Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.III. 9. Die rede für Polystratos. bloss der verklagte, sondern auch seine erben notwendig der bürger-lichen ehrenrechte verlustig gehen mussten, wenn die verurteilung ein- trat (§ 32). aus diesem processe besitzen wir einen teil der verteidi- gungsreden. es liegt in dieser wiederaufnahme der anklage eine schwie- rigkeit, auf deren beseitigung viel scharfsinn verwandt ist. ich kann die modernen gedanken nicht für glücklich halten10); dagegen entspricht die überlieferte bezeichnung demou kataluseos apologia11) durchaus der wahrscheinlichkeit. die ganze rolle, die Polystratos in der oligarchie ge- spielt hatte, gab zu einer eisangelie unter mehr als einer begründung raum: ean tis ton demon ton Athenaion katalue e sunie poi epi katalusei tou demou e etairikon sunagage, e ean tis polin tina prodo e naus kte heisst es in dem späteren nomos eisaggeltikos, und nur das ist ungewiss, welche form die entsprechenden gesetzlichen bestimmungen und der processgang im fünften jahrhundert hatten; schätzbar können diese vergehen sehr wol gewesen sein, da es die euthunai waren. dass in zeiten der reaction der politische hass und die gemeine syko- phantenberechnung trotz allen gesetzlichen cautelen, ja trotz den feier- lichsten amnestieschwüren mittel und wege gesunden hat, lediglich recri- minatorische anklagen zu erheben, dafür liefert Lysias nur zu viel un- erfreuliche belege. und dass mitglieder der 400 lediglich auf diesen namen hin bürgerlich tot gemacht worden sind, lehrt der beschluss des Pythokleides von 404. bei Polystratos ward die sache vollends durch seine doppelstellung als ratsherr und phrurarch erleichtert. in 10) Dass der zweite process von den logisten instruirt ist, folgt mit nichten aus § 10 oi men ton bion apanta poneroi ontes khrestoi en to logisterio gege- nentai, oi de aei umin khrestoi esan, outoi poneroi. denn wenn man auch die bezeichnung des locales mit in den zweiten satz hineinbeziehen wird, so geht es eben nur auf den ersten process. übrigens würde die sache, gesetzt es wäre eine euthuna, doch vor den thesmoteten verhandelt sein (Ar. 48, 5). der versuch von Pohl, neben den euthunai auch eine graphe euthunon anzunehmen, ist rechtlich nur mit der modification Hildebrandts (Comment. philol. Monac. 179) denkbar, dass es sich um eine private euthuna (Ar. 48, 4) gehandelt hätte. aber dort steht auch, dass diese binnen drei tagen einzubringen war. das geht zn schnell für unsern process, bei dem die drei söhne aus dem felde zurück sind. durchschlagend ist, dass in der ganzen rede von einem rechenschaftsprocess nicht die rede ist, im gegenteil § 22 outos umin diken dedoken ouden umas adikon euthus meta ta pragmata steht, worin beiläufig bemerkt eine hübsche anspielung ist, wenn die verurteilung adikiou erfolgt war. 11) Harpokrat. Polustratos. dass in X die überschriften gänzlich wertlos
sind, weil von einem unwissenden menschen aus den reden selbst abstrahirt, kann die von guten grammatikern des altertums gelieferten nicht discreditiren. III. 9. Die rede für Polystratos. bloſs der verklagte, sondern auch seine erben notwendig der bürger-lichen ehrenrechte verlustig gehen muſsten, wenn die verurteilung ein- trat (§ 32). aus diesem processe besitzen wir einen teil der verteidi- gungsreden. es liegt in dieser wiederaufnahme der anklage eine schwie- rigkeit, auf deren beseitigung viel scharfsinn verwandt ist. ich kann die modernen gedanken nicht für glücklich halten10); dagegen entspricht die überlieferte bezeichnung δήμου καταλύσεως ἀπολογία11) durchaus der wahrscheinlichkeit. die ganze rolle, die Polystratos in der oligarchie ge- spielt hatte, gab zu einer eisangelie unter mehr als einer begründung raum: ἐάν τις τὸν δῆμον τὸν Ἀϑηναίων καταλύῃ ἢ συνίῃ ποι ἐπὶ καταλύσει τοῦ δήμου ἢ ἑταιϱικὸν συναγάγη, ἢ ἐάν τις πόλιν τινὰ πϱοδῷ ἢ ναῦς κτἑ heiſst es in dem späteren νόμος εἰσαγγελτικός, und nur das ist ungewiſs, welche form die entsprechenden gesetzlichen bestimmungen und der processgang im fünften jahrhundert hatten; schätzbar können diese vergehen sehr wol gewesen sein, da es die εὔϑυναι waren. daſs in zeiten der reaction der politische haſs und die gemeine syko- phantenberechnung trotz allen gesetzlichen cautelen, ja trotz den feier- lichsten amnestieschwüren mittel und wege gesunden hat, lediglich recri- minatorische anklagen zu erheben, dafür liefert Lysias nur zu viel un- erfreuliche belege. und daſs mitglieder der 400 lediglich auf diesen namen hin bürgerlich tot gemacht worden sind, lehrt der beschluſs des Pythokleides von 404. bei Polystratos ward die sache vollends durch seine doppelstellung als ratsherr und phrurarch erleichtert. in 10) Daſs der zweite proceſs von den logisten instruirt ist, folgt mit nichten aus § 10 οἱ μὲν τὸν βίον ἅπαντα πονηϱοὶ ὄντες χϱηστοὶ ἐν τῷ λογιστηϱίῳ γεγέ- νηνται, οἳ δὲ ἀεὶ ὑμῖν χϱηστοὶ ἦσαν, οὗτοι πονηϱοί. denn wenn man auch die bezeichnung des locales mit in den zweiten satz hineinbeziehen wird, so geht es eben nur auf den ersten proceſs. übrigens würde die sache, gesetzt es wäre eine εὔϑυνα, doch vor den thesmoteten verhandelt sein (Ar. 48, 5). der versuch von Pohl, neben den εὔϑυναι auch eine γϱαφὴ εὐϑυνῶν anzunehmen, ist rechtlich nur mit der modification Hildebrandts (Comment. philol. Monac. 179) denkbar, daſs es sich um eine private εὔϑυνα (Ar. 48, 4) gehandelt hätte. aber dort steht auch, daſs diese binnen drei tagen einzubringen war. das geht zn schnell für unsern proceſs, bei dem die drei söhne aus dem felde zurück sind. durchschlagend ist, daſs in der ganzen rede von einem rechenschaftsproceſs nicht die rede ist, im gegenteil § 22 οὗτος ὑμῖν δίκην δέδωκεν οὐδὲν ὑμᾶς ἀδικῶν εὐϑὺς μετὰ τὰ πϱάγματα steht, worin beiläufig bemerkt eine hübsche anspielung ist, wenn die verurteilung ἀδικίου erfolgt war. 11) Harpokrat. Πολύστϱατος. daſs in X die überschriften gänzlich wertlos
sind, weil von einem unwissenden menschen aus den reden selbst abstrahirt, kann die von guten grammatikern des altertums gelieferten nicht discreditiren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0370" n="360"/><fw place="top" type="header">III. 9. Die rede für Polystratos.</fw><lb/> bloſs der verklagte, sondern auch seine erben notwendig der bürger-<lb/> lichen ehrenrechte verlustig gehen muſsten, wenn die verurteilung ein-<lb/> trat (§ 32). aus diesem processe besitzen wir einen teil der verteidi-<lb/> gungsreden. es liegt in dieser wiederaufnahme der anklage eine schwie-<lb/> rigkeit, auf deren beseitigung viel scharfsinn verwandt ist. ich kann die<lb/> modernen gedanken nicht für glücklich halten<note place="foot" n="10)">Daſs der zweite proceſs von den logisten instruirt ist, folgt mit nichten<lb/> aus § 10 οἱ μὲν τὸν βίον ἅπαντα πονηϱοὶ ὄντες χϱηστοὶ ἐν τῷ λογιστηϱίῳ γεγέ-<lb/> νηνται, οἳ δὲ ἀεὶ ὑμῖν χϱηστοὶ ἦσαν, οὗτοι πονηϱοί. denn wenn man auch die<lb/> bezeichnung des locales mit in den zweiten satz hineinbeziehen wird, so geht es<lb/> eben nur auf den ersten proceſs. übrigens würde die sache, gesetzt es wäre eine<lb/> εὔϑυνα, doch vor den thesmoteten verhandelt sein (Ar. 48, 5). der versuch von Pohl,<lb/> neben den εὔϑυναι auch eine γϱαφὴ εὐϑυνῶν anzunehmen, ist rechtlich nur mit<lb/> der modification Hildebrandts (<hi rendition="#i">Comment. philol. Monac.</hi> 179) denkbar, daſs es sich<lb/> um eine private εὔϑυνα (Ar. 48, 4) gehandelt hätte. aber dort steht auch, daſs<lb/> diese binnen drei tagen einzubringen war. das geht zn schnell für unsern proceſs,<lb/> bei dem die drei söhne aus dem felde zurück sind. durchschlagend ist, daſs in der<lb/> ganzen rede von einem rechenschaftsproceſs nicht die rede ist, im gegenteil § 22<lb/> οὗτος ὑμῖν δίκην δέδωκεν οὐδὲν ὑμᾶς ἀδικῶν εὐϑὺς μετὰ τὰ πϱάγματα steht,<lb/> worin beiläufig bemerkt eine hübsche anspielung ist, wenn die verurteilung ἀδικίου<lb/> erfolgt war.</note>; dagegen entspricht die<lb/> überlieferte bezeichnung δήμου καταλύσεως ἀπολογία<note place="foot" n="11)">Harpokrat. Πολύστϱατος. daſs in X die überschriften gänzlich wertlos<lb/> sind, weil von einem unwissenden menschen aus den reden selbst abstrahirt, kann<lb/> die von guten grammatikern des altertums gelieferten nicht discreditiren.</note> durchaus der<lb/> wahrscheinlichkeit. die ganze rolle, die Polystratos in der oligarchie ge-<lb/> spielt hatte, gab zu einer eisangelie unter mehr als einer begründung raum:<lb/> ἐάν τις τὸν δῆμον τὸν Ἀϑηναίων καταλύῃ ἢ συνίῃ ποι ἐπὶ καταλύσει<lb/> τοῦ δήμου ἢ ἑταιϱικὸν συναγάγη, ἢ ἐάν τις πόλιν τινὰ πϱοδῷ ἢ<lb/> ναῦς κτἑ heiſst es in dem späteren νόμος εἰσαγγελτικός, und nur das<lb/> ist ungewiſs, welche form die entsprechenden gesetzlichen bestimmungen<lb/> und der processgang im fünften jahrhundert hatten; schätzbar können<lb/> diese vergehen sehr wol gewesen sein, da es die εὔϑυναι waren.<lb/> daſs in zeiten der reaction der politische haſs und die gemeine syko-<lb/> phantenberechnung trotz allen gesetzlichen cautelen, ja trotz den feier-<lb/> lichsten amnestieschwüren mittel und wege gesunden hat, lediglich recri-<lb/> minatorische anklagen zu erheben, dafür liefert Lysias nur zu viel un-<lb/> erfreuliche belege. und daſs mitglieder der 400 lediglich auf diesen<lb/> namen hin bürgerlich tot gemacht worden sind, lehrt der beschluſs<lb/> des Pythokleides von 404. bei Polystratos ward die sache vollends<lb/> durch seine doppelstellung als ratsherr und phrurarch erleichtert. in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [360/0370]
III. 9. Die rede für Polystratos.
bloſs der verklagte, sondern auch seine erben notwendig der bürger-
lichen ehrenrechte verlustig gehen muſsten, wenn die verurteilung ein-
trat (§ 32). aus diesem processe besitzen wir einen teil der verteidi-
gungsreden. es liegt in dieser wiederaufnahme der anklage eine schwie-
rigkeit, auf deren beseitigung viel scharfsinn verwandt ist. ich kann die
modernen gedanken nicht für glücklich halten 10); dagegen entspricht die
überlieferte bezeichnung δήμου καταλύσεως ἀπολογία 11) durchaus der
wahrscheinlichkeit. die ganze rolle, die Polystratos in der oligarchie ge-
spielt hatte, gab zu einer eisangelie unter mehr als einer begründung raum:
ἐάν τις τὸν δῆμον τὸν Ἀϑηναίων καταλύῃ ἢ συνίῃ ποι ἐπὶ καταλύσει
τοῦ δήμου ἢ ἑταιϱικὸν συναγάγη, ἢ ἐάν τις πόλιν τινὰ πϱοδῷ ἢ
ναῦς κτἑ heiſst es in dem späteren νόμος εἰσαγγελτικός, und nur das
ist ungewiſs, welche form die entsprechenden gesetzlichen bestimmungen
und der processgang im fünften jahrhundert hatten; schätzbar können
diese vergehen sehr wol gewesen sein, da es die εὔϑυναι waren.
daſs in zeiten der reaction der politische haſs und die gemeine syko-
phantenberechnung trotz allen gesetzlichen cautelen, ja trotz den feier-
lichsten amnestieschwüren mittel und wege gesunden hat, lediglich recri-
minatorische anklagen zu erheben, dafür liefert Lysias nur zu viel un-
erfreuliche belege. und daſs mitglieder der 400 lediglich auf diesen
namen hin bürgerlich tot gemacht worden sind, lehrt der beschluſs
des Pythokleides von 404. bei Polystratos ward die sache vollends
durch seine doppelstellung als ratsherr und phrurarch erleichtert. in
10) Daſs der zweite proceſs von den logisten instruirt ist, folgt mit nichten
aus § 10 οἱ μὲν τὸν βίον ἅπαντα πονηϱοὶ ὄντες χϱηστοὶ ἐν τῷ λογιστηϱίῳ γεγέ-
νηνται, οἳ δὲ ἀεὶ ὑμῖν χϱηστοὶ ἦσαν, οὗτοι πονηϱοί. denn wenn man auch die
bezeichnung des locales mit in den zweiten satz hineinbeziehen wird, so geht es
eben nur auf den ersten proceſs. übrigens würde die sache, gesetzt es wäre eine
εὔϑυνα, doch vor den thesmoteten verhandelt sein (Ar. 48, 5). der versuch von Pohl,
neben den εὔϑυναι auch eine γϱαφὴ εὐϑυνῶν anzunehmen, ist rechtlich nur mit
der modification Hildebrandts (Comment. philol. Monac. 179) denkbar, daſs es sich
um eine private εὔϑυνα (Ar. 48, 4) gehandelt hätte. aber dort steht auch, daſs
diese binnen drei tagen einzubringen war. das geht zn schnell für unsern proceſs,
bei dem die drei söhne aus dem felde zurück sind. durchschlagend ist, daſs in der
ganzen rede von einem rechenschaftsproceſs nicht die rede ist, im gegenteil § 22
οὗτος ὑμῖν δίκην δέδωκεν οὐδὲν ὑμᾶς ἀδικῶν εὐϑὺς μετὰ τὰ πϱάγματα steht,
worin beiläufig bemerkt eine hübsche anspielung ist, wenn die verurteilung ἀδικίου
erfolgt war.
11) Harpokrat. Πολύστϱατος. daſs in X die überschriften gänzlich wertlos
sind, weil von einem unwissenden menschen aus den reden selbst abstrahirt, kann
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