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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen.
zunächst mit erfolg 411 gemacht worden: wagt Aristophanes in dieser
andeutenden weise auf die revolution einen stein zu werfen? das wäre selt-
sam, denn es war gänzlich ungefährlich und sehr im sinne des herr-
schenden volkes, das mit directem tadel und nicht durch die warnung
für die zukunft zu tun. doch sei's drum, wenn jemand unter dieser vor-
aussetzung die furcht vor der tyrannis deuten kann, die ausser in der
fluchformel noch einmal im gebete an Athena erscheint. die tyrannis
war 415 von den Athenern gefürchtet worden; sie haben sie wol auch
407 gefürchtet, als sie Alkibiades von neuem fallen liessen, aber im hin-
blicke auf die revolution von 411 hat die erwähnung der tyrannis keinen
sinn. verflucht wird ferner wer den feinden die geheimnisse des staates ver-
rät. die feinde stehn in Dekeleia, der verrat war 411 zu erwarten, 410
war er begangen; das verträgt sich mit beiden ansätzen. aber auch die
verhandlung mit den Medern wird verflucht. das war von alters her formel
und hat auch noch nach dem königsfrieden zum hohn auf die politik der
zeit sich behauptet (Isokr. Paneg. 157), aber im psephisma des Demophantos
fehlt es mit gutem grunde. Athen hat den versuch, Persien zu gewinnen,
im herbst und winter 411/10 gemacht; gerade diese hilfe brachte Alkibia-
des. 410 mochte der staat die formel gedankenlos fortführen: der dichter
war frei in dem was er aufnehmen oder weglassen wollte, und er handelte
töricht, wenn er 410 verfluchte was seines volkes stärkste hoffnung war.

Auf medische hilfe hofften im stillen die Athener schon 411 im
frühjahre, gerade deshalb gelang der sturz der angeblich hinderlichen
demokratie. aber darum sind nicht etwa die verse auch 411 unschick-
lich. wir müssen nur die situation so nehmen, wie sie dem dichter im
momente erschien, nicht ex eventu gedeutet. die furchtbare wahrheit,
dass nicht um die herrschaft Siciliens sondern um die eigene existenz
gestritten ward, war den Athenern 412 aufgegangen, als Chios abfiel.
eine äusserste anstrengung ward gemacht; allein die flotte konnte zwar
den weiteren abfall Ioniens verhindern und die feinde in schach halten,
aber keinen entscheidenden schlag führen. und nun war der schatz leer,
die einnahmen seit der besetzung von Dekeleia verkümmert, den feinden
dagegen zahlte der Perser und half das prestige des Alkibiades. da
mochten die meisten sich die gute zeit des Nikiasfriedens herbeisehnen,
und die wolmeinenden, die Sparta und Athen als gleich berechtigte
mächte aussöhnen wollten, haben in beiden völkern nicht gefehlt. dieser
alten tendenz dient mit neuer glücklichster wendung die Lysistrate.
aber im stillen waren andere kräfte tätig. Alkibiades hatte immer noch
einen grossen anhang, weil man ihn bewunderte und fürchtete: er drohte

III. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen.
zunächst mit erfolg 411 gemacht worden: wagt Aristophanes in dieser
andeutenden weise auf die revolution einen stein zu werfen? das wäre selt-
sam, denn es war gänzlich ungefährlich und sehr im sinne des herr-
schenden volkes, das mit directem tadel und nicht durch die warnung
für die zukunft zu tun. doch sei’s drum, wenn jemand unter dieser vor-
aussetzung die furcht vor der tyrannis deuten kann, die auſser in der
fluchformel noch einmal im gebete an Athena erscheint. die tyrannis
war 415 von den Athenern gefürchtet worden; sie haben sie wol auch
407 gefürchtet, als sie Alkibiades von neuem fallen lieſsen, aber im hin-
blicke auf die revolution von 411 hat die erwähnung der tyrannis keinen
sinn. verflucht wird ferner wer den feinden die geheimnisse des staates ver-
rät. die feinde stehn in Dekeleia, der verrat war 411 zu erwarten, 410
war er begangen; das verträgt sich mit beiden ansätzen. aber auch die
verhandlung mit den Medern wird verflucht. das war von alters her formel
und hat auch noch nach dem königsfrieden zum hohn auf die politik der
zeit sich behauptet (Isokr. Paneg. 157), aber im psephisma des Demophantos
fehlt es mit gutem grunde. Athen hat den versuch, Persien zu gewinnen,
im herbst und winter 411/10 gemacht; gerade diese hilfe brachte Alkibia-
des. 410 mochte der staat die formel gedankenlos fortführen: der dichter
war frei in dem was er aufnehmen oder weglassen wollte, und er handelte
töricht, wenn er 410 verfluchte was seines volkes stärkste hoffnung war.

Auf medische hilfe hofften im stillen die Athener schon 411 im
frühjahre, gerade deshalb gelang der sturz der angeblich hinderlichen
demokratie. aber darum sind nicht etwa die verse auch 411 unschick-
lich. wir müssen nur die situation so nehmen, wie sie dem dichter im
momente erschien, nicht ex eventu gedeutet. die furchtbare wahrheit,
daſs nicht um die herrschaft Siciliens sondern um die eigene existenz
gestritten ward, war den Athenern 412 aufgegangen, als Chios abfiel.
eine äuſserste anstrengung ward gemacht; allein die flotte konnte zwar
den weiteren abfall Ioniens verhindern und die feinde in schach halten,
aber keinen entscheidenden schlag führen. und nun war der schatz leer,
die einnahmen seit der besetzung von Dekeleia verkümmert, den feinden
dagegen zahlte der Perser und half das prestige des Alkibiades. da
mochten die meisten sich die gute zeit des Nikiasfriedens herbeisehnen,
und die wolmeinenden, die Sparta und Athen als gleich berechtigte
mächte aussöhnen wollten, haben in beiden völkern nicht gefehlt. dieser
alten tendenz dient mit neuer glücklichster wendung die Lysistrate.
aber im stillen waren andere kräfte tätig. Alkibiades hatte immer noch
einen groſsen anhang, weil man ihn bewunderte und fürchtete: er drohte

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[350/0360] III. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen. zunächst mit erfolg 411 gemacht worden: wagt Aristophanes in dieser andeutenden weise auf die revolution einen stein zu werfen? das wäre selt- sam, denn es war gänzlich ungefährlich und sehr im sinne des herr- schenden volkes, das mit directem tadel und nicht durch die warnung für die zukunft zu tun. doch sei’s drum, wenn jemand unter dieser vor- aussetzung die furcht vor der tyrannis deuten kann, die auſser in der fluchformel noch einmal im gebete an Athena erscheint. die tyrannis war 415 von den Athenern gefürchtet worden; sie haben sie wol auch 407 gefürchtet, als sie Alkibiades von neuem fallen lieſsen, aber im hin- blicke auf die revolution von 411 hat die erwähnung der tyrannis keinen sinn. verflucht wird ferner wer den feinden die geheimnisse des staates ver- rät. die feinde stehn in Dekeleia, der verrat war 411 zu erwarten, 410 war er begangen; das verträgt sich mit beiden ansätzen. aber auch die verhandlung mit den Medern wird verflucht. das war von alters her formel und hat auch noch nach dem königsfrieden zum hohn auf die politik der zeit sich behauptet (Isokr. Paneg. 157), aber im psephisma des Demophantos fehlt es mit gutem grunde. Athen hat den versuch, Persien zu gewinnen, im herbst und winter 411/10 gemacht; gerade diese hilfe brachte Alkibia- des. 410 mochte der staat die formel gedankenlos fortführen: der dichter war frei in dem was er aufnehmen oder weglassen wollte, und er handelte töricht, wenn er 410 verfluchte was seines volkes stärkste hoffnung war. Auf medische hilfe hofften im stillen die Athener schon 411 im frühjahre, gerade deshalb gelang der sturz der angeblich hinderlichen demokratie. aber darum sind nicht etwa die verse auch 411 unschick- lich. wir müssen nur die situation so nehmen, wie sie dem dichter im momente erschien, nicht ex eventu gedeutet. die furchtbare wahrheit, daſs nicht um die herrschaft Siciliens sondern um die eigene existenz gestritten ward, war den Athenern 412 aufgegangen, als Chios abfiel. eine äuſserste anstrengung ward gemacht; allein die flotte konnte zwar den weiteren abfall Ioniens verhindern und die feinde in schach halten, aber keinen entscheidenden schlag führen. und nun war der schatz leer, die einnahmen seit der besetzung von Dekeleia verkümmert, den feinden dagegen zahlte der Perser und half das prestige des Alkibiades. da mochten die meisten sich die gute zeit des Nikiasfriedens herbeisehnen, und die wolmeinenden, die Sparta und Athen als gleich berechtigte mächte aussöhnen wollten, haben in beiden völkern nicht gefehlt. dieser alten tendenz dient mit neuer glücklichster wendung die Lysistrate. aber im stillen waren andere kräfte tätig. Alkibiades hatte immer noch einen groſsen anhang, weil man ihn bewunderte und fürchtete: er drohte

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/360>, abgerufen am 24.11.2024.