Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Scholien.
belehrender noch als die römischen dichter sind die grammatiker. von
Horaz ist sehr früh eine ausgabe gemacht worden, in welcher die ge-
dichte überschriften erhielten, in denen sicherlich die namen der adres-
saten aus vorzüglichster kenntnis und bezeichnungen der dichtgattung
(propempticon, paraeneticon u. dgl.) aus vorzüglichster griechischer theorie
standen, wahrscheinlich aber auch bemerkungen über die quellen, wo
solches angezeigt schien 92). dies mag man noch für ein analogon der
aristophanischen hypothesen erklären. aber wenn wir zu einer mytho-
graphischen bemerkung, die in wahrheit auf Apolloniosscholien zurück-
geht, lesen traditur haec historia de Aristaeo in corpore Argonautarum
a Varrone Atacino
(Prob. zu Verg. georg. I, 14), so ist eine ausgabe des
Varro mit scholien deutlich bezeichnet, von der in jenen scholien noch
mehrere spuren sind 93). später als im ersten jahrhundert ist Varro gewiss
nicht commentirt. aber auch die praxis der vornehmsten römischen gram-
matiker deutet darauf, dass sie scholien schrieben. wenn der Berytier
Probus die kritischen zeichen der Aristarcheer übernahm, und daneben
erklärungen von ihm reichlich angeführt werden, so hat er die bemer-
kungen zu den zeichen aufgeschrieben; ein schulbetrieb wie der zu Ari-
starchs zeit bestand eben nicht mehr, am wenigsten für den einsamen
Berytier. auch zeigen unsere Vergilscholien, zumal die Veroneser im
vergleich zu dem commentare des Servius, dem bei Macrobius ausgezognen
und den s. g. zusätzen zum Servius, genau dasselbe verhältnis wie die
griechischen scholien, nur dass das material reicher ist: es ist ein strom
der erudition, der bald dünner wird, bald neue zuflüsse erhält, wie es
bei der fortpflanzung von scholien geht, und nichts spricht dafür, dass
in den ersten jahrhunderten der betrieb der studien andere formen hatte,
als mindestens vom dritten ab. und die Vergilscholien (von denen die
zu Lucan und Statius nur späte ableger sind) führen unmittelbar auf
die Griechen. denn sie hängen ja ganz ersichtlich von den scholien zu
Homer Arat Theokrit 94) Lykophron und anderen ab: niemand versteht

der sternbilder aus der sage geht auf diese doctrin zurück, die am natürlichsten in
Aratscholien niedergelegt gedacht wird. Manilius im letzten buche und das gedicht
des Columella geben weitere ausbente.
92) Die kurzen bemerkungen über Alkaios Pindaros Bakchylides zu Carm. I
10, 12, 15, die quelle des Ars poet. u. s. w. hat Porphyrio natürlich vorgefunden, und
da sie ganz ohne citate geblieben sind, so machen sie den eindruck eines kurzen
vermerks im stile der hypothesen. auch sie möchte man nur der allerbesten zeit
der römischen grammatik zutrauen.
93) Georg. II, 136, III 6.
94) Selbst die prolegomena, die wir in den Theokritscholien lesen, werden in

Scholien.
belehrender noch als die römischen dichter sind die grammatiker. von
Horaz ist sehr früh eine ausgabe gemacht worden, in welcher die ge-
dichte überschriften erhielten, in denen sicherlich die namen der adres-
saten aus vorzüglichster kenntnis und bezeichnungen der dichtgattung
(propempticon, paraeneticon u. dgl.) aus vorzüglichster griechischer theorie
standen, wahrscheinlich aber auch bemerkungen über die quellen, wo
solches angezeigt schien 92). dies mag man noch für ein analogon der
aristophanischen hypothesen erklären. aber wenn wir zu einer mytho-
graphischen bemerkung, die in wahrheit auf Apolloniosscholien zurück-
geht, lesen traditur haec historia de Aristaeo in corpore Argonautarum
a Varrone Atacino
(Prob. zu Verg. georg. I, 14), so ist eine ausgabe des
Varro mit scholien deutlich bezeichnet, von der in jenen scholien noch
mehrere spuren sind 93). später als im ersten jahrhundert ist Varro gewiſs
nicht commentirt. aber auch die praxis der vornehmsten römischen gram-
matiker deutet darauf, daſs sie scholien schrieben. wenn der Berytier
Probus die kritischen zeichen der Aristarcheer übernahm, und daneben
erklärungen von ihm reichlich angeführt werden, so hat er die bemer-
kungen zu den zeichen aufgeschrieben; ein schulbetrieb wie der zu Ari-
starchs zeit bestand eben nicht mehr, am wenigsten für den einsamen
Berytier. auch zeigen unsere Vergilscholien, zumal die Veroneser im
vergleich zu dem commentare des Servius, dem bei Macrobius ausgezognen
und den s. g. zusätzen zum Servius, genau dasselbe verhältnis wie die
griechischen scholien, nur daſs das material reicher ist: es ist ein strom
der erudition, der bald dünner wird, bald neue zuflüsse erhält, wie es
bei der fortpflanzung von scholien geht, und nichts spricht dafür, daſs
in den ersten jahrhunderten der betrieb der studien andere formen hatte,
als mindestens vom dritten ab. und die Vergilscholien (von denen die
zu Lucan und Statius nur späte ableger sind) führen unmittelbar auf
die Griechen. denn sie hängen ja ganz ersichtlich von den scholien zu
Homer Arat Theokrit 94) Lykophron und anderen ab: niemand versteht

der sternbilder aus der sage geht auf diese doctrin zurück, die am natürlichsten in
Aratscholien niedergelegt gedacht wird. Manilius im letzten buche und das gedicht
des Columella geben weitere ausbente.
92) Die kurzen bemerkungen über Alkaios Pindaros Bakchylides zu Carm. I
10, 12, 15, die quelle des Ars poet. u. s. w. hat Porphyrio natürlich vorgefunden, und
da sie ganz ohne citate geblieben sind, so machen sie den eindruck eines kurzen
vermerks im stile der hypothesen. auch sie möchte man nur der allerbesten zeit
der römischen grammatik zutrauen.
93) Georg. II, 136, III 6.
94) Selbst die prolegomena, die wir in den Theokritscholien lesen, werden in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0187" n="167"/><fw place="top" type="header">Scholien.</fw><lb/>
belehrender noch als die römischen dichter sind die grammatiker. von<lb/>
Horaz ist sehr früh eine ausgabe gemacht worden, in welcher die ge-<lb/>
dichte überschriften erhielten, in denen sicherlich die namen der adres-<lb/>
saten aus vorzüglichster kenntnis und bezeichnungen der dichtgattung<lb/>
(propempticon, paraeneticon u. dgl.) aus vorzüglichster griechischer theorie<lb/>
standen, wahrscheinlich aber auch bemerkungen über die quellen, wo<lb/>
solches angezeigt schien <note place="foot" n="92)">Die kurzen bemerkungen über Alkaios Pindaros Bakchylides zu Carm. I<lb/>
10, 12, 15, die quelle des Ars poet. u. s. w. hat Porphyrio natürlich vorgefunden, und<lb/>
da sie ganz ohne citate geblieben sind, so machen sie den eindruck eines kurzen<lb/>
vermerks im stile der hypothesen. auch sie möchte man nur der allerbesten zeit<lb/>
der römischen grammatik zutrauen.</note>. dies mag man noch für ein analogon der<lb/>
aristophanischen hypothesen erklären. aber wenn wir zu einer mytho-<lb/>
graphischen bemerkung, die in wahrheit auf Apolloniosscholien zurück-<lb/>
geht, lesen <hi rendition="#i">traditur haec historia de Aristaeo in corpore Argonautarum<lb/>
a Varrone Atacino</hi> (Prob. zu Verg. georg. I, 14), so ist eine ausgabe des<lb/>
Varro mit scholien deutlich bezeichnet, von der in jenen scholien noch<lb/>
mehrere spuren sind <note place="foot" n="93)">Georg. II, 136, III 6.</note>. später als im ersten jahrhundert ist Varro gewi&#x017F;s<lb/>
nicht commentirt. aber auch die praxis der vornehmsten römischen gram-<lb/>
matiker deutet darauf, da&#x017F;s sie scholien schrieben. wenn der Berytier<lb/>
Probus die kritischen zeichen der Aristarcheer übernahm, und daneben<lb/>
erklärungen von ihm reichlich angeführt werden, so hat er die bemer-<lb/>
kungen zu den zeichen aufgeschrieben; ein schulbetrieb wie der zu Ari-<lb/>
starchs zeit bestand eben nicht mehr, am wenigsten für den einsamen<lb/>
Berytier. auch zeigen unsere Vergilscholien, zumal die Veroneser im<lb/>
vergleich zu dem commentare des Servius, dem bei Macrobius ausgezognen<lb/>
und den s. g. zusätzen zum Servius, genau dasselbe verhältnis wie die<lb/>
griechischen scholien, nur da&#x017F;s das material reicher ist: es ist ein strom<lb/>
der erudition, der bald dünner wird, bald neue zuflüsse erhält, wie es<lb/>
bei der fortpflanzung von scholien geht, und nichts spricht dafür, da&#x017F;s<lb/>
in den ersten jahrhunderten der betrieb der studien andere formen hatte,<lb/>
als mindestens vom dritten ab. und die Vergilscholien (von denen die<lb/>
zu Lucan und Statius nur späte ableger sind) führen unmittelbar auf<lb/>
die Griechen. denn sie hängen ja ganz ersichtlich von den scholien zu<lb/>
Homer Arat Theokrit <note xml:id="note-0187a" next="#note-0188" place="foot" n="94)">Selbst die prolegomena, die wir in den Theokritscholien lesen, werden in</note> Lykophron und anderen ab: niemand versteht<lb/><note xml:id="note-0187" prev="#note-0186" place="foot" n="91)">der sternbilder aus der sage geht auf diese doctrin zurück, die am natürlichsten in<lb/>
Aratscholien niedergelegt gedacht wird. Manilius im letzten buche und das gedicht<lb/>
des Columella geben weitere ausbente.</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0187] Scholien. belehrender noch als die römischen dichter sind die grammatiker. von Horaz ist sehr früh eine ausgabe gemacht worden, in welcher die ge- dichte überschriften erhielten, in denen sicherlich die namen der adres- saten aus vorzüglichster kenntnis und bezeichnungen der dichtgattung (propempticon, paraeneticon u. dgl.) aus vorzüglichster griechischer theorie standen, wahrscheinlich aber auch bemerkungen über die quellen, wo solches angezeigt schien 92). dies mag man noch für ein analogon der aristophanischen hypothesen erklären. aber wenn wir zu einer mytho- graphischen bemerkung, die in wahrheit auf Apolloniosscholien zurück- geht, lesen traditur haec historia de Aristaeo in corpore Argonautarum a Varrone Atacino (Prob. zu Verg. georg. I, 14), so ist eine ausgabe des Varro mit scholien deutlich bezeichnet, von der in jenen scholien noch mehrere spuren sind 93). später als im ersten jahrhundert ist Varro gewiſs nicht commentirt. aber auch die praxis der vornehmsten römischen gram- matiker deutet darauf, daſs sie scholien schrieben. wenn der Berytier Probus die kritischen zeichen der Aristarcheer übernahm, und daneben erklärungen von ihm reichlich angeführt werden, so hat er die bemer- kungen zu den zeichen aufgeschrieben; ein schulbetrieb wie der zu Ari- starchs zeit bestand eben nicht mehr, am wenigsten für den einsamen Berytier. auch zeigen unsere Vergilscholien, zumal die Veroneser im vergleich zu dem commentare des Servius, dem bei Macrobius ausgezognen und den s. g. zusätzen zum Servius, genau dasselbe verhältnis wie die griechischen scholien, nur daſs das material reicher ist: es ist ein strom der erudition, der bald dünner wird, bald neue zuflüsse erhält, wie es bei der fortpflanzung von scholien geht, und nichts spricht dafür, daſs in den ersten jahrhunderten der betrieb der studien andere formen hatte, als mindestens vom dritten ab. und die Vergilscholien (von denen die zu Lucan und Statius nur späte ableger sind) führen unmittelbar auf die Griechen. denn sie hängen ja ganz ersichtlich von den scholien zu Homer Arat Theokrit 94) Lykophron und anderen ab: niemand versteht 91) 92) Die kurzen bemerkungen über Alkaios Pindaros Bakchylides zu Carm. I 10, 12, 15, die quelle des Ars poet. u. s. w. hat Porphyrio natürlich vorgefunden, und da sie ganz ohne citate geblieben sind, so machen sie den eindruck eines kurzen vermerks im stile der hypothesen. auch sie möchte man nur der allerbesten zeit der römischen grammatik zutrauen. 93) Georg. II, 136, III 6. 94) Selbst die prolegomena, die wir in den Theokritscholien lesen, werden in 91) der sternbilder aus der sage geht auf diese doctrin zurück, die am natürlichsten in Aratscholien niedergelegt gedacht wird. Manilius im letzten buche und das gedicht des Columella geben weitere ausbente.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/187
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/187>, abgerufen am 24.11.2024.