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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die kritik des verfassungsentwurfes.
ephemere verfassung von 411/10 so hoch schätzen. mit fug und recht
konnte sie als verfassung der väter in einen gegensatz zu der demokratie
des Kleophon gestellt werden, die denn auch bis zur soldzahlung an das
ganze proletariat, die diobelie, fortzuschreiten consequent und radikal
genug war.20) als die stadt sich schliesslich den Peloponnesiern ergeben
musste, war es wieder die patrios politeia, für deren erhaltung sich
die patrioten oligarchischer färbung wie Theramenes und Phormisios mit
demokraten wie Archinos und Agyrrhios zusammenfanden. diesmal waren
es die oligarchischen clubbisten, die mit Lysandros (wol schon damals
im gegensatze zu der spartanischen regierung) in einverständnis waren,
denen ein gewaltstreich gelang. so kam über Athen das elend eines
dictatorischen collegiums von 30 männern, die eigentlich eine verfassung
ausarbeiten sollten und einen nur zu willfährigen rat unter sich hatten.
als sie aber mit hilfe der spartanischen regierung von diesem joche be-
freit waren, wiederholte sich der kampf zwischen der patrios politeia,
der demokratie der besitzenden, für die Phormisios eintrat, und der
radikalen demokratie, die natürlich auch anspruch machte, die verfassung
der väter zu sein.21) und wiederum war diese letztere siegreich, bewies
auch bald, wie sie die traditionen der väter als die traditionen Kleophons
verstand, indem sie durch diaeten das proletariat in die volksversamm-
lung lockte. aber trotz der kritik, die nicht nur der dichter in den
Ekklesiazusen lieferte, sondern die alle einsichtigen und vaterlandslieben-
den männer, wenn sie nicht durch den demos herrschen wollten, aus-
zusprechen nicht müde wurden, hat diese eskhate demokratia, die sich
den vater Solon nur anlog, fortbestanden und ist, wie nicht fehlen konnte,
der patrios politeia immer unähnlicher geworden, bis Aristoteles ihre
kritik schrieb und Antipatros auf die pläne des Theramenes und Phor-
misios zurückgriff, auch er vergeblich. so hat schliesslich Kleophon den
sieg davongetragen: wer von der athenischen verfassung redet, denkt
wirklich dabei zunächst nur an die eskhate demokratia.



20) Vgl. das capitel 'Diobelia'.
21) Vgl. das capitel 'timemata parekhomenoi'.

Die kritik des verfassungsentwurfes.
ephemere verfassung von 411/10 so hoch schätzen. mit fug und recht
konnte sie als verfassung der väter in einen gegensatz zu der demokratie
des Kleophon gestellt werden, die denn auch bis zur soldzahlung an das
ganze proletariat, die diobelie, fortzuschreiten consequent und radikal
genug war.20) als die stadt sich schlieſslich den Peloponnesiern ergeben
muſste, war es wieder die πάτϱιος πολιτεία, für deren erhaltung sich
die patrioten oligarchischer färbung wie Theramenes und Phormisios mit
demokraten wie Archinos und Agyrrhios zusammenfanden. diesmal waren
es die oligarchischen clubbisten, die mit Lysandros (wol schon damals
im gegensatze zu der spartanischen regierung) in einverständnis waren,
denen ein gewaltstreich gelang. so kam über Athen das elend eines
dictatorischen collegiums von 30 männern, die eigentlich eine verfassung
ausarbeiten sollten und einen nur zu willfährigen rat unter sich hatten.
als sie aber mit hilfe der spartanischen regierung von diesem joche be-
freit waren, wiederholte sich der kampf zwischen der πάτϱιος πολιτεία,
der demokratie der besitzenden, für die Phormisios eintrat, und der
radikalen demokratie, die natürlich auch anspruch machte, die verfassung
der väter zu sein.21) und wiederum war diese letztere siegreich, bewies
auch bald, wie sie die traditionen der väter als die traditionen Kleophons
verstand, indem sie durch diaeten das proletariat in die volksversamm-
lung lockte. aber trotz der kritik, die nicht nur der dichter in den
Ekklesiazusen lieferte, sondern die alle einsichtigen und vaterlandslieben-
den männer, wenn sie nicht durch den demos herrschen wollten, aus-
zusprechen nicht müde wurden, hat diese ἐσχάτη δημοκϱατία, die sich
den vater Solon nur anlog, fortbestanden und ist, wie nicht fehlen konnte,
der πάτϱιος πολιτεία immer unähnlicher geworden, bis Aristoteles ihre
kritik schrieb und Antipatros auf die pläne des Theramenes und Phor-
misios zurückgriff, auch er vergeblich. so hat schlieſslich Kleophon den
sieg davongetragen: wer von der athenischen verfassung redet, denkt
wirklich dabei zunächst nur an die ἐσχάτη δημοκϱατία.



20) Vgl. das capitel ‘Διωβελία’.
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[125/0135] Die kritik des verfassungsentwurfes. ephemere verfassung von 411/10 so hoch schätzen. mit fug und recht konnte sie als verfassung der väter in einen gegensatz zu der demokratie des Kleophon gestellt werden, die denn auch bis zur soldzahlung an das ganze proletariat, die diobelie, fortzuschreiten consequent und radikal genug war. 20) als die stadt sich schlieſslich den Peloponnesiern ergeben muſste, war es wieder die πάτϱιος πολιτεία, für deren erhaltung sich die patrioten oligarchischer färbung wie Theramenes und Phormisios mit demokraten wie Archinos und Agyrrhios zusammenfanden. diesmal waren es die oligarchischen clubbisten, die mit Lysandros (wol schon damals im gegensatze zu der spartanischen regierung) in einverständnis waren, denen ein gewaltstreich gelang. so kam über Athen das elend eines dictatorischen collegiums von 30 männern, die eigentlich eine verfassung ausarbeiten sollten und einen nur zu willfährigen rat unter sich hatten. als sie aber mit hilfe der spartanischen regierung von diesem joche be- freit waren, wiederholte sich der kampf zwischen der πάτϱιος πολιτεία, der demokratie der besitzenden, für die Phormisios eintrat, und der radikalen demokratie, die natürlich auch anspruch machte, die verfassung der väter zu sein. 21) und wiederum war diese letztere siegreich, bewies auch bald, wie sie die traditionen der väter als die traditionen Kleophons verstand, indem sie durch diaeten das proletariat in die volksversamm- lung lockte. aber trotz der kritik, die nicht nur der dichter in den Ekklesiazusen lieferte, sondern die alle einsichtigen und vaterlandslieben- den männer, wenn sie nicht durch den demos herrschen wollten, aus- zusprechen nicht müde wurden, hat diese ἐσχάτη δημοκϱατία, die sich den vater Solon nur anlog, fortbestanden und ist, wie nicht fehlen konnte, der πάτϱιος πολιτεία immer unähnlicher geworden, bis Aristoteles ihre kritik schrieb und Antipatros auf die pläne des Theramenes und Phor- misios zurückgriff, auch er vergeblich. so hat schlieſslich Kleophon den sieg davongetragen: wer von der athenischen verfassung redet, denkt wirklich dabei zunächst nur an die ἐσχάτη δημοκϱατία. 20) Vgl. das capitel ‘Διωβελία’. 21) Vgl. das capitel ‘τιμήματα παϱεχόμενοι’.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/135>, abgerufen am 24.11.2024.