Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Todes- und geburtsjahr. zu erkennen, dass dies ein vom dichter aus not wider seinen erstenplan eingeführtes motiv ist, mit anderen worten, dass er den plan zu seinem drama entworfen hat, als Sophokles noch lebte. dieser ist also, wie auch die beste chronographische überlieferung angibt, in der ersten hälfte des jahres des Kallias (zweite hälfte von 406) gestorben, Euripides nicht viel früher, unter Antigenes. es scheint, dass wir noch genaueres wissen können. eine zwar nicht ganz verbürgte, aber in sich glaub- würdige2) nachricht besagt, dass Sophokles an einem proagon zu ehren des eben verstorbenen Euripides den chor ohne kränze auftreten liess: das war also am 8 elaphebolion des Antigenes, ende märz 406, und kurz vorher war die nachricht vom tode des Euripides nach Athen gelangt, aus Makedonien, wo er notorisch gestorben ist. an dem winter 407/6 dürfen wir somit festhalten. andererseits steht urkundlich fest, dass Euripides unter Diokles (408) den Orestes in Athen aufgeführt hat: sein aufenthalt in Makedonien hat also nicht mehr als etwa 11/2 jahre ge- dauert. Unter Kallias, 455, hat Euripides den ersten chor erhalten: das 2) Glaubwürdig ist die notiz, weil die institution des proagon früh verfallen und aus dem gedächtnisse der gelehrten geraten ist, sie muss also verhältnismässig alt sein und wird auf einen der alten peripatetiker zurückgehen. inhaltlich ist sie wahrscheinlich, weil die ehrenbezeugung eine so schlichte und im geiste des diony- sischen festspieles gehaltene ist (vgl. zu vers 677). die nachrichten über den tod des Sophokles sind alle geschichtlich unverwendbar. 3) Vielleicht hat sich Philochoros so ausgedrückt, dass Euripides bei seinem ersten auftreten mindestens ephebe gewesen sein müsse. indem man das als tatsache nahm, konnte man zu der torheit gelangen, dass Euripides mit 18 jahren die erste tragoedie gegeben hätte: so Gellius. die consequenz, entweder das überlieferte datum 455 oder das allgemein geglaubte 480 aufzugeben, hat man aber nicht gezogen. 4) In anderen gegenden stand es anders. Soran hat in den archiven von Kos gefunden, dass Hippokrates am 17. Agrianios unter dem monarchen (dem auch ur- kundlich bezeugten eponymen beamten von Kos) Habriades geboren war: eine solche angabe blieb jedoch ungenügend, so lange die gleichsetzung der koischen beamten und das verhältnis des koischen jahres zu einem festen chronologischen system unbestimmt war, und so ist es hier. die aufzeichnung war eine folge der 1*
Todes- und geburtsjahr. zu erkennen, daſs dies ein vom dichter aus not wider seinen erstenplan eingeführtes motiv ist, mit anderen worten, daſs er den plan zu seinem drama entworfen hat, als Sophokles noch lebte. dieser ist also, wie auch die beste chronographische überlieferung angibt, in der ersten hälfte des jahres des Kallias (zweite hälfte von 406) gestorben, Euripides nicht viel früher, unter Antigenes. es scheint, daſs wir noch genaueres wissen können. eine zwar nicht ganz verbürgte, aber in sich glaub- würdige2) nachricht besagt, daſs Sophokles an einem proagon zu ehren des eben verstorbenen Euripides den chor ohne kränze auftreten lieſs: das war also am 8 elaphebolion des Antigenes, ende märz 406, und kurz vorher war die nachricht vom tode des Euripides nach Athen gelangt, aus Makedonien, wo er notorisch gestorben ist. an dem winter 407/6 dürfen wir somit festhalten. andererseits steht urkundlich fest, daſs Euripides unter Diokles (408) den Orestes in Athen aufgeführt hat: sein aufenthalt in Makedonien hat also nicht mehr als etwa 1½ jahre ge- dauert. Unter Kallias, 455, hat Euripides den ersten chor erhalten: das 2) Glaubwürdig ist die notiz, weil die institution des proagon früh verfallen und aus dem gedächtnisse der gelehrten geraten ist, sie muſs also verhältnismäſsig alt sein und wird auf einen der alten peripatetiker zurückgehen. inhaltlich ist sie wahrscheinlich, weil die ehrenbezeugung eine so schlichte und im geiste des diony- sischen festspieles gehaltene ist (vgl. zu vers 677). die nachrichten über den tod des Sophokles sind alle geschichtlich unverwendbar. 3) Vielleicht hat sich Philochoros so ausgedrückt, daſs Euripides bei seinem ersten auftreten mindestens ephebe gewesen sein müsse. indem man das als tatsache nahm, konnte man zu der torheit gelangen, daſs Euripides mit 18 jahren die erste tragoedie gegeben hätte: so Gellius. die consequenz, entweder das überlieferte datum 455 oder das allgemein geglaubte 480 aufzugeben, hat man aber nicht gezogen. 4) In anderen gegenden stand es anders. Soran hat in den archiven von Kos gefunden, daſs Hippokrates am 17. Agrianios unter dem monarchen (dem auch ur- kundlich bezeugten eponymen beamten von Kos) Habriades geboren war: eine solche angabe blieb jedoch ungenügend, so lange die gleichsetzung der koischen beamten und das verhältnis des koischen jahres zu einem festen chronologischen system unbestimmt war, und so ist es hier. die aufzeichnung war eine folge der 1*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="3"/><fw place="top" type="header">Todes- und geburtsjahr.</fw><lb/> zu erkennen, daſs dies ein vom dichter aus not wider seinen ersten<lb/> plan eingeführtes motiv ist, mit anderen worten, daſs er den plan zu<lb/> seinem drama entworfen hat, als Sophokles noch lebte. dieser ist also,<lb/> wie auch die beste chronographische überlieferung angibt, in der ersten<lb/> hälfte des jahres des Kallias (zweite hälfte von 406) gestorben, Euripides<lb/> nicht viel früher, unter Antigenes. es scheint, daſs wir noch genaueres<lb/> wissen können. eine zwar nicht ganz verbürgte, aber in sich glaub-<lb/> würdige<note place="foot" n="2)">Glaubwürdig ist die notiz, weil die institution des proagon früh verfallen<lb/> und aus dem gedächtnisse der gelehrten geraten ist, sie muſs also verhältnismäſsig<lb/> alt sein und wird auf einen der alten peripatetiker zurückgehen. inhaltlich ist sie<lb/> wahrscheinlich, weil die ehrenbezeugung eine so schlichte und im geiste des diony-<lb/> sischen festspieles gehaltene ist (vgl. zu vers 677). die nachrichten über den tod des<lb/> Sophokles sind alle geschichtlich unverwendbar.</note> nachricht besagt, daſs Sophokles an einem proagon zu ehren<lb/> des eben verstorbenen Euripides den chor ohne kränze auftreten lieſs:<lb/> das war also am 8 elaphebolion des Antigenes, ende märz 406, und kurz<lb/> vorher war die nachricht vom tode des Euripides nach Athen gelangt,<lb/> aus Makedonien, wo er notorisch gestorben ist. an dem winter 407/6<lb/> dürfen wir somit festhalten. andererseits steht urkundlich fest, daſs<lb/> Euripides unter Diokles (408) den Orestes in Athen aufgeführt hat: sein<lb/> aufenthalt in Makedonien hat also nicht mehr als etwa 1½ jahre ge-<lb/> dauert.</p><lb/> <p>Unter Kallias, 455, hat Euripides den ersten chor erhalten: das<lb/> konnte jeder aus der urkundlichen theaterchronik constatiren. damals<lb/> konnte er nicht wol jünger als 20 jahre sein, war also bei seinem tode<lb/> mindestens ein siebziger. so hat Philochoros gerechnet und müssen wir<lb/> rechnen, ohne zu vergessen, daſs er sehr wol ein par jahre älter gewesen<lb/> sein mag.<note place="foot" n="3)">Vielleicht hat sich Philochoros so ausgedrückt, daſs Euripides bei seinem<lb/> ersten auftreten mindestens ephebe gewesen sein müsse. indem man das als tatsache<lb/> nahm, konnte man zu der torheit gelangen, daſs Euripides mit 18 jahren die erste<lb/> tragoedie gegeben hätte: so Gellius. die consequenz, entweder das überlieferte datum<lb/> 455 oder das allgemein geglaubte 480 aufzugeben, hat man aber nicht gezogen.</note> das wirkliche geburtsjahr eines Atheners des 5. jahrhunderts<lb/> war für die späteren nicht zu ermitteln<note xml:id="note-0023" next="#note-0024" place="foot" n="4)">In anderen gegenden stand es anders. Soran hat in den archiven von Kos<lb/> gefunden, daſs Hippokrates am 17. Agrianios unter dem monarchen (dem auch ur-<lb/> kundlich bezeugten eponymen beamten von Kos) Habriades geboren war: eine<lb/> solche angabe blieb jedoch ungenügend, so lange die gleichsetzung der koischen<lb/> beamten und das verhältnis des koischen jahres zu einem festen chronologischen<lb/> system unbestimmt war, und so ist es hier. die aufzeichnung war eine folge der</note>; noch die des Sokrates Iso-<lb/> krates Platon sind lediglich durch rechnung gefunden.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [3/0023]
Todes- und geburtsjahr.
zu erkennen, daſs dies ein vom dichter aus not wider seinen ersten
plan eingeführtes motiv ist, mit anderen worten, daſs er den plan zu
seinem drama entworfen hat, als Sophokles noch lebte. dieser ist also,
wie auch die beste chronographische überlieferung angibt, in der ersten
hälfte des jahres des Kallias (zweite hälfte von 406) gestorben, Euripides
nicht viel früher, unter Antigenes. es scheint, daſs wir noch genaueres
wissen können. eine zwar nicht ganz verbürgte, aber in sich glaub-
würdige 2) nachricht besagt, daſs Sophokles an einem proagon zu ehren
des eben verstorbenen Euripides den chor ohne kränze auftreten lieſs:
das war also am 8 elaphebolion des Antigenes, ende märz 406, und kurz
vorher war die nachricht vom tode des Euripides nach Athen gelangt,
aus Makedonien, wo er notorisch gestorben ist. an dem winter 407/6
dürfen wir somit festhalten. andererseits steht urkundlich fest, daſs
Euripides unter Diokles (408) den Orestes in Athen aufgeführt hat: sein
aufenthalt in Makedonien hat also nicht mehr als etwa 1½ jahre ge-
dauert.
Unter Kallias, 455, hat Euripides den ersten chor erhalten: das
konnte jeder aus der urkundlichen theaterchronik constatiren. damals
konnte er nicht wol jünger als 20 jahre sein, war also bei seinem tode
mindestens ein siebziger. so hat Philochoros gerechnet und müssen wir
rechnen, ohne zu vergessen, daſs er sehr wol ein par jahre älter gewesen
sein mag. 3) das wirkliche geburtsjahr eines Atheners des 5. jahrhunderts
war für die späteren nicht zu ermitteln 4); noch die des Sokrates Iso-
krates Platon sind lediglich durch rechnung gefunden.
2) Glaubwürdig ist die notiz, weil die institution des proagon früh verfallen
und aus dem gedächtnisse der gelehrten geraten ist, sie muſs also verhältnismäſsig
alt sein und wird auf einen der alten peripatetiker zurückgehen. inhaltlich ist sie
wahrscheinlich, weil die ehrenbezeugung eine so schlichte und im geiste des diony-
sischen festspieles gehaltene ist (vgl. zu vers 677). die nachrichten über den tod des
Sophokles sind alle geschichtlich unverwendbar.
3) Vielleicht hat sich Philochoros so ausgedrückt, daſs Euripides bei seinem
ersten auftreten mindestens ephebe gewesen sein müsse. indem man das als tatsache
nahm, konnte man zu der torheit gelangen, daſs Euripides mit 18 jahren die erste
tragoedie gegeben hätte: so Gellius. die consequenz, entweder das überlieferte datum
455 oder das allgemein geglaubte 480 aufzugeben, hat man aber nicht gezogen.
4) In anderen gegenden stand es anders. Soran hat in den archiven von Kos
gefunden, daſs Hippokrates am 17. Agrianios unter dem monarchen (dem auch ur-
kundlich bezeugten eponymen beamten von Kos) Habriades geboren war: eine
solche angabe blieb jedoch ungenügend, so lange die gleichsetzung der koischen
beamten und das verhältnis des koischen jahres zu einem festen chronologischen
system unbestimmt war, und so ist es hier. die aufzeichnung war eine folge der
1*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |