Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.II. 6. Trittyen und demen. den geschlechterstaat, gar nicht mehr verstand. wir können die beidenberichte, über die wir verfügen, bei Herodotos und Aristoteles, leider durch sonstige reste der chronik nicht sehr stark ergänzen. Herodot hat ausser den mündlichen traditionen des Alkmeonidenhauses, die das persönliche angehn, das ihn vorwiegend interessirt, einen der chronik analogen mündlichen oder schriftlichen bericht benutzt; aber er hatte für die verfassung, abgesehen von dem demokratischen prinzipe, kein interesse. so ist das kurze capitel des Aristoteles (21) eine wahre offen- barung für uns und erfordert eine eingehende erläuterung. wir erfahren lange nicht alles was wir wünschten, über den rat z. b. nichts als die gleichgiltige vermehrung der zahl, über die beamten nichts, wo doch die Atthis des Androtion wenigstens die schöpfung der apodekten angab, über die demarchen nur, dass sie die naukraren ersetzten, wo die Atthis des Kleidemos sehr viel genaueres gab. dass die archonten im gegen- satze zu Solon gewählt wurden, kommt später gelegentlich zur sprache (22, 5); dass die strategen erst einige jahre nach 507 auf 10 erhöht wurden, ebenfalls (22, 5), woraus wir schliessen dürfen, dass wir unter dem namen der kleisthenischen verfassung etwas zusammenfassen was nicht ein act, sondern das ergebnis einer reform war, die aus einer wurzel allmählich mit notwendigkeit erwuchs. diese wurzel ist die er- setzung des geschlechterstaates durch die gemeindeordnung. und über sie wenigstens teilt uns Aristoteles einige grundsätze mit, deren trag- weite sehr viel grösser ist, wahrscheinlich selbst als das was ich daraus hier entwickele. schmerzlich bedauert man wieder, dass Aristoteles selbst so gar kein interesse für das leben der einzelgemeinden gehabt hat, denn hier müsste stehen, was aus anderer überlieferung einigermassen zu er- setzen eine hauptaufgabe künftiger forschung ist, welche grenze der einzelgemeinde für ihre selbstverwaltung gezogen war. aber seien wir dankbar auch für das wenige was wir erfahren: es ist alles eitel gold. Das erste ist die vermehrung der bürgerschaft durch die aufnahme II. 6. Trittyen und demen. den geschlechterstaat, gar nicht mehr verstand. wir können die beidenberichte, über die wir verfügen, bei Herodotos und Aristoteles, leider durch sonstige reste der chronik nicht sehr stark ergänzen. Herodot hat auſser den mündlichen traditionen des Alkmeonidenhauses, die das persönliche angehn, das ihn vorwiegend interessirt, einen der chronik analogen mündlichen oder schriftlichen bericht benutzt; aber er hatte für die verfassung, abgesehen von dem demokratischen prinzipe, kein interesse. so ist das kurze capitel des Aristoteles (21) eine wahre offen- barung für uns und erfordert eine eingehende erläuterung. wir erfahren lange nicht alles was wir wünschten, über den rat z. b. nichts als die gleichgiltige vermehrung der zahl, über die beamten nichts, wo doch die Atthis des Androtion wenigstens die schöpfung der apodekten angab, über die demarchen nur, daſs sie die naukraren ersetzten, wo die Atthis des Kleidemos sehr viel genaueres gab. daſs die archonten im gegen- satze zu Solon gewählt wurden, kommt später gelegentlich zur sprache (22, 5); daſs die strategen erst einige jahre nach 507 auf 10 erhöht wurden, ebenfalls (22, 5), woraus wir schlieſsen dürfen, daſs wir unter dem namen der kleisthenischen verfassung etwas zusammenfassen was nicht ein act, sondern das ergebnis einer reform war, die aus einer wurzel allmählich mit notwendigkeit erwuchs. diese wurzel ist die er- setzung des geschlechterstaates durch die gemeindeordnung. und über sie wenigstens teilt uns Aristoteles einige grundsätze mit, deren trag- weite sehr viel gröſser ist, wahrscheinlich selbst als das was ich daraus hier entwickele. schmerzlich bedauert man wieder, daſs Aristoteles selbst so gar kein interesse für das leben der einzelgemeinden gehabt hat, denn hier müſste stehen, was aus anderer überlieferung einigermaſsen zu er- setzen eine hauptaufgabe künftiger forschung ist, welche grenze der einzelgemeinde für ihre selbstverwaltung gezogen war. aber seien wir dankbar auch für das wenige was wir erfahren: es ist alles eitel gold. 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II. 6. Trittyen und demen.
den geschlechterstaat, gar nicht mehr verstand. wir können die beiden
berichte, über die wir verfügen, bei Herodotos und Aristoteles, leider
durch sonstige reste der chronik nicht sehr stark ergänzen. Herodot
hat auſser den mündlichen traditionen des Alkmeonidenhauses, die das
persönliche angehn, das ihn vorwiegend interessirt, einen der chronik
analogen mündlichen oder schriftlichen bericht benutzt; aber er hatte
für die verfassung, abgesehen von dem demokratischen prinzipe, kein
interesse. so ist das kurze capitel des Aristoteles (21) eine wahre offen-
barung für uns und erfordert eine eingehende erläuterung. wir erfahren
lange nicht alles was wir wünschten, über den rat z. b. nichts als die
gleichgiltige vermehrung der zahl, über die beamten nichts, wo doch
die Atthis des Androtion wenigstens die schöpfung der apodekten angab,
über die demarchen nur, daſs sie die naukraren ersetzten, wo die Atthis
des Kleidemos sehr viel genaueres gab. daſs die archonten im gegen-
satze zu Solon gewählt wurden, kommt später gelegentlich zur sprache
(22, 5); daſs die strategen erst einige jahre nach 507 auf 10 erhöht
wurden, ebenfalls (22, 5), woraus wir schlieſsen dürfen, daſs wir unter
dem namen der kleisthenischen verfassung etwas zusammenfassen was
nicht ein act, sondern das ergebnis einer reform war, die aus einer
wurzel allmählich mit notwendigkeit erwuchs. diese wurzel ist die er-
setzung des geschlechterstaates durch die gemeindeordnung. und über
sie wenigstens teilt uns Aristoteles einige grundsätze mit, deren trag-
weite sehr viel gröſser ist, wahrscheinlich selbst als das was ich daraus
hier entwickele. schmerzlich bedauert man wieder, daſs Aristoteles selbst
so gar kein interesse für das leben der einzelgemeinden gehabt hat, denn
hier müſste stehen, was aus anderer überlieferung einigermaſsen zu er-
setzen eine hauptaufgabe künftiger forschung ist, welche grenze der
einzelgemeinde für ihre selbstverwaltung gezogen war. aber seien wir
dankbar auch für das wenige was wir erfahren: es ist alles eitel gold.
Das erste ist die vermehrung der bürgerschaft durch die aufnahme
von neuen elementen, wozu als ergänzung die ungestörte fortexistenz
der nun für den staat bedeutungslosen verbände des geschlechterstaates
gehört. das hat namentlich bedeutung, weil es die richtige auffassung
der beiden stellen der Politik (Γ 1275b Ζ 1319b) sicher stellt; es ist
von mir an anderen stellen behandelt. wir hören dann die verände-
rung des attischen namenswesens durch die einführung des demotikons;
das ist nichts neues, hat aber bisher seine volle würdigung nicht er-
halten, und ich habe ihm das nächste capitel gewidmet. endlich aber
wird uns nun erst die bildung der phylen und der gemeinden klar: das
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