Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.Persönliche anspielungen. die stimmung in den chorliedern. dides und erweislich falsch zu berichten, dass der reservefonds erst unterKallias in angriff genommen wäre (schol. Ar. Lys. 173). nun hat ein ratsherr, ein uns unbekannter aber notabler politiker, der sprecher von Antiphons sechster rede, im frühjahre 412 eine eisangelie gegen eine anzahl leute, unter ihnen einen gewissen Philinos und den unterschreiber der thesmotheten, auf unterschlagung beim rate eingebracht und trotz allen versuchen der gegner, die verhandlung zu verhindern, ihre ver- urteilung erwirkt. das erzählt Antiphon sehr lebhaft 6, 35. 50. er hatte auch die rede gegen Philinos für denselben sprecher verfasst.3) das war also eine hauptaction im sommer 412, viele processe spielten sich neben und hinter einander ab; der grosse redner, das geistige haupt der um- sturzpartei, stellte seine kunst in den dienst der demagogen, welche an- geblich oder vielleicht wirklich die unterschleife der beamten, der ver- trauensmänner des volkes, an das licht zogen. eine berücksichtigung dieser dinge ist im elaphebolion 411 eben so natürlich wie 410 un- begreiflich. Und doch sind für mein gefühl alle diese einzelheiten nicht ent-Die stim- 3) Die genaue datirung ist von Schöll in dem schönen aufsatze der Comment.
Momms. gegeben. Blass hat von ihm keine notiz genommen und beurteilt die ganze rede falsch, aber ihre rhetorische würdigung erfordert eine besondere abhand- lung. die tendenz des redners geht viel weiter als in diesem processe zu siegen; es ist ein politischer kampf, in dem der handel phunou akousiou nur eine episode ist. der sprecher aber, eines sinnes mit dem redner, stellt sich dar als der ver- fechter der alten ehrlichkeit und der strengen religiosität der väter, übt dagegen alle künste der modernen demagogie. so redet einer, wie wir uns die oligarchen von 411 zu denken haben. leider kann ich über seinen namen nichts vermuten. auf seiner seite hatte bei den klagen wegen unterschlagung ein Lysistratos ge- standen, den ich unter den trägern des namens auch nicht zu bestimmen wage, 36 tout ouk ep emoi proton emekhanesanto Philinos kai oi eteroi alla kai epi Lusistrato prateron, os autou (autoi codd.) umeis ekousate. (die verbesserung ist notwendig: autoi würde ja dasselbe gericht voraussetzen; aber vor dem Palladion war doch nicht die andere sache auch, und woher hatten die richter es gehört?). dass die rede des Antiphon wider Philinos klopes war, bestätigt sich in wünschens- werter weise durch ein scholion BT zu G 368, wo als beleg für den gebrauch des genetivs als musterbeispiel steht 'egrapsamen Philinon klopes'. jenen Philinos hatte vielleicht Eupolis in den Städten entweder auf die bühne gebracht oder von der bühne herunter im publicum angerufen o Philinos outos, ti ara pros tauten ble- peis; ouk apolibaxeis eis apoikian tina; (28 Mein.) aber der in Athen nicht (wie in Kos) verbreitete name ist doch nicht selten genug, um die identification zu sichern. er deutet in Athen nicht auf die höheren gesellschaftskreise. Persönliche anspielungen. die stimmung in den chorliedern. dides und erweislich falsch zu berichten, daſs der reservefonds erst unterKallias in angriff genommen wäre (schol. Ar. Lys. 173). nun hat ein ratsherr, ein uns unbekannter aber notabler politiker, der sprecher von Antiphons sechster rede, im frühjahre 412 eine eisangelie gegen eine anzahl leute, unter ihnen einen gewissen Philinos und den unterschreiber der thesmotheten, auf unterschlagung beim rate eingebracht und trotz allen versuchen der gegner, die verhandlung zu verhindern, ihre ver- urteilung erwirkt. das erzählt Antiphon sehr lebhaft 6, 35. 50. er hatte auch die rede gegen Philinos für denselben sprecher verfaſst.3) das war also eine hauptaction im sommer 412, viele processe spielten sich neben und hinter einander ab; der groſse redner, das geistige haupt der um- sturzpartei, stellte seine kunst in den dienst der demagogen, welche an- geblich oder vielleicht wirklich die unterschleife der beamten, der ver- trauensmänner des volkes, an das licht zogen. eine berücksichtigung dieser dinge ist im elaphebolion 411 eben so natürlich wie 410 un- begreiflich. Und doch sind für mein gefühl alle diese einzelheiten nicht ent-Die stim- 3) Die genaue datirung ist von Schöll in dem schönen aufsatze der Comment.
Momms. gegeben. Blaſs hat von ihm keine notiz genommen und beurteilt die ganze rede falsch, aber ihre rhetorische würdigung erfordert eine besondere abhand- lung. die tendenz des redners geht viel weiter als in diesem processe zu siegen; es ist ein politischer kampf, in dem der handel φύνου ἀκουσίου nur eine episode ist. der sprecher aber, eines sinnes mit dem redner, stellt sich dar als der ver- fechter der alten ehrlichkeit und der strengen religiosität der väter, übt dagegen alle künste der modernen demagogie. so redet einer, wie wir uns die oligarchen von 411 zu denken haben. leider kann ich über seinen namen nichts vermuten. auf seiner seite hatte bei den klagen wegen unterschlagung ein Lysistratos ge- standen, den ich unter den trägern des namens auch nicht zu bestimmen wage, 36 τοῦτ̕ οὐκ ἐπ̕ ἐμοὶ πϱῶτον ἐμηχανήσαντο Φιλῖνος καὶ οἱ ἕτεϱοι ἀλλὰ καὶ ἐπὶ Λυσιστϱάτῳ πϱάτεϱον, ὡς αὐτοῦ (αὐτοί codd.) ὑμεῖς ἠκούσατε. (die verbesserung ist notwendig: αὐτοί würde ja dasselbe gericht voraussetzen; aber vor dem Palladion war doch nicht die andere sache auch, und woher hatten die richter es gehört?). daſs die rede des Antiphon wider Philinos κλοπῆς war, bestätigt sich in wünschens- werter weise durch ein scholion BT zu Γ 368, wo als beleg für den gebrauch des genetivs als musterbeispiel steht ‘ἐγϱαψάμην Φιλῖνον κλοπῆς’. jenen Philinos hatte vielleicht Eupolis in den Städten entweder auf die bühne gebracht oder von der bühne herunter im publicum angerufen ὁ Φιλῖνος οὗτος, τί ἄϱᾳ πϱὸς ταύτην βλέ- πεις; οὐκ ἀπολιβάξεις εἰς ἀποικίαν τινά; (28 Mein.) aber der in Athen nicht (wie in Kos) verbreitete name ist doch nicht selten genug, um die identification zu sichern. er deutet in Athen nicht auf die höheren gesellschaftskreise. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0357" n="347"/><fw place="top" type="header">Persönliche anspielungen. die stimmung in den chorliedern.</fw><lb/> dides und erweislich falsch zu berichten, daſs der reservefonds erst unter<lb/> Kallias in angriff genommen wäre (schol. Ar. Lys. 173). nun hat ein<lb/> ratsherr, ein uns unbekannter aber notabler politiker, der sprecher von<lb/> Antiphons sechster rede, im frühjahre 412 eine eisangelie gegen eine<lb/> anzahl leute, unter ihnen einen gewissen Philinos und den unterschreiber<lb/> der thesmotheten, auf unterschlagung beim rate eingebracht und trotz<lb/> allen versuchen der gegner, die verhandlung zu verhindern, ihre ver-<lb/> urteilung erwirkt. das erzählt Antiphon sehr lebhaft 6, 35. 50. er hatte<lb/> auch die rede gegen Philinos für denselben sprecher verfaſst.<note place="foot" n="3)">Die genaue datirung ist von Schöll in dem schönen aufsatze der Comment.<lb/> Momms. gegeben. Blaſs hat von ihm keine notiz genommen und beurteilt die ganze<lb/> rede falsch, aber ihre rhetorische würdigung erfordert eine besondere abhand-<lb/> lung. die tendenz des redners geht viel weiter als in diesem processe zu siegen;<lb/> es ist ein politischer kampf, in dem der handel φύνου ἀκουσίου nur eine episode<lb/> ist. der sprecher aber, eines sinnes mit dem redner, stellt sich dar als der ver-<lb/> fechter der alten ehrlichkeit und der strengen religiosität der väter, übt dagegen<lb/> alle künste der modernen demagogie. so redet einer, wie wir uns die oligarchen<lb/> von 411 zu denken haben. leider kann ich über seinen namen nichts vermuten.<lb/> auf seiner seite hatte bei den klagen wegen unterschlagung ein Lysistratos ge-<lb/> standen, den ich unter den trägern des namens auch nicht zu bestimmen wage,<lb/> 36 τοῦτ̕ οὐκ ἐπ̕ ἐμοὶ πϱῶτον ἐμηχανήσαντο Φιλῖνος καὶ οἱ ἕτεϱοι ἀλλὰ καὶ ἐπὶ<lb/> Λυσιστϱάτῳ πϱάτεϱον, ὡς αὐτοῦ (αὐτοί codd.) ὑμεῖς ἠκούσατε. 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Persönliche anspielungen. die stimmung in den chorliedern.
dides und erweislich falsch zu berichten, daſs der reservefonds erst unter
Kallias in angriff genommen wäre (schol. Ar. Lys. 173). nun hat ein
ratsherr, ein uns unbekannter aber notabler politiker, der sprecher von
Antiphons sechster rede, im frühjahre 412 eine eisangelie gegen eine
anzahl leute, unter ihnen einen gewissen Philinos und den unterschreiber
der thesmotheten, auf unterschlagung beim rate eingebracht und trotz
allen versuchen der gegner, die verhandlung zu verhindern, ihre ver-
urteilung erwirkt. das erzählt Antiphon sehr lebhaft 6, 35. 50. er hatte
auch die rede gegen Philinos für denselben sprecher verfaſst. 3) das war
also eine hauptaction im sommer 412, viele processe spielten sich neben
und hinter einander ab; der groſse redner, das geistige haupt der um-
sturzpartei, stellte seine kunst in den dienst der demagogen, welche an-
geblich oder vielleicht wirklich die unterschleife der beamten, der ver-
trauensmänner des volkes, an das licht zogen. eine berücksichtigung
dieser dinge ist im elaphebolion 411 eben so natürlich wie 410 un-
begreiflich.
Und doch sind für mein gefühl alle diese einzelheiten nicht ent-
scheidend. um so mehr ist es die ganze haltung und stimmung des
dramas. Aristophanes hält sich diesesmal fast ganz fern von den öffent-
Die stim-
mung in
den chor-
liedern.
3) Die genaue datirung ist von Schöll in dem schönen aufsatze der Comment.
Momms. gegeben. Blaſs hat von ihm keine notiz genommen und beurteilt die ganze
rede falsch, aber ihre rhetorische würdigung erfordert eine besondere abhand-
lung. die tendenz des redners geht viel weiter als in diesem processe zu siegen;
es ist ein politischer kampf, in dem der handel φύνου ἀκουσίου nur eine episode
ist. der sprecher aber, eines sinnes mit dem redner, stellt sich dar als der ver-
fechter der alten ehrlichkeit und der strengen religiosität der väter, übt dagegen
alle künste der modernen demagogie. so redet einer, wie wir uns die oligarchen
von 411 zu denken haben. leider kann ich über seinen namen nichts vermuten.
auf seiner seite hatte bei den klagen wegen unterschlagung ein Lysistratos ge-
standen, den ich unter den trägern des namens auch nicht zu bestimmen wage,
36 τοῦτ̕ οὐκ ἐπ̕ ἐμοὶ πϱῶτον ἐμηχανήσαντο Φιλῖνος καὶ οἱ ἕτεϱοι ἀλλὰ καὶ ἐπὶ
Λυσιστϱάτῳ πϱάτεϱον, ὡς αὐτοῦ (αὐτοί codd.) ὑμεῖς ἠκούσατε. (die verbesserung
ist notwendig: αὐτοί würde ja dasselbe gericht voraussetzen; aber vor dem Palladion
war doch nicht die andere sache auch, und woher hatten die richter es gehört?).
daſs die rede des Antiphon wider Philinos κλοπῆς war, bestätigt sich in wünschens-
werter weise durch ein scholion BT zu Γ 368, wo als beleg für den gebrauch des
genetivs als musterbeispiel steht ‘ἐγϱαψάμην Φιλῖνον κλοπῆς’. jenen Philinos hatte
vielleicht Eupolis in den Städten entweder auf die bühne gebracht oder von der
bühne herunter im publicum angerufen ὁ Φιλῖνος οὗτος, τί ἄϱᾳ πϱὸς ταύτην βλέ-
πεις; οὐκ ἀπολιβάξεις εἰς ἀποικίαν τινά; (28 Mein.) aber der in Athen nicht (wie
in Kos) verbreitete name ist doch nicht selten genug, um die identification zu
sichern. er deutet in Athen nicht auf die höheren gesellschaftskreise.
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