diese probleme aufgeworfen haben, de Graecae linguae
dialectis
und de dialecto Pindari; er wird es vielleicht pikant finden, dass
die erstere Heynes funfzigjähriges doctorjubiläum feiert und beginnt
Graecae linguae cognitio his temporibus paucorum quidem sed eximiorum
hominum studiis eos progressus fecit ut doctrinae loco haberi posse incipiat,

und uns doch als eine schrift aus einer epoche der wissenschaft erscheint,
auf deren standpunkt wir uns nur durch die stärkste historische abstrac-
tion zurückversetzen. der zu selbstständigem denken gereifte mag in
diesen schriften noch heute lebenskräftige keime entdecken; im ganzen
sind sie wirklich veraltet. von Hermanns mythologie redet man aus pietät
nicht. aber keinesweges veraltet, wenn auch leider am wenigsten gelesen,
sind Hermanns ausgaben der tragiker, zumal die ältesten, durch welche
er rasch den primat auf diesem gebiete errang, so dass es scheinen könnte,
er wäre zu dieser stellung nur deshalb gekommen, weil in der tat kein
concurrent da war 12). entstanden sind die ausgaben Euripideischer tra-
gödien und auch die des Sophokles, welche neuauflagen der Erfurdtischen
sind, aus dem praktischen bedürfnis, für Hermanns vorlesungen texte zu
schaffen. es sind also ausgaben wie die Aristarchs: das substrat für das
lebendige wort, welches der verfasser sicher war hinzufügen zu können.
das gibt für die beschränkung der aufgabe eine zureichende erklärung;
aber der leser hat nun wirklich nur einen teil von dem was Hermann
gab, und da der kritische apparat für uns wertlos ist, auch nie wertvoll
war, einen recht kleinen. es ist in der tat nicht sehr belangreich, ob
er seine epikrise einer Elmsleyschen ausgabe in einer recension nieder-
legte, wie bei der Medeia, oder in einer ausgabe, wie bei den Bakchen 13).

12) Als der junge Boeckh 1808 sein buch de tragicorum Graecorum princi-
pibus
ausgab, widmete er es Hermann, obwol er keine persönlichen beziehungen
zu ihm hatte, und einen gewissen gegensatz zu ihm um so mehr empfinden musste,
als er litterargeschichtliche fragen behandelte. Hermann aber galt schon als der
oberste richter in sachen der tragiker, und hatte doch noch nicht viel über sie ge-
schrieben und darunter manches sehr voreilige. Boeckhs buch ist anmutig geschrieben
und stellt selbständig interessante probleme. in so fern ist es seiner ganz würdig.
aber positiv hat es wenig gefördert und zeigt namentlich verglichen mit den gleich-
zeitigen platonischen arbeiten, dass die poesie kein feld für den grossen forscher war.
13) Hermann spricht das in der vorrede seiner Bakchen offen aus. sie enthält
im übrigen nichts als eine lange untersuchung über die weglassung des augments
im trimeter. also kann sich Goethe nicht, wie Jahn meint, auf sie beziehen, wenn
er am 19. oct. 1823 an Hermann schreibt (Goethes briefe an Leipziger freunde2 338)
"auch haben wir (er und Riemer) schon diese würdige den poetischen sinn voll-
kommen durchdringende vorrede zusammen angefangen". vorrede wird programm
bedeuten und auf das von 1823 de Aeschyli Nioba gehen.

Gottfried Hermann.
welche in wahrheit diese probleme aufgeworfen haben, de Graecae linguae
dialectis
und de dialecto Pindari; er wird es vielleicht pikant finden, daſs
die erstere Heynes funfzigjähriges doctorjubiläum feiert und beginnt
Graecae linguae cognitio his temporibus paucorum quidem sed eximiorum
hominum studiis eos progressus fecit ut doctrinae loco haberi posse incipiat,

und uns doch als eine schrift aus einer epoche der wissenschaft erscheint,
auf deren standpunkt wir uns nur durch die stärkste historische abstrac-
tion zurückversetzen. der zu selbstständigem denken gereifte mag in
diesen schriften noch heute lebenskräftige keime entdecken; im ganzen
sind sie wirklich veraltet. von Hermanns mythologie redet man aus pietät
nicht. aber keinesweges veraltet, wenn auch leider am wenigsten gelesen,
sind Hermanns ausgaben der tragiker, zumal die ältesten, durch welche
er rasch den primat auf diesem gebiete errang, so daſs es scheinen könnte,
er wäre zu dieser stellung nur deshalb gekommen, weil in der tat kein
concurrent da war 12). entstanden sind die ausgaben Euripideischer tra-
gödien und auch die des Sophokles, welche neuauflagen der Erfurdtischen
sind, aus dem praktischen bedürfnis, für Hermanns vorlesungen texte zu
schaffen. es sind also ausgaben wie die Aristarchs: das substrat für das
lebendige wort, welches der verfasser sicher war hinzufügen zu können.
das gibt für die beschränkung der aufgabe eine zureichende erklärung;
aber der leser hat nun wirklich nur einen teil von dem was Hermann
gab, und da der kritische apparat für uns wertlos ist, auch nie wertvoll
war, einen recht kleinen. es ist in der tat nicht sehr belangreich, ob
er seine epikrise einer Elmsleyschen ausgabe in einer recension nieder-
legte, wie bei der Medeia, oder in einer ausgabe, wie bei den Bakchen 13).

12) Als der junge Boeckh 1808 sein buch de tragicorum Graecorum princi-
pibus
ausgab, widmete er es Hermann, obwol er keine persönlichen beziehungen
zu ihm hatte, und einen gewissen gegensatz zu ihm um so mehr empfinden muſste,
als er litterargeschichtliche fragen behandelte. Hermann aber galt schon als der
oberste richter in sachen der tragiker, und hatte doch noch nicht viel über sie ge-
schrieben und darunter manches sehr voreilige. Boeckhs buch ist anmutig geschrieben
und stellt selbständig interessante probleme. in so fern ist es seiner ganz würdig.
aber positiv hat es wenig gefördert und zeigt namentlich verglichen mit den gleich-
zeitigen platonischen arbeiten, daſs die poesie kein feld für den groſsen forscher war.
13) Hermann spricht das in der vorrede seiner Bakchen offen aus. sie enthält
im übrigen nichts als eine lange untersuchung über die weglassung des augments
im trimeter. also kann sich Goethe nicht, wie Jahn meint, auf sie beziehen, wenn
er am 19. oct. 1823 an Hermann schreibt (Goethes briefe an Leipziger freunde2 338)
“auch haben wir (er und Riemer) schon diese würdige den poetischen sinn voll-
kommen durchdringende vorrede zusammen angefangen”. vorrede wird programm
bedeuten und auf das von 1823 de Aeschyli Nioba gehen.
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[237/0257] Gottfried Hermann. welche in wahrheit diese probleme aufgeworfen haben, de Graecae linguae dialectis und de dialecto Pindari; er wird es vielleicht pikant finden, daſs die erstere Heynes funfzigjähriges doctorjubiläum feiert und beginnt Graecae linguae cognitio his temporibus paucorum quidem sed eximiorum hominum studiis eos progressus fecit ut doctrinae loco haberi posse incipiat, und uns doch als eine schrift aus einer epoche der wissenschaft erscheint, auf deren standpunkt wir uns nur durch die stärkste historische abstrac- tion zurückversetzen. der zu selbstständigem denken gereifte mag in diesen schriften noch heute lebenskräftige keime entdecken; im ganzen sind sie wirklich veraltet. von Hermanns mythologie redet man aus pietät nicht. aber keinesweges veraltet, wenn auch leider am wenigsten gelesen, sind Hermanns ausgaben der tragiker, zumal die ältesten, durch welche er rasch den primat auf diesem gebiete errang, so daſs es scheinen könnte, er wäre zu dieser stellung nur deshalb gekommen, weil in der tat kein concurrent da war 12). entstanden sind die ausgaben Euripideischer tra- gödien und auch die des Sophokles, welche neuauflagen der Erfurdtischen sind, aus dem praktischen bedürfnis, für Hermanns vorlesungen texte zu schaffen. es sind also ausgaben wie die Aristarchs: das substrat für das lebendige wort, welches der verfasser sicher war hinzufügen zu können. das gibt für die beschränkung der aufgabe eine zureichende erklärung; aber der leser hat nun wirklich nur einen teil von dem was Hermann gab, und da der kritische apparat für uns wertlos ist, auch nie wertvoll war, einen recht kleinen. es ist in der tat nicht sehr belangreich, ob er seine epikrise einer Elmsleyschen ausgabe in einer recension nieder- legte, wie bei der Medeia, oder in einer ausgabe, wie bei den Bakchen 13). 12) Als der junge Boeckh 1808 sein buch de tragicorum Graecorum princi- pibus ausgab, widmete er es Hermann, obwol er keine persönlichen beziehungen zu ihm hatte, und einen gewissen gegensatz zu ihm um so mehr empfinden muſste, als er litterargeschichtliche fragen behandelte. Hermann aber galt schon als der oberste richter in sachen der tragiker, und hatte doch noch nicht viel über sie ge- schrieben und darunter manches sehr voreilige. Boeckhs buch ist anmutig geschrieben und stellt selbständig interessante probleme. in so fern ist es seiner ganz würdig. aber positiv hat es wenig gefördert und zeigt namentlich verglichen mit den gleich- zeitigen platonischen arbeiten, daſs die poesie kein feld für den groſsen forscher war. 13) Hermann spricht das in der vorrede seiner Bakchen offen aus. sie enthält im übrigen nichts als eine lange untersuchung über die weglassung des augments im trimeter. also kann sich Goethe nicht, wie Jahn meint, auf sie beziehen, wenn er am 19. oct. 1823 an Hermann schreibt (Goethes briefe an Leipziger freunde2 338) “auch haben wir (er und Riemer) schon diese würdige den poetischen sinn voll- kommen durchdringende vorrede zusammen angefangen”. vorrede wird programm bedeuten und auf das von 1823 de Aeschyli Nioba gehen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/257>, abgerufen am 28.11.2024.