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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Beantwortung der frage. die aristotelische definition.
tragiker ausübten. allein diese geschichtliche wirkung, die in gewissem
sinne ewig dauern wird, ist in jeglicher hinsicht eine andere als die
welche die dichter selbst beabsichtigten und ihre werke zu ihrer zeit
ausübten. und die philologie hat zwar auch die aufgabe jene geschicht-
liche wirkung zu verfolgen und zu erklären: aber das nächste und not-
wendigste ist, den dichter und sein werk selbst zu begreifen.

Wir stehen am schlusse: es ist nur noch nötig, den ertrag unsererBeantwor-
tung der
frage.

betrachtungen zusammenzuziehen, damit die frage beantwortet werde,
was ist eine attische tragödie? eine attische tragödie ist ein in sich ab-
geschlossenes stück der heldensage, poetisch bearbeitet in erhabenem
stile für die darstellung durch einen attischen bürgerchor und zwei bis
drei schauspieler, und bestimmt als teil des öffentlichen gottesdienstes
im heiligtume des Dionysos aufgeführt zu werden.

Das ist ohne zweifel eine definition, mit welcher die aesthetische
theorie so nichts anfangen kann, vielmehr wird diese sofort und mit
leichtigkeit sich aus ihr nur das aussuchen, was für sie wesentlich ist.
denn die aesthetische theorie will die tragödie definiren; die philologie
hat es aber mit der attischen tragödie zu tun, und für diese ist alles
wesentlich, was für die dichter als gesetz gegeben war, und sich demnach
in ihren werken wirksam zeigt, also z. b. die qualität der tänzer, die be-
schränkte zahl der schauspieler, zeit und ort der aufführung. die theorie
hat die aufgabe, die notwendigkeit für jede der forderungen begrifflich
zu erweisen, welche sie in der definition zusammenfasst; die philologie
hat ihre aufgabe eigentlich schon erfüllt, wenn sie die existenz jedes
einzelnen kennzeichens, das sie in die definition aufnimmt, an den con-
creten erscheinungen, den tragödien, dartut: im vorstehenden soll aber
auch für alles einzelne die entstehung erläutert und somit zwar nicht ihre
begriffliche, aber wol ihre geschichtliche notwendigkeit erwiesen sein.

Aristoteles hat nicht die attische tragödie geschichtlich, sondern dieDie aristote-
lische defl-
nition.

tragödie begrifflich definiren wollen, und nur weil sein einziges beobach-
tungsmaterial in attischen tragödien und ihren nachahmungen bestand,
kann der moderne sich leicht über seine absicht täuschen. gleichwol
wird jeder erwarten, dass hier die aristotelische definition zur vergleichung
herbeigezogen werde. estin oun tragodia mimesis praxeos spou-
daias kai teleias megethos ekhouses edusmeno logo khoris ekastou
ton eidon en tois moriois -- so weit stimmt das, wenn man den ver-
schiedenen standpunkt berücksichtigt, im wesentlichen, und die einheit
und abgeschlossenheit, die freilich für jedes kunstwerk gilt, ist ein sehr
wichtiges moment, das gewürdigt zu haben vielleicht das wertvollste an der

Beantwortung der frage. die aristotelische definition.
tragiker ausübten. allein diese geschichtliche wirkung, die in gewissem
sinne ewig dauern wird, ist in jeglicher hinsicht eine andere als die
welche die dichter selbst beabsichtigten und ihre werke zu ihrer zeit
ausübten. und die philologie hat zwar auch die aufgabe jene geschicht-
liche wirkung zu verfolgen und zu erklären: aber das nächste und not-
wendigste ist, den dichter und sein werk selbst zu begreifen.

Wir stehen am schlusse: es ist nur noch nötig, den ertrag unsererBeantwor-
tung der
frage.

betrachtungen zusammenzuziehen, damit die frage beantwortet werde,
was ist eine attische tragödie? eine attische tragödie ist ein in sich ab-
geschlossenes stück der heldensage, poetisch bearbeitet in erhabenem
stile für die darstellung durch einen attischen bürgerchor und zwei bis
drei schauspieler, und bestimmt als teil des öffentlichen gottesdienstes
im heiligtume des Dionysos aufgeführt zu werden.

Das ist ohne zweifel eine definition, mit welcher die aesthetische
theorie so nichts anfangen kann, vielmehr wird diese sofort und mit
leichtigkeit sich aus ihr nur das aussuchen, was für sie wesentlich ist.
denn die aesthetische theorie will die tragödie definiren; die philologie
hat es aber mit der attischen tragödie zu tun, und für diese ist alles
wesentlich, was für die dichter als gesetz gegeben war, und sich demnach
in ihren werken wirksam zeigt, also z. b. die qualität der tänzer, die be-
schränkte zahl der schauspieler, zeit und ort der aufführung. die theorie
hat die aufgabe, die notwendigkeit für jede der forderungen begrifflich
zu erweisen, welche sie in der definition zusammenfaſst; die philologie
hat ihre aufgabe eigentlich schon erfüllt, wenn sie die existenz jedes
einzelnen kennzeichens, das sie in die definition aufnimmt, an den con-
creten erscheinungen, den tragödien, dartut: im vorstehenden soll aber
auch für alles einzelne die entstehung erläutert und somit zwar nicht ihre
begriffliche, aber wol ihre geschichtliche notwendigkeit erwiesen sein.

Aristoteles hat nicht die attische tragödie geschichtlich, sondern dieDie aristote-
lische defl-
nition.

tragödie begrifflich definiren wollen, und nur weil sein einziges beobach-
tungsmaterial in attischen tragödien und ihren nachahmungen bestand,
kann der moderne sich leicht über seine absicht täuschen. gleichwol
wird jeder erwarten, daſs hier die aristotelische definition zur vergleichung
herbeigezogen werde. ἔστιν οὖν τραγῳδία μίμησις πράξεως σπου-
δαίας καὶ τελείας μέγεϑος ἐχούσης ἡδυσμένῳ λόγῳ χωρὶς ἑκάστου
τῶν εἰδῶν ἐν τοῖς μορίοις — so weit stimmt das, wenn man den ver-
schiedenen standpunkt berücksichtigt, im wesentlichen, und die einheit
und abgeschlossenheit, die freilich für jedes kunstwerk gilt, ist ein sehr
wichtiges moment, das gewürdigt zu haben vielleicht das wertvollste an der

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[107/0127] Beantwortung der frage. die aristotelische definition. tragiker ausübten. allein diese geschichtliche wirkung, die in gewissem sinne ewig dauern wird, ist in jeglicher hinsicht eine andere als die welche die dichter selbst beabsichtigten und ihre werke zu ihrer zeit ausübten. und die philologie hat zwar auch die aufgabe jene geschicht- liche wirkung zu verfolgen und zu erklären: aber das nächste und not- wendigste ist, den dichter und sein werk selbst zu begreifen. Wir stehen am schlusse: es ist nur noch nötig, den ertrag unserer betrachtungen zusammenzuziehen, damit die frage beantwortet werde, was ist eine attische tragödie? eine attische tragödie ist ein in sich ab- geschlossenes stück der heldensage, poetisch bearbeitet in erhabenem stile für die darstellung durch einen attischen bürgerchor und zwei bis drei schauspieler, und bestimmt als teil des öffentlichen gottesdienstes im heiligtume des Dionysos aufgeführt zu werden. Beantwor- tung der frage. Das ist ohne zweifel eine definition, mit welcher die aesthetische theorie so nichts anfangen kann, vielmehr wird diese sofort und mit leichtigkeit sich aus ihr nur das aussuchen, was für sie wesentlich ist. denn die aesthetische theorie will die tragödie definiren; die philologie hat es aber mit der attischen tragödie zu tun, und für diese ist alles wesentlich, was für die dichter als gesetz gegeben war, und sich demnach in ihren werken wirksam zeigt, also z. b. die qualität der tänzer, die be- schränkte zahl der schauspieler, zeit und ort der aufführung. die theorie hat die aufgabe, die notwendigkeit für jede der forderungen begrifflich zu erweisen, welche sie in der definition zusammenfaſst; die philologie hat ihre aufgabe eigentlich schon erfüllt, wenn sie die existenz jedes einzelnen kennzeichens, das sie in die definition aufnimmt, an den con- creten erscheinungen, den tragödien, dartut: im vorstehenden soll aber auch für alles einzelne die entstehung erläutert und somit zwar nicht ihre begriffliche, aber wol ihre geschichtliche notwendigkeit erwiesen sein. Aristoteles hat nicht die attische tragödie geschichtlich, sondern die tragödie begrifflich definiren wollen, und nur weil sein einziges beobach- tungsmaterial in attischen tragödien und ihren nachahmungen bestand, kann der moderne sich leicht über seine absicht täuschen. gleichwol wird jeder erwarten, daſs hier die aristotelische definition zur vergleichung herbeigezogen werde. ἔστιν οὖν τραγῳδία μίμησις πράξεως σπου- δαίας καὶ τελείας μέγεϑος ἐχούσης ἡδυσμένῳ λόγῳ χωρὶς ἑκάστου τῶν εἰδῶν ἐν τοῖς μορίοις — so weit stimmt das, wenn man den ver- schiedenen standpunkt berücksichtigt, im wesentlichen, und die einheit und abgeschlossenheit, die freilich für jedes kunstwerk gilt, ist ein sehr wichtiges moment, das gewürdigt zu haben vielleicht das wertvollste an der Die aristote- lische defl- nition.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/127>, abgerufen am 25.11.2024.