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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die grossen adelshäuser.
sistratos, wol der grossvater des tyrannen, legte also wert auf seine
pylische herkunft, und anders als Peisistratiden heisst das tyrannen-
geschlecht später nie. sie wohnten dicht neben den Philaiden in der
gegend von Brauron und beide gehörten also von haus aus zu derselben
partei der Diakrier. fünf jahre nur vor der ersten tyrannis des Peisi-
stratos war ein Philaide Hippokleides archon gewesen und hatte den
agon der Panathenaeen gestiftet. aber er war kein gefährlicher con-
current, weil es ihm an ernst und stätigkeit fehlte. "darum keine
sorgen, sagt Hippokleides" blieb ein geflügeltes wort. ein bedeutenderer
herr aus demselben hause hatte, wie es heisst unter mitwirkung des
delphischen orakels, die besetzung des Chersones unternommen und dort
die wichtige herrschaft gegründet, im wesentlichen auf kosten von bar-
baren, denen er auch Lemnos und Imbros abnahm, unter allgemeiner
sympathie der öffentlichen meinung von Hellas, weil es eben barbaren-
land war.4) es ist zwar zwischen den Philaiden und Peisistratos nicht

4) Diese erwerbung richtig datirt und richtig beurteilet zu haben, ist das ver-
dienst von E. Meyers aufsatz über die Pelasger (Philol. N. F. 2). im übrigen ge-
hört seine hypothese nicht zu denen, die mich "so weit blenden, dass ich aller
überlieferung ins gesicht schlage". falsche conjecturen gemacht zu haben kann ich
nicht leugnen und suche mich zu bessern, gern bereit sie zurückzunehmen. aber
das conjiciren werde ich nie lassen, weil es nötig ist: und jede conjectur ist ihrer
natur nach eine abweichung von der überlieferung, ob man einen text oder einen
geschichtlichen zusammenhang von einem glossem befreit, ist für diese procedur
einerlei. die hypothese Pelargikon = storchnest ist ein einfall, der nicht längeres
leben hat als eine seifenblase. argos weiss, asgla, aigla (ein episches, in keiner
lebenden sprache nachgewiesenes wort) gehören alle zusammen. Pelasgoi sind an sehr
vielen orten die "urbewohner" genannt (vgl. Schwartz quaest. Herod. Rostock 1890),
so auch in Athen. ihnen hat man den bau der burgmauer zugeschrieben, die in
die unvordenkliche zeit gehörte, wie anderwärts den riesen oder hundertarmen. die
gegner im osten, die den stadtathenern auch sonst als wilde riesen erscheinen,
führen in einer geschichte den Pelasgernamen. diese geschichte ist dazu da, die
Pelasger aus Athen zu vertreiben, d. h. den zustand der gegenwart zu erklären,
welche keine mehr in Attika kennt; um so sicherer waren sie in der älteren vor-
stellung gegeben. schon Hekataios hat das erzählt; aber von der ansiedelung der
vertriebenen Pelasger auf Lemnos hat er nichts gewusst. diese ist (wer hätte das je
verständigermassen anders ansehn dürfen) nicht älter als die eroberung von Lemnos
durch den attischen herrn der Chersones. und so haben in der tat nach Lemnos
erst die Athener den Pelasgernamen gebracht. die dortigen barbaren wurden von den
Ioniern Tyrsener genannt, auch mit einem namen, der keine ethnologische bedeutung
hatte, wie denn der italische Ionier in den burgbauenden Rasenern die Tursenoi
sah und ihnen, selbst für die Italiker massgebend, diesen namen gab; dass sie damit
gleich hiessen wie die feinde seiner alten heimat, die Lyder oder Meoner, war ihm
höchstens erfreulich, musste dann aber genau so sicher eine wandersage erzeugen, wie

Die groſsen adelshäuser.
sistratos, wol der groſsvater des tyrannen, legte also wert auf seine
pylische herkunft, und anders als Peisistratiden heiſst das tyrannen-
geschlecht später nie. sie wohnten dicht neben den Philaiden in der
gegend von Brauron und beide gehörten also von haus aus zu derselben
partei der Diakrier. fünf jahre nur vor der ersten tyrannis des Peisi-
stratos war ein Philaide Hippokleides archon gewesen und hatte den
agon der Panathenaeen gestiftet. aber er war kein gefährlicher con-
current, weil es ihm an ernst und stätigkeit fehlte. “darum keine
sorgen, sagt Hippokleides” blieb ein geflügeltes wort. ein bedeutenderer
herr aus demselben hause hatte, wie es heiſst unter mitwirkung des
delphischen orakels, die besetzung des Chersones unternommen und dort
die wichtige herrschaft gegründet, im wesentlichen auf kosten von bar-
baren, denen er auch Lemnos und Imbros abnahm, unter allgemeiner
sympathie der öffentlichen meinung von Hellas, weil es eben barbaren-
land war.4) es ist zwar zwischen den Philaiden und Peisistratos nicht

4) Diese erwerbung richtig datirt und richtig beurteilet zu haben, ist das ver-
dienst von E. Meyers aufsatz über die Pelasger (Philol. N. F. 2). im übrigen ge-
hört seine hypothese nicht zu denen, die mich “so weit blenden, daſs ich aller
überlieferung ins gesicht schlage”. falsche conjecturen gemacht zu haben kann ich
nicht leugnen und suche mich zu bessern, gern bereit sie zurückzunehmen. aber
das conjiciren werde ich nie lassen, weil es nötig ist: und jede conjectur ist ihrer
natur nach eine abweichung von der überlieferung, ob man einen text oder einen
geschichtlichen zusammenhang von einem glossem befreit, ist für diese procedur
einerlei. die hypothese Πελαϱγικὸν = storchnest ist ein einfall, der nicht längeres
leben hat als eine seifenblase. ἀϱγός weiſs, ἄσγλα, αἴγλα (ein episches, in keiner
lebenden sprache nachgewiesenes wort) gehören alle zusammen. Πελασγοί sind an sehr
vielen orten die “urbewohner” genannt (vgl. Schwartz quaest. Herod. Rostock 1890),
so auch in Athen. ihnen hat man den bau der burgmauer zugeschrieben, die in
die unvordenkliche zeit gehörte, wie anderwärts den riesen oder hundertarmen. die
gegner im osten, die den stadtathenern auch sonst als wilde riesen erscheinen,
führen in einer geschichte den Pelasgernamen. diese geschichte ist dazu da, die
Pelasger aus Athen zu vertreiben, d. h. den zustand der gegenwart zu erklären,
welche keine mehr in Attika kennt; um so sicherer waren sie in der älteren vor-
stellung gegeben. schon Hekataios hat das erzählt; aber von der ansiedelung der
vertriebenen Pelasger auf Lemnos hat er nichts gewuſst. diese ist (wer hätte das je
verständigermaſsen anders ansehn dürfen) nicht älter als die eroberung von Lemnos
durch den attischen herrn der Chersones. und so haben in der tat nach Lemnos
erst die Athener den Pelasgernamen gebracht. die dortigen barbaren wurden von den
Ioniern Tyrsener genannt, auch mit einem namen, der keine ethnologische bedeutung
hatte, wie denn der italische Ionier in den burgbauenden Rasenern die Τυϱσηνοί
sah und ihnen, selbst für die Italiker maſsgebend, diesen namen gab; daſs sie damit
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höchstens erfreulich, muſste dann aber genau so sicher eine wandersage erzeugen, wie
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[73/0083] Die groſsen adelshäuser. sistratos, wol der groſsvater des tyrannen, legte also wert auf seine pylische herkunft, und anders als Peisistratiden heiſst das tyrannen- geschlecht später nie. sie wohnten dicht neben den Philaiden in der gegend von Brauron und beide gehörten also von haus aus zu derselben partei der Diakrier. fünf jahre nur vor der ersten tyrannis des Peisi- stratos war ein Philaide Hippokleides archon gewesen und hatte den agon der Panathenaeen gestiftet. aber er war kein gefährlicher con- current, weil es ihm an ernst und stätigkeit fehlte. “darum keine sorgen, sagt Hippokleides” blieb ein geflügeltes wort. ein bedeutenderer herr aus demselben hause hatte, wie es heiſst unter mitwirkung des delphischen orakels, die besetzung des Chersones unternommen und dort die wichtige herrschaft gegründet, im wesentlichen auf kosten von bar- baren, denen er auch Lemnos und Imbros abnahm, unter allgemeiner sympathie der öffentlichen meinung von Hellas, weil es eben barbaren- land war. 4) es ist zwar zwischen den Philaiden und Peisistratos nicht 4) Diese erwerbung richtig datirt und richtig beurteilet zu haben, ist das ver- dienst von E. Meyers aufsatz über die Pelasger (Philol. N. F. 2). im übrigen ge- hört seine hypothese nicht zu denen, die mich “so weit blenden, daſs ich aller überlieferung ins gesicht schlage”. falsche conjecturen gemacht zu haben kann ich nicht leugnen und suche mich zu bessern, gern bereit sie zurückzunehmen. aber das conjiciren werde ich nie lassen, weil es nötig ist: und jede conjectur ist ihrer natur nach eine abweichung von der überlieferung, ob man einen text oder einen geschichtlichen zusammenhang von einem glossem befreit, ist für diese procedur einerlei. die hypothese Πελαϱγικὸν = storchnest ist ein einfall, der nicht längeres leben hat als eine seifenblase. ἀϱγός weiſs, ἄσγλα, αἴγλα (ein episches, in keiner lebenden sprache nachgewiesenes wort) gehören alle zusammen. Πελασγοί sind an sehr vielen orten die “urbewohner” genannt (vgl. Schwartz quaest. Herod. Rostock 1890), so auch in Athen. ihnen hat man den bau der burgmauer zugeschrieben, die in die unvordenkliche zeit gehörte, wie anderwärts den riesen oder hundertarmen. die gegner im osten, die den stadtathenern auch sonst als wilde riesen erscheinen, führen in einer geschichte den Pelasgernamen. diese geschichte ist dazu da, die Pelasger aus Athen zu vertreiben, d. h. den zustand der gegenwart zu erklären, welche keine mehr in Attika kennt; um so sicherer waren sie in der älteren vor- stellung gegeben. schon Hekataios hat das erzählt; aber von der ansiedelung der vertriebenen Pelasger auf Lemnos hat er nichts gewuſst. diese ist (wer hätte das je verständigermaſsen anders ansehn dürfen) nicht älter als die eroberung von Lemnos durch den attischen herrn der Chersones. und so haben in der tat nach Lemnos erst die Athener den Pelasgernamen gebracht. die dortigen barbaren wurden von den Ioniern Tyrsener genannt, auch mit einem namen, der keine ethnologische bedeutung hatte, wie denn der italische Ionier in den burgbauenden Rasenern die Τυϱσηνοί sah und ihnen, selbst für die Italiker maſsgebend, diesen namen gab; daſs sie damit gleich hieſsen wie die feinde seiner alten heimat, die Lyder oder Meoner, war ihm höchstens erfreulich, muſste dann aber genau so sicher eine wandersage erzeugen, wie

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/83>, abgerufen am 25.11.2024.