Aus der litteratur wird man diese worte, die für ein prooemium zu halten kindisch wäre, da es eine vollkommene rede ist, nicht leicht verstehn. aber die inschriften des dritten jahrhunderts belegen den ge- brauch und die formeln, z. b. CIA II 305. 307. 315. 323. Eph. arkh. 87, 172, Dittenberger Syll. 382. auch Zeus Soter, Apollon, dieser wegen des Keltensieges, Athena Nike (Delt. 89, 58) wegen späterer siege über Kelten oder Illyrier, wenn der geehrte der archon Herakleitos von 214/13 ist, kommen vor. wer die steine kennt, wird über die zeit nicht im zweifel sein, wann dies formular für eine ansprache an das volk oder, mit geringer modification, vor dem rate aufgesetzt ist. es ist viel interessanter, weil es nicht von Demosthenes ist. überhaupt (wie ich es schon vor jahren formulirt habe) ist die athetese der pseud- epigrapha immer nur die hälfte von dem, was die wissenschaft zu leisten fordert: die schriften fallen doch damit nicht ins bodenlose, dass sie den verfassernamen einbüssen. und die auf Demosthenes namen verfertigten stücke, epitaphios, erotikos, vorreden, ein teil der briefe, die erste rede gegen Aristogeiton, Demonikos und ein teil der isokrateischen briefe, die leichenrede des Lysias, ein teil der pseudo- platonischen und pseudaristotelischen schriften sind documente für eine zeit der attischen litteratur, die uns sonst nur philosophen und die späte komödie in bruchstücken und nachbildungen repraesentiren: in wahr- heit haben wir für ihre bestrebungen, gerade die stilistischen, belege genug; man muss sie nur an ihrem orte benutzen. erst in der über- treibung (der rede gegen Aristogeiton) hat Demosthenes vielen die dei- notes verkörpert; erst in der unkünstlerischen anähnlichung an die gno- mische poesie und das philosophische apophthegma hat die paraenese des Isokrates auf die masse gewirkt; nicht der ächte Platon, sondern der erste Alkibiades war für den gaumen des Persius, und nicht die Politik, sondern die grobe predigt des Kleitophon poi pheresthe, o anthropoi ist populär in der kaiserzeit. erst so wie es in der diadochenzeit legirt wird, hat das gold der attischen cultur durch die jahrhunderte cursirt.
III. 14. Demosthenes prooemium 55.
Aus der litteratur wird man diese worte, die für ein prooemium zu halten kindisch wäre, da es eine vollkommene rede ist, nicht leicht verstehn. aber die inschriften des dritten jahrhunderts belegen den ge- brauch und die formeln, z. b. CIA II 305. 307. 315. 323. Ἐφ. ἀϱχ. 87, 172, Dittenberger Syll. 382. auch Zeus Soter, Apollon, dieser wegen des Keltensieges, Athena Nike (Δελτ. 89, 58) wegen späterer siege über Kelten oder Illyrier, wenn der geehrte der archon Herakleitos von 214/13 ist, kommen vor. wer die steine kennt, wird über die zeit nicht im zweifel sein, wann dies formular für eine ansprache an das volk oder, mit geringer modification, vor dem rate aufgesetzt ist. es ist viel interessanter, weil es nicht von Demosthenes ist. überhaupt (wie ich es schon vor jahren formulirt habe) ist die athetese der pseud- epigrapha immer nur die hälfte von dem, was die wissenschaft zu leisten fordert: die schriften fallen doch damit nicht ins bodenlose, daſs sie den verfassernamen einbüſsen. und die auf Demosthenes namen verfertigten stücke, epitaphios, erotikos, vorreden, ein teil der briefe, die erste rede gegen Aristogeiton, Demonikos und ein teil der isokrateischen briefe, die leichenrede des Lysias, ein teil der pseudo- platonischen und pseudaristotelischen schriften sind documente für eine zeit der attischen litteratur, die uns sonst nur philosophen und die späte komödie in bruchstücken und nachbildungen repraesentiren: in wahr- heit haben wir für ihre bestrebungen, gerade die stilistischen, belege genug; man muſs sie nur an ihrem orte benutzen. erst in der über- treibung (der rede gegen Aristogeiton) hat Demosthenes vielen die δει- νότης verkörpert; erst in der unkünstlerischen anähnlichung an die gno- mische poesie und das philosophische apophthegma hat die paraenese des Isokrates auf die masse gewirkt; nicht der ächte Platon, sondern der erste Alkibiades war für den gaumen des Persius, und nicht die Politik, sondern die grobe predigt des Kleitophon ποῖ φέϱεσϑε, ὦ ἄνϑϱωποι ist populär in der kaiserzeit. erst so wie es in der diadochenzeit legirt wird, hat das gold der attischen cultur durch die jahrhunderte cursirt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0412"n="402"/><fwplace="top"type="header">III. 14. Demosthenes prooemium 55.</fw><lb/><p>Aus der litteratur wird man diese worte, die für ein prooemium<lb/>
zu halten kindisch wäre, da es eine vollkommene rede ist, nicht leicht<lb/>
verstehn. aber die inschriften des dritten jahrhunderts belegen den ge-<lb/>
brauch und die formeln, z. b. CIA II 305. 307. 315. 323. Ἐφ. ἀϱχ.<lb/>
87, 172, Dittenberger Syll. 382. auch Zeus Soter, Apollon, dieser wegen<lb/>
des Keltensieges, Athena Nike (Δελτ. 89, 58) wegen späterer siege über<lb/>
Kelten oder Illyrier, wenn der geehrte der archon Herakleitos von<lb/>
214/13 ist, kommen vor. wer die steine kennt, wird über die zeit<lb/>
nicht im zweifel sein, wann dies formular für eine ansprache an das<lb/>
volk oder, mit geringer modification, vor dem rate aufgesetzt ist. es ist<lb/>
viel interessanter, weil es nicht von Demosthenes ist. überhaupt (wie<lb/>
ich es schon vor jahren formulirt habe) ist die athetese der pseud-<lb/>
epigrapha immer nur die hälfte von dem, was die wissenschaft zu<lb/>
leisten fordert: die schriften fallen doch damit nicht ins bodenlose,<lb/>
daſs sie den verfassernamen einbüſsen. und die auf Demosthenes<lb/>
namen verfertigten stücke, epitaphios, erotikos, vorreden, ein teil der<lb/>
briefe, die erste rede gegen Aristogeiton, Demonikos und ein teil der<lb/>
isokrateischen briefe, die leichenrede des Lysias, ein teil der pseudo-<lb/>
platonischen und pseudaristotelischen schriften sind documente für eine<lb/>
zeit der attischen litteratur, die uns sonst nur philosophen und die<lb/>
späte komödie in bruchstücken und nachbildungen repraesentiren: in wahr-<lb/>
heit haben wir für ihre bestrebungen, gerade die stilistischen, belege<lb/>
genug; man muſs sie nur an ihrem orte benutzen. erst in der über-<lb/>
treibung (der rede gegen Aristogeiton) hat Demosthenes vielen die δει-<lb/>νότης verkörpert; erst in der unkünstlerischen anähnlichung an die gno-<lb/>
mische poesie und das philosophische apophthegma hat die paraenese des<lb/>
Isokrates auf die masse gewirkt; nicht der ächte Platon, sondern der<lb/>
erste Alkibiades war für den gaumen des Persius, und nicht die Politik,<lb/>
sondern die grobe predigt des Kleitophon ποῖφέϱεσϑε, ὦἄνϑϱωποι<lb/>
ist populär in der kaiserzeit. erst so wie es in der diadochenzeit legirt<lb/>
wird, hat das gold der attischen cultur durch die jahrhunderte cursirt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[402/0412]
III. 14. Demosthenes prooemium 55.
Aus der litteratur wird man diese worte, die für ein prooemium
zu halten kindisch wäre, da es eine vollkommene rede ist, nicht leicht
verstehn. aber die inschriften des dritten jahrhunderts belegen den ge-
brauch und die formeln, z. b. CIA II 305. 307. 315. 323. Ἐφ. ἀϱχ.
87, 172, Dittenberger Syll. 382. auch Zeus Soter, Apollon, dieser wegen
des Keltensieges, Athena Nike (Δελτ. 89, 58) wegen späterer siege über
Kelten oder Illyrier, wenn der geehrte der archon Herakleitos von
214/13 ist, kommen vor. wer die steine kennt, wird über die zeit
nicht im zweifel sein, wann dies formular für eine ansprache an das
volk oder, mit geringer modification, vor dem rate aufgesetzt ist. es ist
viel interessanter, weil es nicht von Demosthenes ist. überhaupt (wie
ich es schon vor jahren formulirt habe) ist die athetese der pseud-
epigrapha immer nur die hälfte von dem, was die wissenschaft zu
leisten fordert: die schriften fallen doch damit nicht ins bodenlose,
daſs sie den verfassernamen einbüſsen. und die auf Demosthenes
namen verfertigten stücke, epitaphios, erotikos, vorreden, ein teil der
briefe, die erste rede gegen Aristogeiton, Demonikos und ein teil der
isokrateischen briefe, die leichenrede des Lysias, ein teil der pseudo-
platonischen und pseudaristotelischen schriften sind documente für eine
zeit der attischen litteratur, die uns sonst nur philosophen und die
späte komödie in bruchstücken und nachbildungen repraesentiren: in wahr-
heit haben wir für ihre bestrebungen, gerade die stilistischen, belege
genug; man muſs sie nur an ihrem orte benutzen. erst in der über-
treibung (der rede gegen Aristogeiton) hat Demosthenes vielen die δει-
νότης verkörpert; erst in der unkünstlerischen anähnlichung an die gno-
mische poesie und das philosophische apophthegma hat die paraenese des
Isokrates auf die masse gewirkt; nicht der ächte Platon, sondern der
erste Alkibiades war für den gaumen des Persius, und nicht die Politik,
sondern die grobe predigt des Kleitophon ποῖ φέϱεσϑε, ὦ ἄνϑϱωποι
ist populär in der kaiserzeit. erst so wie es in der diadochenzeit legirt
wird, hat das gold der attischen cultur durch die jahrhunderte cursirt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/412>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.