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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 2. Der erste krieg gegen Aegina.
tradition eingefügt hat: der attische held Sophanes zeichnet sich auch bei
Plataiai aus und ist 464 bei Drabreskos gefallen (IX 73). man verlangt
eigentlich als abschluss eine niederlage der Athener. man verlangt sie
doppelt, wenn man sich des orakels erinnert. wie kommt aber der ehr-
liche Herodot dazu, sie zu unterdrücken und seine geschichte im sande
verlaufen zu lassen? dafür ergibt sich die antwort, sobald man das feh-
lende stück dazu nimmt: es steht ja vorher, er verweist auch selbst dar-
auf, aber er kann es nicht mehr an der rechten stelle anführen, weil
er es an der falschen verbraucht hat. nicht "wie früher", sondern eben
jetzt erst riefen die Aegineten den schutz von Argos an. man halte
doch die obige erzählung der Aegineten zusammen mit den bruchstücken
dieser. landung einer attischen flotte, ausschiffung eines heeres, un-
erwartetes eingreifen eines corps von Argeiern, niederlage der Athener.
das ist doch ein und dieselbe geschichte. der vorgang, so weit er den
Herodot angeht, ist also der. die entscheidende niederlage Athens ist
erstens in einem gewissen geschichtlichen zusammenhange erzählt worden,
und andere traditionen und anekdoten nahmen auf den merkwürdigen
ausgang vielfach bezug. daneben aber hat sich der glaube gebildet, dass
Athen den zug wider ein orakel unternahm; dieser freilich erst in der
zeit, wo man Aegina von neuem, diesmal erfolgreich, zu leibe gieng. daran
wieder hat sich die sage von dem unglücklichen kriege geknüpft, die sage
von Damia und Auxesia; ich zweifle nicht, dass die Athener sich wirk-
lich in Oie bei jenem tempel festgesetzt hatten. ferner hat sich die sage
von der ablegung der spangen, da sie einer grossen niederlage bedurfte,
auch an die auf Aegina geschlossen. den Aegineten konnte es schon
recht sein, wenn die Athener nur einen einzigen der ihren gerettet
werden liessen. nun hörte Herodot diese geschichten; er hörte in Athen
mancherlei, erfragte bei den Aegineten anderes über die geschichte von den
götterbildern, die ihm besonders merkwürdig war, und machte sich seinen
vers daraus, so gut er konnte. das konnte er aber unmöglich gut machen.
denn wie sollte er die niederlage der Athener, von der die Aegineten
erzählten, zugleich mit der von 487 und mit der, welche zur abschaf-
fung der spangen geführt hatte, identificiren? der aufgeklärte Ionier war
an sich geneigt, eine solche wundergeschichte eben so wie die änderung
der tracht möglichst weit hinaufzuschieben. der vorsehungsgläubige er-
zähler suchte den hass der beiden städte, das unrecht Aeginas und den
grund des miserfolges der Athener möglichst weit zurückzuführen. und
vielleicht schlug für seine kritik am meisten durch, dass 487 mindestens
Sophanes leben geblieben war. aber überhaupt hatte natürlich die ge-

III. 2. Der erste krieg gegen Aegina.
tradition eingefügt hat: der attische held Sophanes zeichnet sich auch bei
Plataiai aus und ist 464 bei Drabreskos gefallen (IX 73). man verlangt
eigentlich als abschluſs eine niederlage der Athener. man verlangt sie
doppelt, wenn man sich des orakels erinnert. wie kommt aber der ehr-
liche Herodot dazu, sie zu unterdrücken und seine geschichte im sande
verlaufen zu lassen? dafür ergibt sich die antwort, sobald man das feh-
lende stück dazu nimmt: es steht ja vorher, er verweist auch selbst dar-
auf, aber er kann es nicht mehr an der rechten stelle anführen, weil
er es an der falschen verbraucht hat. nicht “wie früher”, sondern eben
jetzt erst riefen die Aegineten den schutz von Argos an. man halte
doch die obige erzählung der Aegineten zusammen mit den bruchstücken
dieser. landung einer attischen flotte, ausschiffung eines heeres, un-
erwartetes eingreifen eines corps von Argeiern, niederlage der Athener.
das ist doch ein und dieselbe geschichte. der vorgang, so weit er den
Herodot angeht, ist also der. die entscheidende niederlage Athens ist
erstens in einem gewissen geschichtlichen zusammenhange erzählt worden,
und andere traditionen und anekdoten nahmen auf den merkwürdigen
ausgang vielfach bezug. daneben aber hat sich der glaube gebildet, daſs
Athen den zug wider ein orakel unternahm; dieser freilich erst in der
zeit, wo man Aegina von neuem, diesmal erfolgreich, zu leibe gieng. daran
wieder hat sich die sage von dem unglücklichen kriege geknüpft, die sage
von Damia und Auxesia; ich zweifle nicht, daſs die Athener sich wirk-
lich in Oie bei jenem tempel festgesetzt hatten. ferner hat sich die sage
von der ablegung der spangen, da sie einer groſsen niederlage bedurfte,
auch an die auf Aegina geschlossen. den Aegineten konnte es schon
recht sein, wenn die Athener nur einen einzigen der ihren gerettet
werden lieſsen. nun hörte Herodot diese geschichten; er hörte in Athen
mancherlei, erfragte bei den Aegineten anderes über die geschichte von den
götterbildern, die ihm besonders merkwürdig war, und machte sich seinen
vers daraus, so gut er konnte. das konnte er aber unmöglich gut machen.
denn wie sollte er die niederlage der Athener, von der die Aegineten
erzählten, zugleich mit der von 487 und mit der, welche zur abschaf-
fung der spangen geführt hatte, identificiren? der aufgeklärte Ionier war
an sich geneigt, eine solche wundergeschichte eben so wie die änderung
der tracht möglichst weit hinaufzuschieben. der vorsehungsgläubige er-
zähler suchte den haſs der beiden städte, das unrecht Aeginas und den
grund des miserfolges der Athener möglichst weit zurückzuführen. und
vielleicht schlug für seine kritik am meisten durch, daſs 487 mindestens
Sophanes leben geblieben war. aber überhaupt hatte natürlich die ge-

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[286/0296] III. 2. Der erste krieg gegen Aegina. tradition eingefügt hat: der attische held Sophanes zeichnet sich auch bei Plataiai aus und ist 464 bei Drabreskos gefallen (IX 73). man verlangt eigentlich als abschluſs eine niederlage der Athener. man verlangt sie doppelt, wenn man sich des orakels erinnert. wie kommt aber der ehr- liche Herodot dazu, sie zu unterdrücken und seine geschichte im sande verlaufen zu lassen? dafür ergibt sich die antwort, sobald man das feh- lende stück dazu nimmt: es steht ja vorher, er verweist auch selbst dar- auf, aber er kann es nicht mehr an der rechten stelle anführen, weil er es an der falschen verbraucht hat. nicht “wie früher”, sondern eben jetzt erst riefen die Aegineten den schutz von Argos an. man halte doch die obige erzählung der Aegineten zusammen mit den bruchstücken dieser. landung einer attischen flotte, ausschiffung eines heeres, un- erwartetes eingreifen eines corps von Argeiern, niederlage der Athener. das ist doch ein und dieselbe geschichte. der vorgang, so weit er den Herodot angeht, ist also der. die entscheidende niederlage Athens ist erstens in einem gewissen geschichtlichen zusammenhange erzählt worden, und andere traditionen und anekdoten nahmen auf den merkwürdigen ausgang vielfach bezug. daneben aber hat sich der glaube gebildet, daſs Athen den zug wider ein orakel unternahm; dieser freilich erst in der zeit, wo man Aegina von neuem, diesmal erfolgreich, zu leibe gieng. daran wieder hat sich die sage von dem unglücklichen kriege geknüpft, die sage von Damia und Auxesia; ich zweifle nicht, daſs die Athener sich wirk- lich in Oie bei jenem tempel festgesetzt hatten. ferner hat sich die sage von der ablegung der spangen, da sie einer groſsen niederlage bedurfte, auch an die auf Aegina geschlossen. den Aegineten konnte es schon recht sein, wenn die Athener nur einen einzigen der ihren gerettet werden lieſsen. nun hörte Herodot diese geschichten; er hörte in Athen mancherlei, erfragte bei den Aegineten anderes über die geschichte von den götterbildern, die ihm besonders merkwürdig war, und machte sich seinen vers daraus, so gut er konnte. das konnte er aber unmöglich gut machen. denn wie sollte er die niederlage der Athener, von der die Aegineten erzählten, zugleich mit der von 487 und mit der, welche zur abschaf- fung der spangen geführt hatte, identificiren? der aufgeklärte Ionier war an sich geneigt, eine solche wundergeschichte eben so wie die änderung der tracht möglichst weit hinaufzuschieben. der vorsehungsgläubige er- zähler suchte den haſs der beiden städte, das unrecht Aeginas und den grund des miserfolges der Athener möglichst weit zurückzuführen. und vielleicht schlug für seine kritik am meisten durch, daſs 487 mindestens Sophanes leben geblieben war. aber überhaupt hatte natürlich die ge-

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/296>, abgerufen am 24.11.2024.