Die kämpfe um den Areopag haben dem grössten dichter des fünften jahrhunderts sein letztes werk eingegeben; so wenig es unmittelbar für die politische geschichte ergibt, können wir doch die stimmung der zeit nur aus ihm unmittelbar auf uns wirken lassen, und es ist früher so viel auch politisches in ihm gesucht worden, dass ich nicht umhin kann, die scene des processes der Eumeniden zu erläutern, zumal es kurz geschehen kann. ein par wichtige stellen kann ich verbessern, andere bleiben noch im einzelnen rätselhaft; die heut zu tage beliebten athetesen und umstellungen fallen von selbst weg, sobald der zusammen- hang erkannt ist.
Als der göttin Athena sowol von Orestes wie von den Erinyen die ent-Uebersicht der ganzen scene. scheidung ihres zwistes übertragen ist (als diaita gewissermassen), lehnt sie ab in einer mordsache aus sich, autotelos, zu entscheiden und erklärt einen beirat aus den edelsten ihres volkes (aristinden) zuziehen zu wollen, die als geschworne den spruch fällen sollen, und sie stellt schon hier in aussicht, dass sie damit eine dauernde institution schaffen wolle, 470--89. die verse sind zum teil schwer verdorben, aber die gedanken sind unzweifelhaft. mittlerweile sollen die parteien ihre be- weismittel und ihre zeugen herbeischaffen. es entsteht also eine pause, die durch ein grosses chorlied ausgefüllt wird.
Dann erscheint Athena mit dem herold (der als kerux tes en Areio pago boules später eine so grosse rolle gespielt hat, jetzt nur ein subalterner ist) und den richtern. sein trompetenstoss soll dem volke, das zu dem feierlichen acte herzuströmt, das signal geben, platz zu machen und zu schweigen. denn wenn auch das volksgericht (und als solches wird dieses hier behandelt) die zuhörer nicht ausschliesst, so fordert das blutgericht doch feierlichen ernst. Athena motivirt das, nicht bloss für dieses mal: die verhandlung ist ja typisch, und die verordnungen der
7. DER PROCESS DER EUMENIDEN.
Die kämpfe um den Areopag haben dem gröſsten dichter des fünften jahrhunderts sein letztes werk eingegeben; so wenig es unmittelbar für die politische geschichte ergibt, können wir doch die stimmung der zeit nur aus ihm unmittelbar auf uns wirken lassen, und es ist früher so viel auch politisches in ihm gesucht worden, daſs ich nicht umhin kann, die scene des processes der Eumeniden zu erläutern, zumal es kurz geschehen kann. ein par wichtige stellen kann ich verbessern, andere bleiben noch im einzelnen rätselhaft; die heut zu tage beliebten athetesen und umstellungen fallen von selbst weg, sobald der zusammen- hang erkannt ist.
Als der göttin Athena sowol von Orestes wie von den Erinyen die ent-Uebersicht der ganzen scene. scheidung ihres zwistes übertragen ist (als δίαιτα gewissermaſsen), lehnt sie ab in einer mordsache aus sich, αὐτοτελῶς, zu entscheiden und erklärt einen beirat aus den edelsten ihres volkes (ἀϱιστίνδην) zuziehen zu wollen, die als geschworne den spruch fällen sollen, und sie stellt schon hier in aussicht, daſs sie damit eine dauernde institution schaffen wolle, 470—89. die verse sind zum teil schwer verdorben, aber die gedanken sind unzweifelhaft. mittlerweile sollen die parteien ihre be- weismittel und ihre zeugen herbeischaffen. es entsteht also eine pause, die durch ein groſses chorlied ausgefüllt wird.
Dann erscheint Athena mit dem herold (der als κῆϱυξ τῆς ἐν Ἀϱείῳ πάγῳ βουλῆς später eine so groſse rolle gespielt hat, jetzt nur ein subalterner ist) und den richtern. sein trompetenstoſs soll dem volke, das zu dem feierlichen acte herzuströmt, das signal geben, platz zu machen und zu schweigen. denn wenn auch das volksgericht (und als solches wird dieses hier behandelt) die zuhörer nicht ausschlieſst, so fordert das blutgericht doch feierlichen ernst. Athena motivirt das, nicht bloſs für dieses mal: die verhandlung ist ja typisch, und die verordnungen der
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7.
DER PROCESS DER EUMENIDEN.
Die kämpfe um den Areopag haben dem gröſsten dichter des fünften
jahrhunderts sein letztes werk eingegeben; so wenig es unmittelbar für
die politische geschichte ergibt, können wir doch die stimmung der
zeit nur aus ihm unmittelbar auf uns wirken lassen, und es ist früher
so viel auch politisches in ihm gesucht worden, daſs ich nicht umhin
kann, die scene des processes der Eumeniden zu erläutern, zumal es
kurz geschehen kann. ein par wichtige stellen kann ich verbessern,
andere bleiben noch im einzelnen rätselhaft; die heut zu tage beliebten
athetesen und umstellungen fallen von selbst weg, sobald der zusammen-
hang erkannt ist.
Als der göttin Athena sowol von Orestes wie von den Erinyen die ent-
scheidung ihres zwistes übertragen ist (als δίαιτα gewissermaſsen), lehnt
sie ab in einer mordsache aus sich, αὐτοτελῶς, zu entscheiden und
erklärt einen beirat aus den edelsten ihres volkes (ἀϱιστίνδην) zuziehen
zu wollen, die als geschworne den spruch fällen sollen, und sie stellt
schon hier in aussicht, daſs sie damit eine dauernde institution schaffen
wolle, 470—89. die verse sind zum teil schwer verdorben, aber die
gedanken sind unzweifelhaft. mittlerweile sollen die parteien ihre be-
weismittel und ihre zeugen herbeischaffen. es entsteht also eine pause,
die durch ein groſses chorlied ausgefüllt wird.
Uebersicht
der ganzen
scene.
Dann erscheint Athena mit dem herold (der als κῆϱυξ τῆς ἐν Ἀϱείῳ
πάγῳ βουλῆς später eine so groſse rolle gespielt hat, jetzt nur ein
subalterner ist) und den richtern. sein trompetenstoſs soll dem volke,
das zu dem feierlichen acte herzuströmt, das signal geben, platz zu machen
und zu schweigen. denn wenn auch das volksgericht (und als solches
wird dieses hier behandelt) die zuhörer nicht ausschlieſst, so fordert das
blutgericht doch feierlichen ernst. Athena motivirt das, nicht bloſs für
dieses mal: die verhandlung ist ja typisch, und die verordnungen der
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. [329]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/339>, abgerufen am 24.11.2024.
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