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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Geschichte des tragikertextes.
mentaren oder vielmehr von commentirten ausgaben, und dies war das
neue und wichtige. in der tat, wenn die schule und die mündliche
unterweisung für die gelehrte schriftstellerei nicht mehr massgebend sein
konnte, das publicum aber mit den textausgaben nicht mehr auskam, so
war diese lösung von selbst geboten. dass Didymos nicht bloss upomne-
mata über die tragödien (und sonstigen dichtungen) schrieb, sondern
auch texte gab, lehren die scholien ganz deutlich, die sich auf seine les-
arten und ausgaben berufen 89). das fortleben und die umgestaltung seiner
commentare und texte führt ebenfalls darauf, dass beides mit einander
überliefert ward. sein buch über die aristarchische ausgabe ist ohne
Homertext kaum zu denken; dies war denn freilich eine streng gelehrte
arbeit. aber die ausgaben sind für das weitere publicum mit berechnet
gewesen: es sind mit einem worte texte mit scholien gewesen. die aus-
stattung der dichtertexte, wie wir sie in unsern handschriften finden, ist
auf diese zeit zurückzuführen: in der mitte der metrisch abgeteilte text,
mit zeichen, metrischen und kritischen, wol nur obelos und kreuz, khi
oder semeion genannt, und den erklärungen dazu am rande, der ausser-
dem noch bemerkungen zu einzelnen stellen aufnahm.

Dass diese ausstattung der bücher wirklich in guter zeit üblich gewesen
ist, hat man lange nicht glauben wollen; allem reden ist aber ein ende ge-
macht, seit wir ein stück eines solchen buches besitzen, den Alkmanpapyrus,
den die palaeographen möglichst hoch hinaufrücken. da er in seinen scho-
lien den grammatiker Pamphilos citirt, so kann er, wenn man sich nicht
durch die annahme einer homonymie retten will, nicht älter als aus der
zeit der flavischen kaiser sein. aber das beweist auch genug. und eine
reihe anderer erwägungen tritt hinzu. der poet Valerius Flaccus hat,
als er die Argonautica des Apollonios bearbeitete, die mythographische
gelehrsamkeit benutzt, die noch heute in unserer handschrift steht, der-
selben, welche Aischylos und Sophokles mit ihren scholien enthält. sie
nennt als quelle unter andern selbst den Theon. also vor Valerius Flaccus
war jene erlesene gelehrsamkeit für den Apollonios zusammengetragen:
in der tat, man kann den schluss nicht abweisen, dass Theons scholien
an dem rande der Apollonioshandschriften schon zur zeit der Flavier
standen 90). Germanicus, wahrscheinlich auch Ovid, haben die scholien
des Arat, die wir besitzen, auch schon neben dem gedichte benutzt 91).

89) O. K. 237 Ant. 45 Ai. 1225 Hek. 13 Med. 379, u. a.
90) E. Schwartz de Dionysio Scytobrachione 34.
91) Robert Eratosth. catast. 29. so schlagend wie die dort von mir angegebene
benutzung derselben scholien durch Avien ist es nicht. allein die ganze benennung

Geschichte des tragikertextes.
mentaren oder vielmehr von commentirten ausgaben, und dies war das
neue und wichtige. in der tat, wenn die schule und die mündliche
unterweisung für die gelehrte schriftstellerei nicht mehr maſsgebend sein
konnte, das publicum aber mit den textausgaben nicht mehr auskam, so
war diese lösung von selbst geboten. daſs Didymos nicht bloſs ὑπομνή-
ματα über die tragödien (und sonstigen dichtungen) schrieb, sondern
auch texte gab, lehren die scholien ganz deutlich, die sich auf seine les-
arten und ausgaben berufen 89). das fortleben und die umgestaltung seiner
commentare und texte führt ebenfalls darauf, daſs beides mit einander
überliefert ward. sein buch über die aristarchische ausgabe ist ohne
Homertext kaum zu denken; dies war denn freilich eine streng gelehrte
arbeit. aber die ausgaben sind für das weitere publicum mit berechnet
gewesen: es sind mit einem worte texte mit scholien gewesen. die aus-
stattung der dichtertexte, wie wir sie in unsern handschriften finden, ist
auf diese zeit zurückzuführen: in der mitte der metrisch abgeteilte text,
mit zeichen, metrischen und kritischen, wol nur obelos und kreuz, χῖ
oder σημεῖον genannt, und den erklärungen dazu am rande, der auſser-
dem noch bemerkungen zu einzelnen stellen aufnahm.

Daſs diese ausstattung der bücher wirklich in guter zeit üblich gewesen
ist, hat man lange nicht glauben wollen; allem reden ist aber ein ende ge-
macht, seit wir ein stück eines solchen buches besitzen, den Alkmanpapyrus,
den die palaeographen möglichst hoch hinaufrücken. da er in seinen scho-
lien den grammatiker Pamphilos citirt, so kann er, wenn man sich nicht
durch die annahme einer homonymie retten will, nicht älter als aus der
zeit der flavischen kaiser sein. aber das beweist auch genug. und eine
reihe anderer erwägungen tritt hinzu. der poet Valerius Flaccus hat,
als er die Argonautica des Apollonios bearbeitete, die mythographische
gelehrsamkeit benutzt, die noch heute in unserer handschrift steht, der-
selben, welche Aischylos und Sophokles mit ihren scholien enthält. sie
nennt als quelle unter andern selbst den Theon. also vor Valerius Flaccus
war jene erlesene gelehrsamkeit für den Apollonios zusammengetragen:
in der tat, man kann den schluſs nicht abweisen, daſs Theons scholien
an dem rande der Apollonioshandschriften schon zur zeit der Flavier
standen 90). Germanicus, wahrscheinlich auch Ovid, haben die scholien
des Arat, die wir besitzen, auch schon neben dem gedichte benutzt 91).

89) O. K. 237 Ant. 45 Ai. 1225 Hek. 13 Med. 379, u. a.
90) E. Schwartz de Dionysio Scytobrachione 34.
91) Robert Eratosth. catast. 29. so schlagend wie die dort von mir angegebene
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[166/0186] Geschichte des tragikertextes. mentaren oder vielmehr von commentirten ausgaben, und dies war das neue und wichtige. in der tat, wenn die schule und die mündliche unterweisung für die gelehrte schriftstellerei nicht mehr maſsgebend sein konnte, das publicum aber mit den textausgaben nicht mehr auskam, so war diese lösung von selbst geboten. daſs Didymos nicht bloſs ὑπομνή- ματα über die tragödien (und sonstigen dichtungen) schrieb, sondern auch texte gab, lehren die scholien ganz deutlich, die sich auf seine les- arten und ausgaben berufen 89). das fortleben und die umgestaltung seiner commentare und texte führt ebenfalls darauf, daſs beides mit einander überliefert ward. sein buch über die aristarchische ausgabe ist ohne Homertext kaum zu denken; dies war denn freilich eine streng gelehrte arbeit. aber die ausgaben sind für das weitere publicum mit berechnet gewesen: es sind mit einem worte texte mit scholien gewesen. die aus- stattung der dichtertexte, wie wir sie in unsern handschriften finden, ist auf diese zeit zurückzuführen: in der mitte der metrisch abgeteilte text, mit zeichen, metrischen und kritischen, wol nur obelos und kreuz, χῖ oder σημεῖον genannt, und den erklärungen dazu am rande, der auſser- dem noch bemerkungen zu einzelnen stellen aufnahm. Daſs diese ausstattung der bücher wirklich in guter zeit üblich gewesen ist, hat man lange nicht glauben wollen; allem reden ist aber ein ende ge- macht, seit wir ein stück eines solchen buches besitzen, den Alkmanpapyrus, den die palaeographen möglichst hoch hinaufrücken. da er in seinen scho- lien den grammatiker Pamphilos citirt, so kann er, wenn man sich nicht durch die annahme einer homonymie retten will, nicht älter als aus der zeit der flavischen kaiser sein. aber das beweist auch genug. und eine reihe anderer erwägungen tritt hinzu. der poet Valerius Flaccus hat, als er die Argonautica des Apollonios bearbeitete, die mythographische gelehrsamkeit benutzt, die noch heute in unserer handschrift steht, der- selben, welche Aischylos und Sophokles mit ihren scholien enthält. sie nennt als quelle unter andern selbst den Theon. also vor Valerius Flaccus war jene erlesene gelehrsamkeit für den Apollonios zusammengetragen: in der tat, man kann den schluſs nicht abweisen, daſs Theons scholien an dem rande der Apollonioshandschriften schon zur zeit der Flavier standen 90). Germanicus, wahrscheinlich auch Ovid, haben die scholien des Arat, die wir besitzen, auch schon neben dem gedichte benutzt 91). 89) O. K. 237 Ant. 45 Ai. 1225 Hek. 13 Med. 379, u. a. 90) E. Schwartz de Dionysio Scytobrachione 34. 91) Robert Eratosth. catast. 29. so schlagend wie die dort von mir angegebene benutzung derselben scholien durch Avien ist es nicht. allein die ganze benennung

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/186>, abgerufen am 24.11.2024.