Da wir jung waren, lernten und glaubten wir, dass die überlegen- heit der Boeckhschen altertumswissenschaft über die Hermannsche philo- logie sich nirgend glänzender offenbare als in der abhandlung über euthynen und logisten, die zu diesem nachweise geschrieben ist. da wir älter wurden, sahen wir mit überraschung, dass Hermanns conjec- turen zu CIA I 32 auf dem steine standen mit ausnahme von einer minder wichtigen stelle, wo Boeckh aber auch nicht richtiger geurteilt hatte. und nun stellt sich heraus, dass über die sache beide irr ge- gangen sind, dass auch gerade die behandlung, die am meisten metho- disch vorgieng und allein wirklich vorwärts kam (Schöll de synegoris), irr gehn musste, weil ihr fundament ein gefälschtes zeugnis war.1) die unzulänglichkeit unseres combinirens ungenügender daten zeigt sich handgreiflich, ebenso aber, dass die wirkliche kenntnis der sprache in ihrem gebiete mit sicherheit vorgeht und dass ihr die logik des rechtlichen gedankens auch wol zu hilfe kommen kann: beide vereint hätten das falsche zeugnis wol entlarven und aus dem sprachgebrauche und dem rechte der wahrheit näher kommen können. aber diese ist uns jetzt durch Aristoteles (48, 3--5. 54, 2) gegeben: wir wollen bei der sache bleiben, von den modernen absehn und auch die angaben der lexico- graphen, die aus Aristoteles abgeleitet oder durch misverständnis seiner worte entstanden sind, sollen fortfallen. dagegen mag was ihn ergänzt und ohne weiteres sich einordnet, gleich mit vorgeführt werden: wir wissen ja, dass er nur der reinste und reichste canal derselben überlieferung vom attischen staate ist.
1) Fgm. 6 in unserer ausgabe.
12. ΛΟΓΟΣ UND ΕΥΘΥΝΑ.
Da wir jung waren, lernten und glaubten wir, daſs die überlegen- heit der Boeckhschen altertumswissenschaft über die Hermannsche philo- logie sich nirgend glänzender offenbare als in der abhandlung über euthynen und logisten, die zu diesem nachweise geschrieben ist. da wir älter wurden, sahen wir mit überraschung, daſs Hermanns conjec- turen zu CIA I 32 auf dem steine standen mit ausnahme von einer minder wichtigen stelle, wo Boeckh aber auch nicht richtiger geurteilt hatte. und nun stellt sich heraus, daſs über die sache beide irr ge- gangen sind, daſs auch gerade die behandlung, die am meisten metho- disch vorgieng und allein wirklich vorwärts kam (Schöll de synegoris), irr gehn muſste, weil ihr fundament ein gefälschtes zeugnis war.1) die unzulänglichkeit unseres combinirens ungenügender daten zeigt sich handgreiflich, ebenso aber, daſs die wirkliche kenntnis der sprache in ihrem gebiete mit sicherheit vorgeht und daſs ihr die logik des rechtlichen gedankens auch wol zu hilfe kommen kann: beide vereint hätten das falsche zeugnis wol entlarven und aus dem sprachgebrauche und dem rechte der wahrheit näher kommen können. aber diese ist uns jetzt durch Aristoteles (48, 3—5. 54, 2) gegeben: wir wollen bei der sache bleiben, von den modernen absehn und auch die angaben der lexico- graphen, die aus Aristoteles abgeleitet oder durch misverständnis seiner worte entstanden sind, sollen fortfallen. dagegen mag was ihn ergänzt und ohne weiteres sich einordnet, gleich mit vorgeführt werden: wir wissen ja, daſs er nur der reinste und reichste canal derselben überlieferung vom attischen staate ist.
1) Fgm. 6 in unserer ausgabe.
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12.
ΛΟΓΟΣ UND ΕΥΘΥΝΑ.
Da wir jung waren, lernten und glaubten wir, daſs die überlegen-
heit der Boeckhschen altertumswissenschaft über die Hermannsche philo-
logie sich nirgend glänzender offenbare als in der abhandlung über
euthynen und logisten, die zu diesem nachweise geschrieben ist. da
wir älter wurden, sahen wir mit überraschung, daſs Hermanns conjec-
turen zu CIA I 32 auf dem steine standen mit ausnahme von einer
minder wichtigen stelle, wo Boeckh aber auch nicht richtiger geurteilt
hatte. und nun stellt sich heraus, daſs über die sache beide irr ge-
gangen sind, daſs auch gerade die behandlung, die am meisten metho-
disch vorgieng und allein wirklich vorwärts kam (Schöll de synegoris),
irr gehn muſste, weil ihr fundament ein gefälschtes zeugnis war. 1) die
unzulänglichkeit unseres combinirens ungenügender daten zeigt sich
handgreiflich, ebenso aber, daſs die wirkliche kenntnis der sprache in
ihrem gebiete mit sicherheit vorgeht und daſs ihr die logik des
rechtlichen gedankens auch wol zu hilfe kommen kann: beide vereint
hätten das falsche zeugnis wol entlarven und aus dem sprachgebrauche und
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jetzt durch Aristoteles (48, 3—5. 54, 2) gegeben: wir wollen bei der
sache bleiben, von den modernen absehn und auch die angaben der lexico-
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worte entstanden sind, sollen fortfallen. dagegen mag was ihn ergänzt und
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. [231]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/241>, abgerufen am 23.11.2024.
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