Alter der beiden formen der rechenschaft. euthuna strategon.
die ausgebildete volksherrschaft durch rat und gerichte voraus, setzen auch eine vollkommen schriftliche staatsverwaltung voraus: das wird man der themistokleischen zeit gern, schwerlich der solonischen zu- trauen.
Einen total verschiedenen charakter trägt die euthuna der beamten. dass der beamte upeuthunos ist, mandatar des souveränen volkswillens, darin liegt die herrschaft des volkes. dadurch hat Solon die demokratie begründet, und Aristoteles, der dies nachdrücklichst hervorhebt, erklärt die euthyna schlechthin für unerlässlich. aber er sagt nicht, wie sie von Solon angeordnet war. da tritt nun die schilderung der verhandlung vor dem euthynos ein. dieser mit seinen zwei beisitzern ist ein analogon des archons, der vor Solon das recht des euthunein, des strafens hat. aber er ist ein mitglied des aus der sammtgemeinde durch das los auf praesentation der unterabteilungen ausgewählten rates. dass wir bisher weder sicher wissen, in welcher weise vor Kleisthenes der rat aus den unterabteilungen der phylen besetzt ward, noch das zahlenverhältnis seiner ausschüsse und der phylenweise besetzten collegien kennen, beein- trächtigt die hauptsache nicht, dass ein "volksvertreter" die prüfung der beschwerden über die abtretenden beamten für seine phyle vornimmt. und wenn wir auch nicht wissen, wie die civilklagen vor der einsetzung der demenrichter entschieden sind, so bleibt doch das für die solonische ordnung, dass der euthynos die ihm billig scheinenden öffentlichen be- schwerden dem thesmotheten zur gerichtlichen verhandlung überweisen kann. mag auch der thesmothet noch das recht der abwerfung haben: bei einem starken druck des volkswillens konnte er dies recht nicht leicht ausüben, und damit war die sache vor dem volksgericht. gerade in den mannigfachen cautelen, welche noch die appellation an das gericht beschränken, erkennt man, dass hier eine institution vorliegt, die so alt ist wie die demokratie; wie ja auch die procedur selbst höchst alter- tümlich ist. sehr begreiflich also, dass das vierte jahrhundert den umweg scheute und die euthyna zu gunsten der anklage vor dem logistengerichte verkümmern liess. beschwerdeinstanz gegen die beamten ist in der ver- fassung Drakons der Areopag, und das ist er bis 462 geblieben; es liegt in seiner competenz der nomophylakie. das ergibt zwar für die zeit der zwei räte auch zwei beschwerdeinstanzen nebeneinander. aber deshalb ist es nicht unglaublich, im gegenteil, es ist eine notwendige folge davon, dass neben den senat eine volksvertretung gesetzt war.
Ganz scharf hebt sich von diesem regelmässigen gange die rechen-euthuna strate- gon. schaft der strategen ab, die von den thesmotheten vor gericht gebracht
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Alter der beiden formen der rechenschaft. εὔϑυνα στϱατηγῶν.
die ausgebildete volksherrschaft durch rat und gerichte voraus, setzen auch eine vollkommen schriftliche staatsverwaltung voraus: das wird man der themistokleischen zeit gern, schwerlich der solonischen zu- trauen.
Einen total verschiedenen charakter trägt die εὔϑυνα der beamten. daſs der beamte ὑπεύϑυνος ist, mandatar des souveränen volkswillens, darin liegt die herrschaft des volkes. dadurch hat Solon die demokratie begründet, und Aristoteles, der dies nachdrücklichst hervorhebt, erklärt die euthyna schlechthin für unerläſslich. aber er sagt nicht, wie sie von Solon angeordnet war. da tritt nun die schilderung der verhandlung vor dem euthynos ein. dieser mit seinen zwei beisitzern ist ein analogon des archons, der vor Solon das recht des εὐϑύνειν, des strafens hat. aber er ist ein mitglied des aus der sammtgemeinde durch das los auf praesentation der unterabteilungen ausgewählten rates. daſs wir bisher weder sicher wissen, in welcher weise vor Kleisthenes der rat aus den unterabteilungen der phylen besetzt ward, noch das zahlenverhältnis seiner ausschüsse und der phylenweise besetzten collegien kennen, beein- trächtigt die hauptsache nicht, daſs ein “volksvertreter” die prüfung der beschwerden über die abtretenden beamten für seine phyle vornimmt. und wenn wir auch nicht wissen, wie die civilklagen vor der einsetzung der demenrichter entschieden sind, so bleibt doch das für die solonische ordnung, daſs der euthynos die ihm billig scheinenden öffentlichen be- schwerden dem thesmotheten zur gerichtlichen verhandlung überweisen kann. mag auch der thesmothet noch das recht der abwerfung haben: bei einem starken druck des volkswillens konnte er dies recht nicht leicht ausüben, und damit war die sache vor dem volksgericht. gerade in den mannigfachen cautelen, welche noch die appellation an das gericht beschränken, erkennt man, daſs hier eine institution vorliegt, die so alt ist wie die demokratie; wie ja auch die procedur selbst höchst alter- tümlich ist. sehr begreiflich also, daſs das vierte jahrhundert den umweg scheute und die euthyna zu gunsten der anklage vor dem logistengerichte verkümmern lieſs. beschwerdeinstanz gegen die beamten ist in der ver- fassung Drakons der Areopag, und das ist er bis 462 geblieben; es liegt in seiner competenz der nomophylakie. das ergibt zwar für die zeit der zwei räte auch zwei beschwerdeinstanzen nebeneinander. aber deshalb ist es nicht unglaublich, im gegenteil, es ist eine notwendige folge davon, daſs neben den senat eine volksvertretung gesetzt war.
Ganz scharf hebt sich von diesem regelmäſsigen gange die rechen-εὔϑυνα στϱατη- γῶν. schaft der strategen ab, die von den thesmotheten vor gericht gebracht
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Alter der beiden formen der rechenschaft. εὔϑυνα στϱατηγῶν.
die ausgebildete volksherrschaft durch rat und gerichte voraus, setzen
auch eine vollkommen schriftliche staatsverwaltung voraus: das wird
man der themistokleischen zeit gern, schwerlich der solonischen zu-
trauen.
Einen total verschiedenen charakter trägt die εὔϑυνα der beamten.
daſs der beamte ὑπεύϑυνος ist, mandatar des souveränen volkswillens,
darin liegt die herrschaft des volkes. dadurch hat Solon die demokratie
begründet, und Aristoteles, der dies nachdrücklichst hervorhebt, erklärt
die euthyna schlechthin für unerläſslich. aber er sagt nicht, wie sie von
Solon angeordnet war. da tritt nun die schilderung der verhandlung
vor dem euthynos ein. dieser mit seinen zwei beisitzern ist ein analogon
des archons, der vor Solon das recht des εὐϑύνειν, des strafens hat.
aber er ist ein mitglied des aus der sammtgemeinde durch das los auf
praesentation der unterabteilungen ausgewählten rates. daſs wir bisher
weder sicher wissen, in welcher weise vor Kleisthenes der rat aus den
unterabteilungen der phylen besetzt ward, noch das zahlenverhältnis
seiner ausschüsse und der phylenweise besetzten collegien kennen, beein-
trächtigt die hauptsache nicht, daſs ein “volksvertreter” die prüfung der
beschwerden über die abtretenden beamten für seine phyle vornimmt.
und wenn wir auch nicht wissen, wie die civilklagen vor der einsetzung
der demenrichter entschieden sind, so bleibt doch das für die solonische
ordnung, daſs der euthynos die ihm billig scheinenden öffentlichen be-
schwerden dem thesmotheten zur gerichtlichen verhandlung überweisen
kann. mag auch der thesmothet noch das recht der abwerfung haben:
bei einem starken druck des volkswillens konnte er dies recht nicht
leicht ausüben, und damit war die sache vor dem volksgericht. gerade
in den mannigfachen cautelen, welche noch die appellation an das gericht
beschränken, erkennt man, daſs hier eine institution vorliegt, die so alt
ist wie die demokratie; wie ja auch die procedur selbst höchst alter-
tümlich ist. sehr begreiflich also, daſs das vierte jahrhundert den umweg
scheute und die euthyna zu gunsten der anklage vor dem logistengerichte
verkümmern lieſs. beschwerdeinstanz gegen die beamten ist in der ver-
fassung Drakons der Areopag, und das ist er bis 462 geblieben; es liegt
in seiner competenz der nomophylakie. das ergibt zwar für die zeit der
zwei räte auch zwei beschwerdeinstanzen nebeneinander. aber deshalb
ist es nicht unglaublich, im gegenteil, es ist eine notwendige folge davon,
daſs neben den senat eine volksvertretung gesetzt war.
Ganz scharf hebt sich von diesem regelmäſsigen gange die rechen-
schaft der strategen ab, die von den thesmotheten vor gericht gebracht
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στϱατη-
γῶν.
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/253>, abgerufen am 24.11.2024.
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