Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. mit einer erotik, die für einen derberen gaumen berechnet war als dieromantische elegie, und keinesweges deren tochter. sie stammt vielmehr genau so direct und so rein von der alten novellistischen geschichte ab wie die Ephesier, die sich dem Mithradates ergaben, von dem volke, das unter den Basiliden gestanden hatte. ob sie schon durch Aristeides den entscheidenden schritt getan hat, die mythischen namen ganz abzustreifen, verstattet unsere kümmerliche überlieferung nicht zu erkennen: bald ist es jedenfalls geschehen, sonst würde Petrons matrone von Ephesos den namen einer fürstin des siebenten oder sechsten jahrhunderts tragen.46) aber die herkunft der griechischen romane aus der alten erzählungs- litteratur ist deutlich genug. wo die alten träger geblieben sind, wie Pythagoras Aesop die Sieben weisen, liegt es auf der hand. bei den erotischen erzählungen verkennt man es leicht. die sophistik der kaiser- zeit hatte sich eingebildet, eine neue veredelnde form gefunden zu haben, und wie sie die motive der komoedie zu mehr oder minder albernen briefen von hetären parasiten bauern und fischern verbrauchte, wobei die locale attische farbe gar oft verloren geht, so bewahren ihre ero- tischen erzählungen, berechnet für den öden salon einer vorkommenden gesellschaft, nur hie und da ein par locale züge.47) so gerät man in regionen, die von aller historie ganz fern liegen, wenn man einen zweig der geschichtlichen überlieferung durch die jahrhunderte litterarisch ver- folgt. um so weniger wollen wir hier auf die metamorphosen einen blick werfen, die die hellenistische novelle ausserhalb von Hellas erlebt hat. zu Aristoteles zeiten waren die Milesiaka noch durchaus historie, logo- graphia, so gut wie das werk des Herodotos, vermutlich annalen, so gut wie die Atthis. ErgebnisGelehrt hat dieser überblick der tradition vielleicht nur die etwas, 46) Nachdem dieses geschrieben war, ist in den resten von Assuriaka, oder Babuloniaka, wie immer der titel hiess, die Wilcken veröffentlicht hat (Hermes 28), ein erwünschter beleg hinzugetreten. da sind die träger der erotischen fabel, die den späteren recht ähnlich ist, noch Ninos, Semiramis und ihre umgebung. der roman steht innerlich wie zeitlich zwischen der älteren historie und den sophistischen erotikai diegeseis. ich wüsste ihm nichts besser zu vergleichen als die reste der ersten bücher des Nikolaos, die ihm auch zeitlich am nächsten stehn dürften. 47) Chariton fingirt die zeit des peloponnesischen krieges, der lateinische roman
von Apollonius führt sogar die personen der diadochen ein: den spätlingen waren jene zeiten so ferne vorzeit wie Ninos und Kroisos der zeit des Nikolaos. das local ist meistens die hellenische ostküste des Mittelmeeres. I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. mit einer erotik, die für einen derberen gaumen berechnet war als dieromantische elegie, und keinesweges deren tochter. sie stammt vielmehr genau so direct und so rein von der alten novellistischen geschichte ab wie die Ephesier, die sich dem Mithradates ergaben, von dem volke, das unter den Basiliden gestanden hatte. ob sie schon durch Aristeides den entscheidenden schritt getan hat, die mythischen namen ganz abzustreifen, verstattet unsere kümmerliche überlieferung nicht zu erkennen: bald ist es jedenfalls geschehen, sonst würde Petrons matrone von Ephesos den namen einer fürstin des siebenten oder sechsten jahrhunderts tragen.46) aber die herkunft der griechischen romane aus der alten erzählungs- litteratur ist deutlich genug. wo die alten träger geblieben sind, wie Pythagoras Aesop die Sieben weisen, liegt es auf der hand. bei den erotischen erzählungen verkennt man es leicht. die sophistik der kaiser- zeit hatte sich eingebildet, eine neue veredelnde form gefunden zu haben, und wie sie die motive der komoedie zu mehr oder minder albernen briefen von hetären parasiten bauern und fischern verbrauchte, wobei die locale attische farbe gar oft verloren geht, so bewahren ihre ero- tischen erzählungen, berechnet für den öden salon einer vorkommenden gesellschaft, nur hie und da ein par locale züge.47) so gerät man in regionen, die von aller historie ganz fern liegen, wenn man einen zweig der geschichtlichen überlieferung durch die jahrhunderte litterarisch ver- folgt. um so weniger wollen wir hier auf die metamorphosen einen blick werfen, die die hellenistische novelle auſserhalb von Hellas erlebt hat. zu Aristoteles zeiten waren die Μιλησιακά noch durchaus historie, λογο- γϱαφία, so gut wie das werk des Herodotos, vermutlich annalen, so gut wie die Atthis. ErgebnisGelehrt hat dieser überblick der tradition vielleicht nur die etwas, 46) Nachdem dieses geschrieben war, ist in den resten von Ἀσσυϱιακά, oder Βαβυλωνιακά, wie immer der titel hieſs, die Wilcken veröffentlicht hat (Hermes 28), ein erwünschter beleg hinzugetreten. da sind die träger der erotischen fabel, die den späteren recht ähnlich ist, noch Ninos, Semiramis und ihre umgebung. der roman steht innerlich wie zeitlich zwischen der älteren historie und den sophistischen ἐϱωτικαὶ διηγήσεις. ich wüſste ihm nichts besser zu vergleichen als die reste der ersten bücher des Nikolaos, die ihm auch zeitlich am nächsten stehn dürften. 47) Chariton fingirt die zeit des peloponnesischen krieges, der lateinische roman
von Apollonius führt sogar die personen der diadochen ein: den spätlingen waren jene zeiten so ferne vorzeit wie Ninos und Kroisos der zeit des Nikolaos. das local ist meistens die hellenische ostküste des Mittelmeeres. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0042" n="32"/><fw place="top" type="header">I. 1. Die quellen der griechischen geschichte.</fw><lb/> mit einer erotik, die für einen derberen gaumen berechnet war als die<lb/> romantische elegie, und keinesweges deren tochter. sie stammt vielmehr<lb/> genau so direct und so rein von der alten novellistischen geschichte ab<lb/> wie die Ephesier, die sich dem Mithradates ergaben, von dem volke, das<lb/> unter den Basiliden gestanden hatte. ob sie schon durch Aristeides den<lb/> entscheidenden schritt getan hat, die mythischen namen ganz abzustreifen,<lb/> verstattet unsere kümmerliche überlieferung nicht zu erkennen: bald ist<lb/> es jedenfalls geschehen, sonst würde Petrons matrone von Ephesos den<lb/> namen einer fürstin des siebenten oder sechsten jahrhunderts tragen.<note place="foot" n="46)">Nachdem dieses geschrieben war, ist in den resten von Ἀσσυϱιακά, oder<lb/> Βαβυλωνιακά, wie immer der titel hieſs, die Wilcken veröffentlicht hat (Hermes 28),<lb/> ein erwünschter beleg hinzugetreten. da sind die träger der erotischen fabel, die den<lb/> späteren recht ähnlich ist, noch Ninos, Semiramis und ihre umgebung. der roman<lb/> steht innerlich wie zeitlich zwischen der älteren historie und den sophistischen<lb/> ἐϱωτικαὶ διηγήσεις. ich wüſste ihm nichts besser zu vergleichen als die reste der<lb/> ersten bücher des Nikolaos, die ihm auch zeitlich am nächsten stehn dürften.</note><lb/> aber die herkunft der griechischen romane aus der alten erzählungs-<lb/> litteratur ist deutlich genug. wo die alten träger geblieben sind, wie<lb/> Pythagoras Aesop die Sieben weisen, liegt es auf der hand. bei den<lb/> erotischen erzählungen verkennt man es leicht. die sophistik der kaiser-<lb/> zeit hatte sich eingebildet, eine neue veredelnde form gefunden zu haben,<lb/> und wie sie die motive der komoedie zu mehr oder minder albernen<lb/> briefen von hetären parasiten bauern und fischern verbrauchte, wobei<lb/> die locale attische farbe gar oft verloren geht, so bewahren ihre ero-<lb/> tischen erzählungen, berechnet für den öden salon einer vorkommenden<lb/> gesellschaft, nur hie und da ein par locale züge.<note place="foot" n="47)">Chariton fingirt die zeit des peloponnesischen krieges, der lateinische roman<lb/> von Apollonius führt sogar die personen der diadochen ein: den spätlingen waren<lb/> jene zeiten so ferne vorzeit wie Ninos und Kroisos der zeit des Nikolaos. das local<lb/> ist meistens die hellenische ostküste des Mittelmeeres.</note> so gerät man in<lb/> regionen, die von aller historie ganz fern liegen, wenn man einen zweig<lb/> der geschichtlichen überlieferung durch die jahrhunderte litterarisch ver-<lb/> folgt. um so weniger wollen wir hier auf die metamorphosen einen<lb/> blick werfen, die die hellenistische novelle auſserhalb von Hellas erlebt hat.<lb/> zu Aristoteles zeiten waren die Μιλησιακά noch durchaus historie, λογο-<lb/> γϱαφία, so gut wie das werk des Herodotos, vermutlich annalen, so gut<lb/> wie die Atthis.</p><lb/> <p><note place="left">Ergebnis</note>Gelehrt hat dieser überblick der tradition vielleicht nur die etwas,<lb/> welche in der lage waren, sich bei der einzelnen stadt oder land-<lb/> schaft die hauptsachen von der über sie erhaltenen überlieferung ins<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0042]
I. 1. Die quellen der griechischen geschichte.
mit einer erotik, die für einen derberen gaumen berechnet war als die
romantische elegie, und keinesweges deren tochter. sie stammt vielmehr
genau so direct und so rein von der alten novellistischen geschichte ab
wie die Ephesier, die sich dem Mithradates ergaben, von dem volke, das
unter den Basiliden gestanden hatte. ob sie schon durch Aristeides den
entscheidenden schritt getan hat, die mythischen namen ganz abzustreifen,
verstattet unsere kümmerliche überlieferung nicht zu erkennen: bald ist
es jedenfalls geschehen, sonst würde Petrons matrone von Ephesos den
namen einer fürstin des siebenten oder sechsten jahrhunderts tragen. 46)
aber die herkunft der griechischen romane aus der alten erzählungs-
litteratur ist deutlich genug. wo die alten träger geblieben sind, wie
Pythagoras Aesop die Sieben weisen, liegt es auf der hand. bei den
erotischen erzählungen verkennt man es leicht. die sophistik der kaiser-
zeit hatte sich eingebildet, eine neue veredelnde form gefunden zu haben,
und wie sie die motive der komoedie zu mehr oder minder albernen
briefen von hetären parasiten bauern und fischern verbrauchte, wobei
die locale attische farbe gar oft verloren geht, so bewahren ihre ero-
tischen erzählungen, berechnet für den öden salon einer vorkommenden
gesellschaft, nur hie und da ein par locale züge. 47) so gerät man in
regionen, die von aller historie ganz fern liegen, wenn man einen zweig
der geschichtlichen überlieferung durch die jahrhunderte litterarisch ver-
folgt. um so weniger wollen wir hier auf die metamorphosen einen
blick werfen, die die hellenistische novelle auſserhalb von Hellas erlebt hat.
zu Aristoteles zeiten waren die Μιλησιακά noch durchaus historie, λογο-
γϱαφία, so gut wie das werk des Herodotos, vermutlich annalen, so gut
wie die Atthis.
Gelehrt hat dieser überblick der tradition vielleicht nur die etwas,
welche in der lage waren, sich bei der einzelnen stadt oder land-
schaft die hauptsachen von der über sie erhaltenen überlieferung ins
Ergebnis
46) Nachdem dieses geschrieben war, ist in den resten von Ἀσσυϱιακά, oder
Βαβυλωνιακά, wie immer der titel hieſs, die Wilcken veröffentlicht hat (Hermes 28),
ein erwünschter beleg hinzugetreten. da sind die träger der erotischen fabel, die den
späteren recht ähnlich ist, noch Ninos, Semiramis und ihre umgebung. der roman
steht innerlich wie zeitlich zwischen der älteren historie und den sophistischen
ἐϱωτικαὶ διηγήσεις. ich wüſste ihm nichts besser zu vergleichen als die reste der
ersten bücher des Nikolaos, die ihm auch zeitlich am nächsten stehn dürften.
47) Chariton fingirt die zeit des peloponnesischen krieges, der lateinische roman
von Apollonius führt sogar die personen der diadochen ein: den spätlingen waren
jene zeiten so ferne vorzeit wie Ninos und Kroisos der zeit des Nikolaos. das local
ist meistens die hellenische ostküste des Mittelmeeres.
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